Montag, 4. April 2022
Nightrain
Was man so alles erlebt, wenn man mal zu anderen Zeiten rausgeht als den üblichen. Das sind die, wo die Läden geschlossen sind und die in meinem Alter daheim vor dem Fernseher oder dem Internet sitzen. Ich wollte schon immer mal nachts in's Fitnessstudio, einfach um zu sehen, was sich dann für Leute da versammeln. Ein bisschen auch, weil ich vermutete, da seien weniger da und ich trotz Kontaktreduzierung auch ein bisschen trainieren wollte. Dann fiel mir ein, dass es vielleicht nachts da nicht so schön ist, wenn man zum Beispiel dem Typen begegnet, der immer im gleichen geruchsintensiven Shirt trainiert und einen schon tagsüber mit Blicken dermaßen verfolgt, dass es einen innerlich schüttelt.Dann war geschlossen, weil man nicht ungeboostert oder ungetestet rein durfte. Dann hat sich mein Schlafrhythmus verschoben und ich war froh, wenn ich schon vor mittags schaffte, dort zu sein.

Am Schlafrhythmus war übrigens auch die Fahrt mit dem Nachtbus schuld. Also nicht ursächlich, weil ich ja nicht die ganze Nacht nur Bus gefahren bin. Ich war etwas länger bei einer Veranstaltung, und als ich heim wollte, fuhren die normalen Öffies nicht mehr. Also bin ich zum ersten Mal mit dem Nachtbus heim. Das Klientel ist im Schnitt sehr jung, was nicht weiter erstaunlich ist, denn die anderen leisten sich Taxis oder Uber. Ich mit meiner schwäbischen Sozialisation leiste mir erst ein Taxi oder Uber, wenn wirklich garnix mehr geht. Auch kein Radfahren, was sich entweder wegen Witterung oder meiner Garderobe verbietet.

Was mich an diesem jungen Publikum erstaunte, ist die Kommunikationsfreudigkeit. Wenn ich bei Twitter oder in sonstigen Medien lese, dass sich die Jugend von heute nur noch via Bildschirm austauscht und spontane Kontakte nicht mehr gewohnt ist, dann sind die Verfasser noch nie Nachtbus gefahren. Innerhalb von zwanzig Minuten beantwortete ich interessierte Fragen zu meinem Abend- meinem Musikprogramm (Kopfhörer), meiner Garderobe und dem Ausstiegsziel. Und auch untereinander tauschten sich zusammengehörige Grüppchen mit anderen aus. Noch nie - und ich schreibe das aus langjähriger Münchenerfahrung, die von Nordrheinwestfalenheimischen mit Sicherheit nicht nachvollzogen werden kann, es hat sich jedoch sehr oft in unterschiedlichen Lokalitäten so zugetragen - hatte ich irgendwo mehr soziale Kontakte als in einem Bus, der nachts die Heimkehrenden aufsammelt. Nicht in Kneipen, nicht im Biergarten und nicht bei anderen öffentlichen Veranstaltungen, wobei ich aber auch kein Mensch bin, der an politischen oder Trinkfestigkeitsdemonstrationen - beispielsweise in Oktoberfestzelten - teilnimmt.

Sollte ich mich demnächst sehr einsam fühlen, fahre ich einfach wieder eine Runde mit dem Nachtbus. Reibungsloser Transport, gute Kommunikation, gerne wieder.

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Freitag, 1. April 2022
Ennobled
Am Wochenendabend sind die Lockerungen der Coronamaßnahmen in der Stadt deutlich zu spüren. Viele Gruppen junger Menschen zieht es zum Feiern nach draussen oder in die Clubs. So genau weiß ich nicht um ihr Ziel, vermutete aber die jungen Männer in der Straßenbahn wollten zu einer stadtbekannten Partylocation. Sie fielen mir bereits an der Haltestelle auf. Vier Jugendliche, die sich laut unterhielten und abwechselnd große Schlücke aus einer Whiskeyflasche tranken. Einer beschrieb dann deutlich hörbar die Wirkung dieses Getränks als zunächst nicht spürbar, dann aber plötzlich reinhauend, was er persönlich sehr an Whiskey schätze.

