Mittwoch, 19. Dezember 2007
Cut your hair
frau klugscheisser, 21:57h
Man sagt, wenn eine Frau eine neue Frisur hat, steckt eine Trennung dahinter. Gelegentlich mag das zutreffen und die ein oder andere sieht danach aus, als wollte sie sich selbst bestrafen. Ich habe frisurentechnisch alles getragen: Bob, schulterlang, lang, sehrsehr lang, Stufenschnitte, kurz, sehrsehr kurz, verunglückte Dauerwell- und Farbexperimente inbegriffen. Letztere wären definitiv ein Trennungsgrund gewesen. Trotzdem löst der Spruch inzwischen einen Gähnreflex bei mir aus, denn mein größter Antrieb für einen Friseurbesuch ist aufkommende Langeweile. Schulterlanges Haar ist nämlich nicht nur enorm praktisch - man kann es beim Sport zusammenbinden, braucht kein aufwendiges Föhnstyling, das extrem regen-, wind- und mützenempfindlich reagiert, und es wächst kostengünstig nach - es ist auch enorm langweilig. Wenn die Langeweile am größten ist, muss die Schere her. So auch vor zwei Wochen. Der ultimative Kick ist zusätzlich der Besuch eines neuen Friseures, und ich lege noch einen drauf:
Mein neuer Schnitt ist Made in Hongkong!
An der Türe steht '59 HKD for walk along', was soviel bedeutet wie 6 Euro mit ohne Vorwarnung. Nach einem Rundblick wird mir langsam klar, warum der Preis so niedrig ist, ich finde nämlich keinen Eingang. Der enge Treppenaufgang neben dem Schild führt vorbei an offenen Drähten und Sicherungskästen in den zweiten Stock. Hinter einer Glastüre starren drei Halbstarke gespannt auf einen Monitor. Zunächst werde ich nicht beachtet. Die wenigen Sitze vor den Spiegeln sind leer. Ein Mädchen sitzt kaugummikauend auf einem Sofa, an der Wand dahinter ein riesiges Kinoplakat von einem drittklassigen Actionstreifen. Vergeblich suche ich nach friseursalonüblichen Anhaltspunkten wie beispielsweise Waschbecken, Handtücher oder Kundinnen. Nirgends Haarsprayflaschen und Walla (Name von der Redaktion geändert) Produktinformationen. Ich sage laut "Hello! I want a haircut", mehr um mich zu versichern, dass ich nicht aus Versehen im Wohnzimmer einer chinesischen Durchschnittsfamilie gelandet bin als aus Überzeugung, worauf eine kleine, dickliche Chinesin mittleren Alters hinter einer Trennwand hervorschießt, an meiner Jacke zerrt, bis ich sie freiwillig auf den angebotenen Bügel hänge und mich schließlich in ein Hinterzimmer bugsiert.
Das Zimmer ist mit einem roten Liegepolster - eine Mischung aus Hippiesitzmöbel und veraltetem Zahnarztstuhl ohne Mechanik - und einem Waschbecken ausgestattet. Mehr passt hier nicht rein. Die Chinesin positioniert sich hinter das Waschbecken, krempelt die Ärmel hoch und deutet energisch auf das Polster. Zögerlich sinke ich hinein, die Füße auf einer umgestürzten Bananenkiste, und starre die nächsten fünfzehn Minuten auf ein weiteres Kinoplakat an der Wand. Über den chinesischen Schriftzeichen der Kopf eines Mannes, der sich mit zärtlichem Blick zum Kuss über das Gesicht einer Frau beugt. Ein westlicher, dennoch kein bekannter Film, keine bekannten Schauspieler. Ich konzentriere mich sehr angestrengt auf das Bild, denn was die Chinesin währenddessen mit meinem Kopf anstellt ist alles andere als zärtlich. Widerstand ist zwecklos, zumindest schätze ich sie so ein. Als sie, wie schon unzählige Male zuvor, meinen Kopf resolut nach vorne wirft und ein Handtuch um die nassen Haare schlingt, ist die Folter vorbei. Eine Ganzkörpermassage überleben vermutlich nur die Härtesten.
Dann werde ich auf einen der Stühle vor einem Spiegel gewiesen. Einer der Halbstarken drapiert ein Mäppchen mit Scheren und Kämmen auf dem kleinen Tischchen daneben, befestigt einen Umhang an meinem Hals und entfernt das Handtuch. Die Chinesin wirft mir noch einige Hochglanzmagazine in den Schoß, bevor sie verschwindet. Nice to meet you, too. Jetzt beginnt der schwierigere Teil. Wie mache ich dem Mann klar, was ich wünsche? Mit der Handkante zeichne ich eine Linie unterhalb meines Unterkiefers nach. Er nickt eifrig und beginnt zu schneiden, nachdem er meinen Kopf nach vorne gedrückt und mir alle Haare von hinten über das Gesicht gekämmt hat. Ich versuche durch den nassen Haarschleier vor meinen Augen zu schielen, doch bei der kleinsten Bewegung wird mein Kopf wieder auf die Brust gedrückt.
