Montag, 30. Mai 2022
The Queen of Corona 2
Die zweite Nacht (Samstag auf Sonntag) wäre überstanden. Ich habe sogar irgendwann geschlafen. Das ist alles nicht selbstverständlich, denn mein Fieber stieg erwartungsgemäß am Abend an. Messen kann ich es immer noch nicht, weiß aber inzwischen, wie sich hohes Fieber anfühlt. So fühlte es sich dann die ganze Nacht an: kaltschweißig, körperlich empfindlich und geistig sehr verwirrt. Um vier stand ich auf, machte mir einen Tee und merkte, wie wackelig ich auf den Beinen war. Dieses Mal entschied ich mich gegen das Waschen meines Geschirrs und Haares. Als die Dämmerung einsetze, öffnete ich das Fenster und, da ich mich offiziell noch nicht in Quarantäne befand - das Schreiben vom Gesundheitsamt war noch nicht eingetroffen - zog ich mich kurzerhand warm an, sammelte den Plastikmüll ein und beschloss einen Spaziergang zum Container zwei Straßen weiter. Um die Zeit ist sonntags ja niemand unterwegs. Naja, ausser vielleicht ehrgeizige Jogger, schlaflose Jungeltern und andere Quarantänende, denen ich selbstverständlich großzügig auswich.

Daheim musste ich mich wieder in's Bett legen. Ein Frühstück bestand aus Joghurt mit Banane und Kaffee, wovon ich nicht wirklich was schmeckte. Der Husten wurde im Laufe des Tages stärker, was mich am Schlafen hinderte. Ein kleines Mittagessen mit Kartoffeln und Rührei gegen 11.00 führte zu Bauchweh und Durchfall. Später führte ich ein, zwei nette Telefonate, die jedoch durch diese Symptomatik sehr plötzlich abgebrochen werden mussten. Bei Husten halte ich das Mikro zu aber auf der Toilette will ich wahrlich nicht telefonieren. Das ist mir zu intim. Zudem brauche ich beide Hände, um meinen automatisierten Bewegungsablauf einzuhalten. Für alles andere muss ich nachdenken, was mir heute insgesamt sehr schwer fiel.

Ein weiteres Symptom ist meine - wie man im Bayrischen sagt - Gfühligkeit. Das kann entweder mit der Tatsache zusammenhängen, dass ich krank bin und mich wie ein waidwundes Tier verhalte, das sich zurückzieht, um zu sterben (na schön, das war jetzt wirklich ein wenig übertrieben, denn ich bin sehr sicher, dass ich nicht an Corona sterben werde; dann wären ja drei Impfdosen verschwendet) oder an meinen Wechseljahrsauswirkungen. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf die Emotionalität, sondern auch auf Schweißausbrüche, von denen ich nie weiß, ob sie vom Fieber oder den Hormonen ausgelöst wurden. Und da wären wir wieder bei meinem Problem des fehlenden Thermometers. Die Hitzewellen hatte ich lange Zeit ganz gut im Griff. Bei mir wirkt eine kohlehydratarme Ernährung (kein Brot, Pasta, Zucker, aber Brokkoli und Kartoffeln) - rein subjektiv erprobt, d.h. wirkt bei mir, muss aber nicht zwingend bei anderen. Aber die Gefühle fahren gerade sehr Karussell, ich bin empfindlich und schnell verletzbar. Gibt's da was von Ratiopharm?

