Freitag, 9. Februar 2007
Silent death
frau klugscheisser, 10:28h
Nuestra vidas son los rios
que van a dar en la mar,
qu'es el morir.
Jorge Manrique, Vorwort zu "Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier
Eine seltsame Sache ist das mit dem Tod. In unserer Gesellschaft wird er vehement verdrängt, obwohl seine Unvermeidbarkeit dem Leben erst Sinn verleiht. Ganz egal ob er sich ankündigend wie ein Damoklesschwert in der Luft hängt oder plötzlich zuschlägt, die zukünftig bzw. tatsächlich Hinterbliebenen scheinen überrumpelt. Ganz altersunabhängig scheint der Verlust eines Elternteiles den Abschluß der Erwachsenwerdung zu manifestieren. Während selbstgewählte Partner möglicherweise gehen, sind Eltern eine scheinbar immerwährende Instanz und gleichzeitig Synonym für Heimat. Man mag zu ihnen stehen wie man will, der Abschied ist meist hart.
So gelassen wir der eigenen Endlichkeit auch ins Auge blicken, so betroffen reagieren wir auf Verluste im Umfeld. Bei meiner ersten Begegnung mit dem Tod war ich gerade mal neun Jahre alt. Schon damals begriff ich intuitiv, dass die Trauer rein gar nichts mit dem Toten, dafür umso mehr mit den Weiterlebenden zu tun hat. Damals hielt man mich fern von der Trauerfeier. Heute glaube ich, Kinder begreifen den Tod auf ihre ganz eigene Art und verarbeiten ihn im Erleben besser als jeder Erwachsene - auch ohne pädagogisch wertvolle Geschichten über tote Kanarienvögeln.
Man mag ihn gelegentlich beschwören, weil die Hoffnung verlorenging, weil die Kraft für die ewig wiederkehrende Alltagslast fehlt, weil keine Lösung in Sicht ist, weil körperliches Leid impliziert ist. Und trotzdem habe ich erlebt, wie schwer das Sterben sein kann. Die immense Kraft des Lebens ist nicht zu unterschätzen. Menschen, die körperlich tausend Tode sterben, die alle Verantwortung und Hoffnung hinter sich gelassen haben und zum Gehen bereit wären, scheinen sich mit aller Kraft an das Leben zu klammern, ertragen unendliche Schmerzen und Qualen selbst ohne medizinische Maßnahmen, als würden sie mit dem Tod um die nächste Stunde, den nächsten Tag oder gar eine Woche schachern. Unbegreiflich und doch verständlich. Nicht umsonst existieren Begriffe wie 'Todesangst' und 'Lebenswille'.
Was bleibt, ist die Erinnerung, manchmal Selbstzweifel und Vorwürfe, öfter eine Glorifizierung der Vergangenheit, meistens eine Lücke. Wer keine hinterläßt hat sich um sein eigenes Leben betrogen. Aber wissen werden wir es nicht mehr.
que van a dar en la mar,
qu'es el morir.
Jorge Manrique, Vorwort zu "Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier
Eine seltsame Sache ist das mit dem Tod. In unserer Gesellschaft wird er vehement verdrängt, obwohl seine Unvermeidbarkeit dem Leben erst Sinn verleiht. Ganz egal ob er sich ankündigend wie ein Damoklesschwert in der Luft hängt oder plötzlich zuschlägt, die zukünftig bzw. tatsächlich Hinterbliebenen scheinen überrumpelt. Ganz altersunabhängig scheint der Verlust eines Elternteiles den Abschluß der Erwachsenwerdung zu manifestieren. Während selbstgewählte Partner möglicherweise gehen, sind Eltern eine scheinbar immerwährende Instanz und gleichzeitig Synonym für Heimat. Man mag zu ihnen stehen wie man will, der Abschied ist meist hart.
So gelassen wir der eigenen Endlichkeit auch ins Auge blicken, so betroffen reagieren wir auf Verluste im Umfeld. Bei meiner ersten Begegnung mit dem Tod war ich gerade mal neun Jahre alt. Schon damals begriff ich intuitiv, dass die Trauer rein gar nichts mit dem Toten, dafür umso mehr mit den Weiterlebenden zu tun hat. Damals hielt man mich fern von der Trauerfeier. Heute glaube ich, Kinder begreifen den Tod auf ihre ganz eigene Art und verarbeiten ihn im Erleben besser als jeder Erwachsene - auch ohne pädagogisch wertvolle Geschichten über tote Kanarienvögeln.