Spontan erinnere ich mich an eine alte Geschichte, die in meiner Familie immer wieder Erwähnung fand. In Jugendjahren ging mein Vater zum Friseur in Südamerika. Die Frage "Inglés?" beantwortete er mit "Aleman", worauf ihm der Friseur in Windeseile einen zackigen Irokesenschnitt verpasste. Die heutige Konversation mit meinem Friseur ist ähnlich wortkarg. "Shorter", korrigiere ich als er die Seiten angleicht. Das Spiel beginnt von Neuem. Inzwischen ist meine Hals- und Nackenmuskulatur gut gedehnt. Aber auch das geht vorbei.
Während er so vor sich hinschneidet, brüllt er das kaugummikauende Mädchen auf dem Sofa an. Die springt auf und bringt ein Gerät, das mich mehr an ein Waffeleisen als an friseurhandwerkliches Hilfsmittel erinnert. Etwas beunruhigt frage ich nach dem Sinn des Gerätes. Er scheint nicht zu verstehen und legt stetig mein Haar Strähne für Strähne zwischen die heißen Platten. Wurde vorher noch jede Kopfbewegung mit Unbill gestraft, bedeutet ab jetzt jedes noch so kleine Zucken Verletzungsgefahr. "To straighten hair," sagt er grinsend. Ich hatte mein ganzes Leben lang zu meinem Leidwesen sehr glattes Haar, mal abgesehen von den oben genannten Dauerwellkatastrophen und selbst die hingen sich schon kurz nach Verlassen des Salons aus. Man könnte mich sozusagen als Prototyp des Spaghettilooks bezeichnen. Wozu um alles in der Welt will der Mann meine Haare glätten? Das wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben.
Das Föhnen (ja das waren noch Zeiten, als man den natürlichen warmen Luftstrom vom maschinell erzeugten durch das 'h' unterschied) eine einzige Reminiszenz an die Kollegin hinter dem Waschbecken. Schließlich hält er stolz den Spiegel hinter meinen Kopf, damit ich die neue Frisur von allen Seiten betrachten kann. Nicht ganz wie ich es wollte, doch einigermaßen ordentlich ist es geworden. Ich zahle und verlasse erschöpft den Salon. Immerhin ernte ich am nächsten Tag zahlreiche Komplimente von den Kollegen. Die schicke neue Brille fällt keinem auf. Alles neu, alles Made in Hongkong, selbst die Kopfschmerzen. So schnell wird mir nicht mehr langweilig. Und bleibt mir bloß weg mit den Männern.
Cut your hair
Mein neuer Schnitt ist Made in Hongkong!
An der Türe steht '59 HKD for walk along', was soviel bedeutet wie 6 Euro mit ohne Vorwarnung. Nach einem Rundblick wird mir langsam klar, warum der Preis so niedrig ist, ich finde nämlich keinen Eingang. Der enge Treppenaufgang neben dem Schild führt vorbei an offenen Drähten und Sicherungskästen in den zweiten Stock. Hinter einer Glastüre starren drei Halbstarke gespannt auf einen Monitor. Zunächst werde ich nicht beachtet. Die wenigen Sitze vor den Spiegeln sind leer. Ein Mädchen sitzt kaugummikauend auf einem Sofa, an der Wand dahinter ein riesiges Kinoplakat von einem drittklassigen Actionstreifen. Vergeblich suche ich nach friseursalonüblichen Anhaltspunkten wie beispielsweise Waschbecken, Handtücher oder Kundinnen. Nirgends Haarsprayflaschen und Walla (Name von der Redaktion geändert) Produktinformationen. Ich sage laut "Hello! I want a haircut", mehr um mich zu versichern, dass ich nicht aus Versehen im Wohnzimmer einer chinesischen Durchschnittsfamilie gelandet bin als aus Überzeugung, worauf eine kleine, dickliche Chinesin mittleren Alters hinter einer Trennwand hervorschießt, an meiner Jacke zerrt, bis ich sie freiwillig auf den angebotenen Bügel hänge und mich schließlich in ein Hinterzimmer bugsiert.