Frau Novemberregen bot in den Kommentaren an, die Macht des Internets in Bewegung zu setzen, damit ich meinen Arsch daheim lassen kann. Ja, so hat sie's formuliert. Für mich ist die Möglichkeit immer noch wie ein Wunder, dass sich Dinge aus dem Virtuellen vor meiner Wohnungstüre manifestieren. Hätte es 10 n.Chr. schon Internet gegeben, ich hätte genau mit dem Hintergrund diese Wunder verstanden, bei dem aus Wasser Wein wird (etwa so). Nach einem sehr langen und schwierigen Telefonat wartete die Nachricht von Frau Novemberregen in meinem Postfach, dass sich morgen mein Wunsch nach einem Thermometer materialisiert. Dafür habe ich ihr versprochen, mich bei meinem nächsten Frankfurtaufenthalt ihrer Bügelwäsche zu widmen. Ist ja auch nicht immer so einfach, ein Hilfsangebot anzunehmen und mich nicht revanchieren zu können. Ein weiteres Angebot kam aus der Familie meines Bruders. Die würden mich gerne für die Krankheitszeit bei sich aufnehmen, damit ich gut versorgt bin. Allerdings wohnen die in der Nähe von Erlangen und im Haushalt befinden sich Kleinkinder. Auch wenn mein Bruder ein sogenannter Coronaleugner ist, kann ich das Angebot nicht mit gutem Gewissen annehmen. Gerührt hat es mich dennoch. Ist nicht so, als hätte ich keine lieben Menschen um mich, nur wohnen fast alle zu weit weg.

So bleibe ich halt zuhause, vertreibe mir die Zeit im Netz und gehe vielleicht mal in der Dämmerung vor die Türe. Knoblauch mag ich übrigens auch nicht, das aber nur am Rande. Meinen Coronavirus stelle ich mir in etwa so vor und hoffe, alle Eindringlinge werden von den weißen Blutkörperchen gehörig getriezt.

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Sonntag, 29. Mai 2022
The Queen of Corona
Letzthin kam im Fernsehen die Wiederholung des Centralparkkonzerts von Simon & Garfunkel, das so um 1981 stattgefunden hat. Eigentlich wäre ich alt genug gewesen, das bereits mitzubekommen, verhielt mich jedoch damals gegenüber jeglicher Populärmusik misstrauisch. Kennengelernt habe ich diese Musik dann erst Ende der Achziger durch einen Freund. Und plötzlich schien alles aus dieser Ära unglaublich interessant - Beatles, John Lennon, Joan Baez, Joni Mitchell, Bob Dylan (you name it) und eben Simon & Garfunkel. Das war jetzt ne sehr lange Einleitung für ein völlig anderes Thema, soll aber den Titel meines Eintrags erklären.

Ich habe Corona. Ich, die zwei Jahre mit 3M geflogen ist, die Maske für 16 Stunden toujours aufhatte und die dafür Migräne im Layover in Kauf nahm. Alles kein Spaß, doch war ich mir sicher, dass die Alternative, nämlich zu erkranken auch nicht so super wäre. Auf dem letzten Flug war ich mutig. Oder leichtsinnig, je nachdem wie man es verstehen will. Ich trug eine OP Maske, die nicht so dicht und weniger gut sitzt. Da Passagiere meist ihre Masken intuitiv absetzen, wenn sie mit uns sprechen, habe ich mir angewöhnt, den Kopf ab und das Ohr zuzuwenden. Zugegeben, es ist leichter, bei Umgebungslärm die Lippenbewegungen zu sehen. Das unterstützt die Verständigung ungemein. Andererseits will ich nicht die volle Ladung Viren ungehindert in meine Richtung katapultiert wissen. Und so hat es mich eben erwischt.

