Dienstag, 26. Dezember 2006
I want to be a part of it
Ich habs versucht, ehrlich, habe den Atem angehalten, um nicht versehentlich ein Weihnachtsmolekül zu inhalieren, habe mich der Geschenkepflicht entzogen und keine allgemeingültigen Wünsche zum Fest abgesondert. Ich habe tapfer genickt, wenn mir einer schöne Weihnachten wünschte, die Jalousien heruntergezogen und geweint. Irgendwie muss dieses hinterlistige Ding aus einem der Lüftungsschlitze hereingekrochen sein. Da war er also, der Weihnachtsvirus. Kurz vor dem Erstickungstod inhaliert, invadierte er meinen Körper über die Alveolen, setzte das Restratio ausser Kraft und übernahm die Kontrolle über das vegetative Nervensystem. Die Folge waren unkontrollierbare Selbstmitleidsausbrüche. Ganz widerstandslos wollte ich das Feld jedoch nicht räumen. Vereinzelt kämpften in meinem Kopf noch Partisanen mit Ironieschwert und Realitätsschilde gegen den Eindringling, mussten sich aber beim Großeinsatz von Hormonwaffen geschlagen geben.

Um mich dem allgemeinen Frohlocken zu entziehen, verordne ich mir einen Flug. Eine Kollegin verteilt Schokoläuse im Briefing. Auf dem Tisch brennen Teelichter. Die Kollegen sind guter Dinge. Ich möchte gerne wieder nachhause. Der Kapitän und die Purserkollegin auch. Hilft aber nicht. Wir fliegen nach New York.

New York? Oh mein Gott. Erst jetzt fällt mir auf, dass meine Wahl reichlich unüberlegt war. Um Weihnachten zu umgehen, muss man mindestens nach Asien fliegen oder Timbuktu. Auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel überall Bäume mit Lichterketten. Ein Blick nach links auf Kevins Baum am Rockefeller Center, und einer nach rechts in die dekorierten Schaufenster genügen, um anschließend den Blick auf meine Hände zu zwingen. Der Fernseher auf dem Zimmer bietet eine Auswahl an Moralgeschwängertem und Herzschmerz, unterbrochen von letzten Geschenkvorschlägen zu reduzierten Preisen. In Amerika wird Weihnachten erst am 25. gefeiert. Die letzten Gaben können rund um die Uhr an den Tagen zuvor erworben werden. Ich lösche das Licht und träume von Männern mit weißen Bärten und roten Nasen.


Das Wetter ist frühlingshaft mild. Ein starker Wind fegt durch die Häuserschluchten. Vor dem Hoteleingang ringt ein Schwarzer seinem Instrument gequälte Weihnachtsmelodien ab. Ein paar verstreute Passanten spazieren auf dem sonst stark frequentierten Broadway. Ich lasse mich treiben, überquere hier eine Straße, biege dort in eine Avenue ohne genaues Ziel. Irgendwo zwischen Madison und 51. soll ein Laden sein, wo ich nach Jeans gucken könnte. Den Namen habe ich vergessen, nach der dritten Ecke auch mein Vorhaben. Am MoMa vorbei, über die 5th Avenue, immer weiter Richtung Osten. Ein Obdachloser wärmt sich am Auspuff eines Maronistandes. Er trägt nichts außer einer Nikolausmütze und zwei um den Leib gebundenen Pappschildern. Auf dem Rückweg komme ich an der St. Patrick’s Cathedral vorbei. Ferngesteuert steige ich die Stufen zum Eingang hinauf und befinde mich mitten in der Weihnachtsmesse. Obwohl dies nie meine Absicht war, setze ich mich in eine der freien Bänke am Rande. Eine Rednerin gedenkt namentlich genannter Verstorbener, es wird gesungen und Gebete gesprochen. Als der Pfarrer aufruft, sich zum Zeichen des Friedens die Hände zu reichen ist mein Tränenkanal geöffnet. Bevor irgendein Fremder auf die Idee kommt, mich in seine Arme zu schließen, verlasse ich fluchtartig die Kirche. Manhattan hinterlässt nach dem Konsumwahn der vergangenen Tage einen deprimierenden Eindruck. Selbst der Weihnachtsbaum am Rockefeller Center scheint bei Tageslicht betrachtet in den letzten Zügen zu sein.

Wenigstens das wäre überstanden, denke ich, als ich das Flugzeug betrete. Mit einer Bescherung in der vorderen Küche habe ich nicht gerechnet. Die Purserkollegin hat Geschenke für jeden verpackt. Wir trinken Kinderpunsch und knabbern Spekulatius. Ich stehe ein wenig verloren zwischen den anderen und ziehe mich schnell zur Wache nach hinten zurück, wo ich den gläsernen Teelichthalter in meine Tasche verstaue. Jetzt steht er auf meinem Tisch. Das Licht der Kerze schimmert durch die Sterne des matten Glases. Ich weine ein bisschen. Dann zünde ich eine Zigarette an. Hilft ja alles nichts. Das nächste deprimierende Ereignis wirft schon seine Schatten voraus.

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DIe Bilder sehen aber so gar nicht deprimierend aus. Ich bin neidisch...

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Glaub mir, Du willst nicht tauschen. Nicht mal ich würde mit mir tauschen wollen.

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Dann drücke ich Dir mal die Daumen, dass alles sich bessert und ich bald vor Neid platze und unbedingt mit Dir tauschen will.

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Dann wünsch ich fröhliche Nicht-Weihnacht!

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Pscht. Nicht dieses Wort sagen.

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Ich hab' geschlafen, Phantasmagoria gespielt, geschlafen, den "bedürftigen Armen" kein Geld gegeben, Deus Ex gespielt, geraucht, geschlafen. Kein besinnliches Moralgedöns, kein Fernseher, kein schlechtes Gewissen. Und ich dachte, ich wäre cool, ich hätt's diesmal heil überstanden. Aber dann Sie jetzt wieder mit Ihrer Story, ach ja.
Aber ein nett's Grüssle (ohne Tannengrün) werden Sie doch annehmen...

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Die Ruhe war herrlich. Ein paar Telefongespräche, sonst nichts. Aber das war bei mir schon immer so. Ich glaube, ich bin depressionsresistent :-)

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hallo klugscheisserin...
...weihnachten hin, weihnachten her...hier was zum aufheitern...
http://allegra1966.twoday.net/stories/3108318/

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