Man mag ihn gelegentlich beschwören, weil die Hoffnung verlorenging, weil die Kraft für die ewig wiederkehrende Alltagslast fehlt, weil keine Lösung in Sicht ist, weil körperliches Leid impliziert ist. Und trotzdem habe ich erlebt, wie schwer das Sterben sein kann. Die immense Kraft des Lebens ist nicht zu unterschätzen. Menschen, die körperlich tausend Tode sterben, die alle Verantwortung und Hoffnung hinter sich gelassen haben und zum Gehen bereit wären, scheinen sich mit aller Kraft an das Leben zu klammern, ertragen unendliche Schmerzen und Qualen selbst ohne medizinische Maßnahmen, als würden sie mit dem Tod um die nächste Stunde, den nächsten Tag oder gar eine Woche schachern. Unbegreiflich und doch verständlich. Nicht umsonst existieren Begriffe wie 'Todesangst' und 'Lebenswille'.
Was bleibt, ist die Erinnerung, manchmal Selbstzweifel und Vorwürfe, öfter eine Glorifizierung der Vergangenheit, meistens eine Lücke. Wer keine hinterläßt hat sich um sein eigenes Leben betrogen. Aber wissen werden wir es nicht mehr.
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kid37,
9. Februar 2007, 11:17
Ich bin nicht gut im Loslassen. Folglich stelle ich mir mein Sterben als eine zähe Angelegenheit vor. Die Lücke spüren ja nur die direkten Angehörigen, meiner Erfahrung nach. Man ist schnell vergessen.
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lapuce,
9. Februar 2007, 15:33
Schöner und wahrer Text.
Es ist seltsam, wie schwer das Weiterleben fallen kann, auch wenn man genug Zeit zum Abschiednehmen hatte. Es stellt sich doch immer auch ein Gefühl des Zurückgelassenseins ein...
Aber die Erinnerungen, die bleiben - in Gedanken und im Herzen.
Es ist seltsam, wie schwer das Weiterleben fallen kann, auch wenn man genug Zeit zum Abschiednehmen hatte. Es stellt sich doch immer auch ein Gefühl des Zurückgelassenseins ein...
Aber die Erinnerungen, die bleiben - in Gedanken und im Herzen.
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halbtot,
9. Februar 2007, 22:57
Scheidende, die einem etwas bedeutet haben, sind nie vergessen. Sie leben sogar in uns weiter.
Kinder sollten nur ferngehalten werden, wenn sie selbst es wollen oder bei grauenvollem Dahinscheiden.
Lücken schließt man durch zusammenrücken.
Ich bin sehr für den alten heimatlichen Brauch der Totenwache.
Ole hat seine Gefühle beim Verlust eines Onkels sehr gut beschrieben:
http://absurdistan.blogspot.com/2006/12/ein-leises-adieu.html
Kinder sollten nur ferngehalten werden, wenn sie selbst es wollen oder bei grauenvollem Dahinscheiden.
Lücken schließt man durch zusammenrücken.
Ich bin sehr für den alten heimatlichen Brauch der Totenwache.
Ole hat seine Gefühle beim Verlust eines Onkels sehr gut beschrieben:
http://absurdistan.blogspot.com/2006/12/ein-leises-adieu.html
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pathologe,
10. Februar 2007, 11:58
Wenn man Zeit hat, kann man Abschied nehmen. Ob es gut so ist, ist eine andere Sache.
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halbtot,
12. Februar 2007, 11:07
Dein Bericht hat mir in eigener Sache sehr geholfen. Danke.