Angefangen hat's sehr harmlos. Nach einem Flug teste ich mich meistens, vor allem bevor ich mich mit anderen Menschen treffe. Der Test war negativ - wie zu erwarten. Dann spürte ich leichtes Kratzen im Hals und Verlust der Geschmackssinne. Ich wartete ab, überlegte noch, ob ich den nächsten Flug werde antreten können und beschloss, die Entscheidung auf den nächsten Tag zu verschieben. Jetzt ist es bei uns so, dass ich meine Flugwünsche einmal im Monat in ein System eingebe - was ich davon zugeteilt bekomme, hängt von vielen Faktoren ab - und plane dann in der Ruhezeit, die dieser Flug auslöst, wichtige Termine, Arztbesuche oder auch einfach nur private Treffen. Kann ich einen Flug wegen Krankheit nicht antreten, verliere ich gleichzeitig auch die freien Tage danach. Sobald ich mich gesund melde, bekomme ich einen beliebigen Flug zugeteilt. Bei mehr als zehn Abwesenheitstagen (Krankheit, Urlaub, Freistellungen) im Monat kann bereits ein Fehltag den kompletten Monatsplan obsolet machen. Man kann sich unschwer vorstellen, wie viel Druck auf der Entscheidung für eine Krankmeldung lastet. Dutzende Male bin ich schon halb krank geflogen, kürzlich erst mit einer durch einen Treppensturz verrenkten und gezerrten Schulter. "Geht schon" ist nicht nur mein Motto, sondern auch das der Mehrzahl im Kollegium.

Bereits am Abend kündigten sich Gliederschmerzen und starkes Kopfweh an, gefolgt von hohem Fieber und Schüttelfrost. Das war der Zeitpunkt, an dem mir klar wurde, dass ich den Flug am nächsten Tag nicht antreten können würde. Ein Schnelltest gegen 4.00 nach sehr unruhiger Nacht bestätigte meine Befürchtung. Und was tat ich danach als erstes? Ich spülte mein Geschirr ab. Mit fast 40 Fieber. Wie so 'ne schwäbische Hausfrau. Danach ging ich unter die Dusche, weil man nie wissen kann, wie so eine Infektion verläuft und ich frische Wäsche nicht ungeduscht anziehe. Und dann kann man ja auch gleich Haare waschen, weil es sich im Krankenhaus so schlecht Haare wäscht und überhaupt guten Eindruck hinterlassen und so. Alles in allem ein erheblicher Kraftakt, den ich mir hätte sparen können. Erziehung my ass.

Um zehn vor acht stand ich dann am noch verschlossenen Eingang des Testzentrums im Gasteig. Man solle bitte mit privaten Verkehrsmitteln anreisen oder mit dem Fahrrad. Steht auf der Internetseite bei Terminvergabe. Mit.Dem.Fahrrad! Im Ernst, hätte ich Rad fahren können, wäre ich arbeiten gegangen. Die Einsatzplanung hatte ich bereits um 5.00 über meine Coronainfektion informiert. Und auch das war gar nicht so einfach. Ich mache den Job jetzt seit 23 Jahren und musste mich in der Vergangenheit ab und zu krank melden aber Corona schaltet ein völlig neues Level der Krankmeldung frei. Da ruft man nicht an, wartet die Bandansage ab und drückt im richtigen Moment die eins. Nein, da gibt es so viele Regularien zu beachten, dass ich die Zeit zwischen 5.00 und 7.00 Dienstvorschriften lesend verbrachte. Ein halbes Jahr keine Chinaeinsätze, hier eine Meldung mit Antikörpernachweis hinschicken, dort eine andere Bestätigung. Ich weiß nicht, wie andere das schaffen, zumal die Gruppe der Flugbegleitenden im Schnitt nicht unbedingt die intelligenteste ist. Jedenfalls brauchte ich für diesen Prozess sehr viel Konzentration, die ich nur mit viel Anstrengung und mehreren Schmerzpillen - die guten aus USA - aufbrachte. Meine Mitochondrien arbeiteten im oberen, roten Bereich der Betriebstemperatur.

