Freitag, 12. August 2022
Be Sure to Wear Some Flowers in Your Hair


Bombastisches Wetter in San Francisco, wo es häufiger regnet und nebelt als in Hamburg. Na gut, das schreibe ich nur, weil es so ein schöner Übergang vom letzten Eintrag über die Nebelausstellung ist. Eigentlich bin ich nämlich vor dem heißen Europäischen Sommer hierher geflüchtet. Der Wetterbericht versprach bewölkte 19°C, doch der Wind vertreibt die Wolken. Schließlich laufe ich ohneärmelig - eine Bezeichnung aus meinem frühkindlichen Wortschatz - aber mit Jacke über die Hügel. Wahrscheinlich kaufen im selben Moment zwei meiner Kollegen Kleidung, weil es hier meist kühler als erwartet ist. Übrigens laufe ich an diesem Tag mehr auf und ab als sowieso schon in San Francisco, weil die Vizepräsidentin da ist und ein ganzer Block abgesperrt wurde. Um einen Block herumgehen bedeutet hier aber entweder steil hoch oder steil runter. Das fühlt sich zu Fuß wie städtisches Bergsteigen an (urban mountainclimbing). Ich komme aus München und habe in Stuttgart Führerschein gemacht, ich kann das beurteilen.

Ob die Amerikaner diese alten Autos überhaupt fahren können? Am Berg anfahren? Mit Handbremse? Ich bezweifle das. Die auf Oldtimer spezialisierte Werkstatt hat anscheinend gut zu tun.

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Too Late to Apologize


Mason Street, San Francisco

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Mittwoch, 3. August 2022
Fog


Auf den letzten Drücker, nämlich am vorletzten Ausstellungstag, war ich endlich in der spektakulären Installation von Fujiko Nakaya im Haus der Kunst. Richtig, ich war drin. Der Besuchende sieht die nämlich nicht nur, sie ist auch spür- und riechbar. Wenn in den großen Raum vom Wasserbeckenrand aus Düsen der Nebel sprüht, versinken alle Personen darin. Das trübe blaugrünliche Oberlicht trägt zum Stimmungsbild bei und lässt alles noch ein wenig unwirklicher erscheinen. Als ich vom Nebel umhüllt war, konnte ich ihn nicht nur aussen an meinem Körper spüren, ich spürte ihn beim Einatmen auch in mich dringen. Noch nie war ich so sehr Teil einer Kunstinstallation wie bei dieser. Während Kunstschaffende dies immer wieder bewirken wollen, wenn sie mit sich unter Betrachtung verändernden Kunstwerken darauf hinweisen, so bleibt dieser gewünschte Effekt meist auf der intellektuellen Ebene stecken.

Im Vorfeld stand die Kleiderfrage und jene, ob ein Regencape notwendig sei. Schließlich fiel die Entscheidung auf Latex. Es verträgt Nässe und fungiert als Bindeglied zwischen Körper und Kunstwerk. So sind wir ein bisschen zum Kunstwerk im Kunstwerk geworden. Dass wir damit nicht vom eigentlichen Fokus ablenken würden, stellten wir sicher, indem wir alltagstaugliche Formen wählten. Allerdings waren wir im Nebel letztlich sowieso unsichtbar.









Es wurden zudem Bilder, Projektionen und Filme über frühere Installationen der Künstlerin gezeigt. Auch hier integrierten wir uns sozusagen in's Werk.





Für mich war das eine aufregende Aktion, denn obwohl heutzutage viel mehr Aussergewöhnliches im öffentlichen Raum toleriert wird, waren wir natürlich Blickfang. Das begann schon auf dem Weg durch den Englischen Garten zum Haus der Kunst. Passanten schauten kurz, dann weg, nach Passieren drehten sie sich um, Gruppen verstummen, begannen dann hinter unserem Rücken aufgeregt zu tuscheln, Handys wurden gezückt, angebliche Selfies kopfüber geschossen. Niemand fragte oder sprach uns an. Ich beschreibe hier meine Beobachtung völlig wertfrei. Natürlich waren die Leute verwundert, natürlich genossen wir die verhohlene Aufmerksamkeit, doch vermisste ich die Offenheit des jungen Mannes mit mutmaßlichem Down-Syndrom, der uns von oben bis unten musterte und dann breit anlachte. Wir lachten erleichtert zurück.
An der Nordseite des Hauses gingen wir die Treppe hoch auf die Terrasse der Goldenen Bar. Von dort gelangte man zur Ostseite und damit zur Ausseninstallation. Auch hier schienen die Leute bemüht wegzusehen, ihre Blicke waren aber im Rücken zu spüren. An der geöffneten Flügeltüre der Ostseite kam uns eine Aufsichtsperson entgegen, die ich fragte, ob wir hier die Ausstellung betreten dürften. Er lächelte und meinte nach kurzem Blick auf die Eintrittskarten, es sei offensichtlich, dass wir uns explizit für diese Ausstellung zurechtgemacht hätten.