Ich war irritiert bis angewidert mit deutlichem Fluchtreflex als die vier mit mir in die Trambahn stiegen und sich nur unweit auf die Plätze über den Gang verteilten. Einer zog sein Handy aus der Tasche. Es setzte ein deutlich hörbarer Beat ein, auf den ein anderer zu rappen begann. Es wurde abwechselnd vorgetragen, teils improvisiert, teils aus dem Handy abgelesen. Alle trugen übrigens sehr vorbildlich dabei ihre Masken. Ich lauschte fasziniert, denn diese Lyrik so zu improvisieren, ist hohe Kunst. Irgendwann schauten sie auf, ob sie wohl die genannte Haltestelle, die auch meine war, bereits verpasst hätten. Statt auf die Anzeige zu schauen, stellte einer im Handyfahrplan fest, dass die erwartete Ankunftszeit noch ein paar Minuten entfernt sei und alle wandten sich wieder ihrer Beschäftigung zu.

Als ich mich zum Aussteigen bereit machte, sah ich bei den Vieren kein Anzeichen von Vorbereitung. Im Gegenteil, sie waren völlig in ihre Rapperei vertieft. Da spürte ich ein bisschen Mutti in mir und rief ihnen zu: "Jungs, ihr müsst aussteigen, hier ist Lokschuppen!" Sie sprangen auf, verließen schnell hintereinander die Tram und bedankten sich draussen bei mir. Ich erklärte, ich hätte zugehört und wollte wissen, ob sie das alles improvisiert hätten. Einer bejahte meine Frage und alle bedankten sich wieder artig für mein Lob. Schließlich meinte einer, er fände es echt groß, dass ich sie auf die Haltestelle aufmerksam gemacht hätte und ein anderer sagte sowas wie "Voll die Ehrenfrau!"
Und so kam es, dass ich an einem Wochenende von vier Jugendlichen von Mutti zur Ehrenfrau erhoben und geadelt wurde.

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Montag, 21. März 2022
Freedom III
Kommen wir zum hässlichen Cliffhanger am Ende vom letzten Eintrag und zu dem, was ich in meiner blogfreien Zeit so getrieben habe. Der Grund für mein Schweigen war simpel: ich hatte weder Zeit noch Interesse am Schreiben. Denn wenn ich mich für ein Thema interessiere, lasse ich mich so sehr darauf ein, dass daneben nur noch die nötigen Pflichten stattfinden. Ist meine Neugier einmal geweckt, bestimmt dieses Thema meinen kompletten Tagesablauf sowie die Nacht. So war's beim Tauchen und auch beim Tanzen. Ich lese und träume davon, ich atme das Thema. Andere nennen es Hobby, was bei mir irres Lachen auslöst und sich eher wie Obsession gestaltet. Ich bin besessen davon, alles in möglichst kurzer Zeit über das zu wissen und zu erfahren, was mich so fasziniert. Also am eigenen Leib erfahren im Sinne von erleben. Denn, machen wir uns nichts vor, in der Theorie ist so Manches anders als in der Praxis.