Zum Testzentrum also mit 3M Maske und so viel Abstand, wie in öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Mein Mitleid mit potentiell Anzusteckenden weil nicht korrekt Maske Tragenden hält sich allerdings in Grenzen, weshalb ich auf dem Rückweg noch schnell einkaufen ging. Die Gummihandschuhe zog ich irgendwann aus. Ich hatte sie beim Anziehen ja schon aussen berührt. Und dann lag ich erst mal daheim im Bett, bis irgendwann nachmittags mein altes Quecksilberfieberthermometer auf den Boden fiel und fortan unbeirrt behauptete, meine Temperatur sei inzwischen bei 43°. Da schwang ich mich tatsächlich auf mein Fahrrad und fuhr zum Drogeriemarkt, denn an einem Samstag ist die nahe gelegene Apotheke nach zwölf zu. Ich fuhr langsam, mit Schweißausbrüchen, die nicht an der Aussentemperatur lagen. Die Radwege erschienen mir noch nie so schmal wie gestern. Das erste Thermometer - irgendwas sehr Neumodisches - nahm ich mit heim und sofort in Betrieb. Eine ganz eigene Herausforderung, denn während man so ein Quecksilberstäbchen einfach in eine Körperöffnung steckt, muss das Hightecteil nach genauen Vorschriften in Betrieb genommen werden. Ich weiß immer noch nicht, ob mein Fieber inzwischen gesunken ist, denn nach einer Stunde erfolgloser Messversuche, bei der sich das Ding einfach ausschaltete, beschloss ich, bei beginnendem Delirium einfach den Notarzt zu rufen - die Nummer ist eingespeichert.

Und das war dann auch genug Abenteuer für meinen kranken Körper an einem Samstagnachmittag. Bitte lassen Sie gerne Mitleidsbekundungen da, die sollen auf den Heilungsprozess nachweislich förderlich wirken.

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Sonntag, 15. Mai 2022
Trainwreck


Am Münchner Hauptbahnhof führt der Weg von meiner U-Bahn zu den Gleisen in der Haupthalle durch den Untergrund. Man läuft eine Weile, da die Eingangshalle umgebaut wird und der direkte Weg versperrt ist. Mir fällt eine Gruppe Frauen mit Kindern auf, die in Spannbettlaken gewickelte Bündel tragen. Eine eher kleinere Frau trägt in einem Arm einen Säugling, die andere Hand schleppt und zieht das riesige Knäuel. Ich biete meine Hilfe an, bin aber nicht sicher ob sie mich versteht. Ihr Blick ist starr ohne erkennbare Mimik. Das Bündel ist schwer, obwohl wir es gemeinsam halten. Mein eigenes Gepäck habe ich an der anderen Hand. Schließlich lässt sie los, um den Säugling nach oben zu rutschen. Mir fallen vor uns weitere Frauen auf. Sie sind alle auf dem Weg zur Haupthalle bei den Gleisen. Am Fuß der Rolltreppe bildet sich eine riesige Traube. Die Frau mit dem Kinderwagen zögert und ruft einem kleinen Jungen davor immer ungeduldigere Worte zu, die sich für mich russisch anhören. Der etwa Vierjährige traut sich nicht, die schnell fahrenden Stufen zu betreten. Ich lasse das Bündel los und gehe nach vorne, strecke dem Jungen meine Hand entgegen, doch der hat Angst. Schließlich greift er danach und wir hüpfen auf die Treppen. Ein Lachen erhellt sein Gesicht. Oben hüpfen wir erneut auf die Endplatte. Er lässt meine Hand los und sucht seine Mutter. Die Frau mit dem Säugling wartet auf mich. Schließlich sammeln sich alle in einer großen Gruppe mittig vor den Gleisen. Es sind viele. Sie fahren wieder zurück in die Ukraine. Eine Frau bedankt sich bei mir für meine Hilfe. Ich greife in meine Tasche und hole das Plüschtier heraus, das für meine Nichte gedacht war, gebe sie meinem kleinen Rolltreppengefährten und winke zum Abschied. Dann muss ich weinen.


In einem Bericht aus Polen hörte ich von der Beobachtung, dass die ukrainischen Kinder jetzt nicht mehr weinen und es allgemein sehr still sei, weil sie auch bei den traumatisierten Eltern keinen Schutz mehr finden. Sie sind mit ihren Ängsten völlig auf sich gestellt. Ich kenne diese Reaktion als Einzelfall bei der Betreuung traumatisierter Kinder, nicht aber in dieser großen Masse.

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