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christinej,
14. Februar 2007, 10:02
Der Tod
Der Tod offenbart sich - ebenso wie das Leben - in vielen Facetten. Zuweilen schleicht er sich heran, läßt sich gar darauf ein, unverrichteter Dinge einen Aufschub zu gewähren. Man hüpft ihm noch einmal von der Schippe. Dann wieder scheint es ihm zu gefallen, das Leben ganz langsam, allmählich, Stück für Stück auf seine Seite zu ziehen um bei seinem nächsten Auftritt mit sinnentleert scheinender Brachialgewalt sein auslöschendes Werk zu vollbringen. Was ist der Sinn des Lebens? Und: Was ist der Sinn des Todes? Schmerzt er nur deshalb so, weil wir ihn nicht einbeziehen in unser Leben, weil wir ihn todschweigen und damit seine Präsenz umso deutlicher erscheint? Ist der Tod, das Ableben, vorprogrammiert, genetisch festgelegt? Doch zunächst ist nur die Erschütterung, die Trauer und die Fassungslosigkeit da. Und die bittere Gewissheit, dass der Mensch, dessen Leben so plötzlich verlosch nun nicht mehr zurückkehrt zu uns. Und jetzt fallen uns, die wir weiterleben, tausend Dinge ein, die wir dem Verstorbenen sagen wollten. Es ist zu spät.
Sagen und tun wir also jetzt all das, was der Tod unmöglich macht. Und vielleicht ist das ja ein Fünkchen Sinnerkennung: Im Angesicht des Todes ist das Leben an sich lebenswert.
Sagen und tun wir also jetzt all das, was der Tod unmöglich macht. Und vielleicht ist das ja ein Fünkchen Sinnerkennung: Im Angesicht des Todes ist das Leben an sich lebenswert.
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c17h19no3,
15. Februar 2007, 00:57
der tod hat ja nicht zwangsweise mit dem sterben zu tun. so war ich neulich ganz überrascht, als ich mich im alttestamentlichen vergleich durch altsyrische und altägypthische jenseitsvorstellungen gearbeitet habe. deren totenreich ist auch schon für lebende transparent. bei uns heute heißt es wohl depression. trauer. seelentod. inklusive bestimmter körperlicher (psychosomatischer?) vorgänge. was ja auch eintreten kann, wenn ein geliebter stirbt, wie ich neulich selbst einmal geschrieben habe. also stirbt man wohl - wenigstens mit einem teil der seele mit dem, der tatsächlich physisch ablebt. das gemeinsame muss zu grabe getragen werden, und das betrifft die lebenden ja unweigerlich mit.
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etosha33,
17. Februar 2007, 10:49
Merkwürdig ist doch, dass der Mensch in seinem Bewusstsein über den Tod es oft nicht annähernd so gut schafft, den Tag zu 'pflücken', wie irgendein Tier, das, ganz ohne Bewusstsein über die eigene Endlichkeit, jede Minute auskostet. Unser Bemühen um den Abstand vom Tod frisst jede Menge Ressourcen. Dabei lässt der Gevatter sich beispielsweise von verjüngerten Augenfältchen bestimmt nicht täuschen.
Es scheint, als sei unser größter Bewusstseins-Vorsprung auch unser größter Hemmfaktor.
Es scheint, als sei unser größter Bewusstseins-Vorsprung auch unser größter Hemmfaktor.
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eikesmom,
17. Februar 2007, 17:38
Schon damals begriff ich intuitiv, dass die Trauer rein gar nichts mit dem Toten, dafür umso mehr mit den Weiterlebenden zu tun hat.
Das Gefühl habe ich auch. Wenn ich mir vorstelle, ganz allein zu sein, ohne Bindungen, dann habe ich auch keine Angst mehr vor dem Tod. Aber wenn ich an meine Familie denke, empfinde ich den Schmerz des Verlusts sozusagen im Voraus für meine Liebsten mit, sollte ich vor ihnen aus dieser Welt abtreten. Aufgrund meiner Krankheit kamen mir automatisch solche Gedanken in den Sinn.
Das Gefühl habe ich auch. Wenn ich mir vorstelle, ganz allein zu sein, ohne Bindungen, dann habe ich auch keine Angst mehr vor dem Tod. Aber wenn ich an meine Familie denke, empfinde ich den Schmerz des Verlusts sozusagen im Voraus für meine Liebsten mit, sollte ich vor ihnen aus dieser Welt abtreten. Aufgrund meiner Krankheit kamen mir automatisch solche Gedanken in den Sinn.
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