Da war also diese Beziehung, die für mich einerseits völlig neue Dimensionen eröffnete und mich andererseits alles an Kraft gekostet hat, die ich brauchte, um mein Leben funktionieren zu lassen. Natürlich fiel die Begegnung auf fruchtbaren Boden, denn ich hatte mich bereits mit neuen Denkrichtungen auseinandergesetzt. Eine davon war die Beobachtung meiner Reaktionsschemata, speziell was die schnelle Bewertung von Erlebtem betrifft - sei es im Zusammenhang mit anderen Menschen oder mit Situationen, mit der Betrachtungsweise meiner Umwelt oder mir selbst. Hintergrund war mein Bestreben, mich von einem rein reagierenden Wesen in ein differenzierteres zu verwandeln. Warum mich etwas wütend macht, kann ich zwar im Nachhinein erforschen aber direkt alles klein schlagen und hinterher auch noch darüber sinnieren müssen, wie ich das wieder hinbiege, schien mir nicht sehr sinnvoll. Ich wollte zu reagieren vermeiden und ein sehr weiser und gefasster Mensch werden. Dafür schien es mir unumgänglich, den Impuls der Wertung nicht nur zu hinterfragen, sondern ihn auch bewusst zu beobachten. Unterlassen geht nicht aber zumindest erkennen, dass mein Instinkt etwas als schlecht oder bedrohlich eingeordnet hat und es möglicherweise auch anders sein könnte. Es geht also darum, für die entgegengesetzte Seite im Polaritätsspektrum offen zu sein.

Auftritt des Mannes, der erst mal offen und neugierig für jegliche neue Erfahrungen ist und nicht wertet. Zudem ist er sehr gutaussehend und durchtrainiert - eine äusserst verlockende Mischung für mich. Natürlich erliege ich der Versuchung, obwohl ich innerhalb kürzester Zeit weiß, dass da nichts zu mir passt, weder zu meinem Bedürfnis nach Zweisamkeit noch zu meiner intellektuellen Auseinandersetzung mit der Welt. Da ich auch alleine nachdenken kann, im Gegenzug Sex aber sehr schnell alleine langweilig wird, entscheide ich, mich auf den Mann einzulassen. Es beginnt sowohl ein Feuerwerk körperlicher Lust als auch seelischer Leiden, denn so hoch mich diese Verbindung in seiner Anwesenheit katapultiert, so tief falle ich in den Tagen und Wochen danach. Es beginnt ein Kreislauf, der Ähnlichkeit zur Abhängigkeit aufweist. Als ich das erkenne, beginne ich mich davon loszusagen. Doch jedes Mal nach einer gemeinsamen Nacht bin ich wieder bei null. Irgendwann so nach etwa drei bis vier Jahren ziehe ich meine Konsequenzen und einen Schlussstrich, fange aber gleichzeitig wieder zu rauchen an. In einem der vielen Tränentäler beschließe ich nur noch das zu tun, was mir gut tut. Also höre ich mit dem Rauchen auf und verabrede mich mit dem Mann auf ein Stelldichein. Wir klären die Fronten, vermeiden seelische Verletzungen - das braucht viel Ehrlichkeit mit mir selbst - wie auch Besitzansprüche und unterlassen Definitionen für unsere gelegentlichen Treffen. Das handhaben wir übrigens bis heute so.

In der Aufarbeitung wird mir klar, dass ich nicht auf das verzichten möchte, was der Mann an Begehrlichkeiten in mir geweckt hat. Nur wo finde ich einen, der sich nicht im Schema F bewegt, der sich mit mehr als der Befriedigung seiner Bedürfnisse auseinandersetzt - beispielsweise mit Orgasmuskontrolle - und auch an ungewöhnlichen Vorlieben Interesse zeigt? Die meisten spalten sich in zwei Fraktionen auf, die mich beide in ihrer Reinform eher abstoßen. Eine Fraktion sind die Tantriker, die ohne das korrekte ätherische Öl und das richtige Räucherstäbchen nicht kommen können. Die andere sind die Typen aus der BDSM Szene. Auch da finde ich mich zunächst nicht wieder, denn schließlich will ich mich nicht auspeitschen lassen, sondern nur bestimmen wo's lang geht.

Bei meiner Internetrecherche stoße ich auf einen Swingerclub - eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Die Schilderung der Autorin ihres ersten Besuches dort macht mich aber neugierig. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf (tbc)

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