Das Zimmer ist mit einem roten Liegepolster - eine Mischung aus Hippiesitzmöbel und veraltetem Zahnarztstuhl ohne Mechanik - und einem Waschbecken ausgestattet. Mehr passt hier nicht rein. Die Chinesin positioniert sich hinter das Waschbecken, krempelt die Ärmel hoch und deutet energisch auf das Polster. Zögerlich sinke ich hinein, die Füße auf einer umgestürzten Bananenkiste, und starre die nächsten fünfzehn Minuten auf ein weiteres Kinoplakat an der Wand. Über den chinesischen Schriftzeichen der Kopf eines Mannes, der sich mit zärtlichem Blick zum Kuss über das Gesicht einer Frau beugt. Ein westlicher, dennoch kein bekannter Film, keine bekannten Schauspieler. Ich konzentriere mich sehr angestrengt auf das Bild, denn was die Chinesin währenddessen mit meinem Kopf anstellt ist alles andere als zärtlich. Widerstand ist zwecklos, zumindest schätze ich sie so ein. Als sie, wie schon unzählige Male zuvor, meinen Kopf resolut nach vorne wirft und ein Handtuch um die nassen Haare schlingt, ist die Folter vorbei. Eine Ganzkörpermassage überleben vermutlich nur die Härtesten.
Dann werde ich auf einen der Stühle vor einem Spiegel gewiesen. Einer der Halbstarken drapiert ein Mäppchen mit Scheren und Kämmen auf dem kleinen Tischchen daneben, befestigt einen Umhang an meinem Hals und entfernt das Handtuch. Die Chinesin wirft mir noch einige Hochglanzmagazine in den Schoß, bevor sie verschwindet. Nice to meet you, too. Jetzt beginnt der schwierigere Teil. Wie mache ich dem Mann klar, was ich wünsche? Mit der Handkante zeichne ich eine Linie unterhalb meines Unterkiefers nach. Er nickt eifrig und beginnt zu schneiden, nachdem er meinen Kopf nach vorne gedrückt und mir alle Haare von hinten über das Gesicht gekämmt hat. Ich versuche durch den nassen Haarschleier vor meinen Augen zu schielen, doch bei der kleinsten Bewegung wird mein Kopf wieder auf die Brust gedrückt.
Spontan erinnere ich mich an eine alte Geschichte, die in meiner Familie immer wieder Erwähnung fand. In Jugendjahren ging mein Vater zum Friseur in Südamerika. Die Frage "Inglés?" beantwortete er mit "Aleman", worauf ihm der Friseur in Windeseile einen zackigen Irokesenschnitt verpasste. Die heutige Konversation mit meinem Friseur ist ähnlich wortkarg. "Shorter", korrigiere ich als er die Seiten angleicht. Das Spiel beginnt von Neuem. Inzwischen ist meine Hals- und Nackenmuskulatur gut gedehnt. Aber auch das geht vorbei.
Während er so vor sich hinschneidet, brüllt er das kaugummikauende Mädchen auf dem Sofa an. Die springt auf und bringt ein Gerät, das mich mehr an ein Waffeleisen als an friseurhandwerkliches Hilfsmittel erinnert. Etwas beunruhigt frage ich nach dem Sinn des Gerätes. Er scheint nicht zu verstehen und legt stetig mein Haar Strähne für Strähne zwischen die heißen Platten. Wurde vorher noch jede Kopfbewegung mit Unbill gestraft, bedeutet ab jetzt jedes noch so kleine Zucken Verletzungsgefahr. "To straighten hair," sagt er grinsend. Ich hatte mein ganzes Leben lang zu meinem Leidwesen sehr glattes Haar, mal abgesehen von den oben genannten Dauerwellkatastrophen und selbst die hingen sich schon kurz nach Verlassen des Salons aus. Man könnte mich sozusagen als Prototyp des Spaghettilooks bezeichnen. Wozu um alles in der Welt will der Mann meine Haare glätten? Das wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben.
Das Föhnen (ja das waren noch Zeiten, als man den natürlichen warmen Luftstrom vom maschinell erzeugten durch das 'h' unterschied) eine einzige Reminiszenz an die Kollegin hinter dem Waschbecken. Schließlich hält er stolz den Spiegel hinter meinen Kopf, damit ich die neue Frisur von allen Seiten betrachten kann. Nicht ganz wie ich es wollte, doch einigermaßen ordentlich ist es geworden. Ich zahle und verlasse erschöpft den Salon. Immerhin ernte ich am nächsten Tag zahlreiche Komplimente von den Kollegen. Die schicke neue Brille fällt keinem auf. Alles neu, alles Made in Hongkong, selbst die Kopfschmerzen. So schnell wird mir nicht mehr langweilig. Und bleibt mir bloß weg mit den Männern.
Cut your hair
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frau klugscheisser,
19. Dezember 2007, 22:30
Jetzt hab' ich doch glatt vergessen, meinen abendlichen Kampf mit der Rundbürste gegen die ge'straighten'den Haare zu erwähnen. Mist.
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dus,
26. Dezember 2007, 15:18
hehe, haarig.
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