Ich begreife Kunst als das Mittel zur Verbindung zwischen Menschen. Der Kunstschaffende drückt in seinem Medium das aus, was im Gespräch schwer begreifbar zu machen ist. Im Rahmen einer Kunstausstellung sind die Menschen offener für die Auseinandersetzung mit Andersartigkeit. Ich hätte mir gewünscht, mit denen in Kontakt zu treten, die sich hinter unserem Rücken über unser Auftreten äusserten - verbal oder nonverbal. Wie aber kann überhaupt ein Miteinander entstehen, wenn wir uns nicht einmal mehr in die Augen schauen?

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Mittwoch, 27. Juli 2022
How Do You Sleep?
Wenn Leute hören, dass ich mich bei einer simplen Erkältung krankmelde, werde ich gelegentlich mitleidig belächelt. Muss ich mich wirklich für sowas vor Menschen rechtfertigen, die nicht alle Implikationen meines Berufes kennen? Ich denke, spätestens wenn wieder irgendwo ein Flieger wegen menschlichem Versagen abstürzt - was im Klartext, da machen wir uns nichts vor, fehlende Reaktionsfähigkeit bedeutet - wird auch dem letzten Zweifelnden klar, wieso ich mich wegen Übermüdung gegen den Arbeitsantritt entscheide. So vor zwei Tagen geschehen.

Bei fehlendem Schlaf habe ich zwar bei alltäglichen Beschwerden und Schimpftiraden die hilfreiche LmA Einstellung, nicht aber die Klarheit, im Notfall Prioritäten sinnvoll abzuarbeiten. In meinem Fall bedeutet das nicht zwangsläufig einen Absturz aber was tun Sie, wenn Sie schließlich unten sind? Richtig, Sie wollen raus aus dem brennenden oder im besten Falle nur demolierten Teil, und zwar möglichst schnell und mit möglichst wenig Schaden an Leib und Seele. Na gut, der Absatz wird vielleicht auf der Strecke bleiben, dafür nicht der ganze Fuß oder das Bein, wenn es irgendwo drinsteckt und die Panikmenge über Sie drüber steigt. Oder beim weniger dramatischen Fall, in dem Sie vielleicht im Flug ein medizinisches Problem ereilt. Da möchten Sie sich in guten Händen wissen, wenn mal wieder kein Arzt an Bord und der nächste Flughafen mehr als drei Flugstunden weg ist.

Genau das kann ich nach nur zwei Stunden Schlaf nicht garantieren. Übrigens kann ich es unter normalen Umständen nach 12 Stunden Flug kurz vor der Landung auch nicht mehr zu 100%. Wenn da vorher schon ein Defizit war, wird's kriminell. Wie oft habe ich von Kolleg:innen gehört, die sich eben durchbeissen. Für ihren Folgeplan, der nach Krankmeldung meist obsolet wird oder für dieses zweifelhafte Pflichtbewusstsein, das man als Kind eingetrichtert bekommen hat und das Sich-Aufreiben für eine unpersönliche Institution feiert und ein sogenanntes Burnout als Simulantentum abtut. Das geschieht nicht nur durch die Gesellschaft von aussen, das haben viele von uns sehr erfolgreich internalisiert und dann als Wertevorstellung an ihre Nachkommen weitergegeben.

Es gibt Berufsgruppen, die leiden unter Dauermüdigkeit. Schichtarbeitende im Gesundheitswesen oder Serviceberufen genau wie andere an Schnittstellen Arbeitende, die einen Betrieb am Laufen halten und nie fehlen dürfen. Man merkt's erst, wenn sie genau das tun. Deshalb an dieser Stelle die Bitte: seien Sie nett zu denen, erwähnen Sie nicht, wie müde jemand aussieht, sondern bedanken Sie sich stattdessen für deren Arbeit. Das wirkt nämlich viel belebender als alles andere. Natürlich freuen wir uns über mehr Gehalt aber ein bisschen Freundlichkeit kann mir einen ganzen Tag retten, wenn ich mich mal wieder kaum noch auf den Beinen halten kann. Und urteilen Sie nicht, wenn Sie nicht in der gleichen Position sind oder irgendwann waren. Niemals. Damit sind Sie übrigens in allen Lebenslagen gut beraten.

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