Sonntag, 9. April 2006
Incidental solar radiation
Gerade habe ich mir ein Strahlungsschild aus mit Alufolie bezogener Pappe für meine Fenster gebastelt. Wer jetzt an meinem mentalen Zustand zweifelt, dem sei erklärt, dass ich mich dadurch gegen die intensive Sommersonneneinstrahlung zur Wehr setze. Durch die Morgensonne wird sich mein Zimmer dermaßen aufheizen, dass nicht nur meine Schweißdrüsen, sondern auch meine CD Sammlung und die Pflanzen darunter zu leiden haben. Ausserdem wehrt das Schutzschild in Zukunft neugierige Blicke der Nachbarschaft ab. Vielleicht hätte ich die Pillen nicht absetzen sollen. Naja, wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein.
Der Sommer kann kommen, ich bin gewappnet.

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Here comes the neighbourhood
Seit Dezember bin ich im Genuss eines Fensters zur Straße. Während ich vorher im Hinterhof mit Blick auf ein Bürogebäude wenig vom Leben da draußen mitbekam, bin ich jetzt mittendrin. Morgens mit einer Tasse Tee und einer Zigarette beobachte ich, wie im Haus gegenüber Frühsport betrieben wird. Der mittelalterliche Herr ist stolzer Besitzer eines Steppergerätes, auf dem er – meist leicht bekleidet, wenn überhaupt – seinen hüpfenden Bierbauch in Wallung bringt. Im Stock drüber lüftet eine Mutter die Kinderdecken und im ersten Stock schnuppert ein Rentner auf dem Balkon vorsichtig Morgenluft. Richtig interessant wird die Szenerie erst nach Einbruch der Dunkelheit. Dann werden die Wohnungen von innen beleuchtet und somit vollständig einsehbar. Es passiert dort nicht viel beobachtenswertes aber immer wieder interessant zu sehen sind diverse Einrichtungen. Manchmal beneide ich Handwerker, deren Beruf eine Eintrittskarte zu fremden Wohnungen ist. Höchst wahrscheinlich haben die auch bemerkenswerte Dinge zu berichten. Für Eigeninspiration brauchen sie nicht einmal Möbelkataloge blättern und sind stets auf dem neuesten Stand was Möbeldesign angeht. Zumindest in München scheint mir das sehr wahrscheinlich zu sein.

Noch interessanter als das Leben hinter den Fenstern ist das Leben auf der Straße. Da ist der Mann, der – vermutlich durch einen Schlaganfall hinkend – morgens und mittags seine kleine Tochter zum Kindergarten bringt. Er trägt immer denselben Trainingsanzug oder sein Kleiderschrank beherbergt zig ähnliche Modelle. Da ist der Typ, der ab und zu Post aus dem überfüllten Briefkasten fischt, diese fein säuberlich in den Fahrradkorb staut und eigenhändig zum Postamt bringt. Vor der Bäckerei warten angeleinte Hunde, die ihre aus dem Laden kommenden Halter so freudig begrüßen, als wären sie wochenlang dort drin gewesen. Schön zu beöbachten sind die aufgeregten Schüler einer Fahrschule, die zitternd in das Auto steigen, um als erstes den Motor abzuwürgen. Da gibt es eine Mai Ling Zentrale und deren Kundschaft. Vermutlich werden in dem auf Asien spezialisierten Reisebüro aber weniger Reisen gebucht, als vielmehr die Räumlichkeiten durch die hiesige asiatische Bevölkerung für gesellschaftliche Zusammenkünfte genutzt. Vor dem Schönheitssalon stehen dickliche Zwanzigjährige in ihrer Zigarettenpause. Neben dem türkischen Feinkostladen treffen sich junge Türken in ihrer Mittagspause. Manchmal vermischen sich die letzten beiden ethnischen Gruppen, um gemeinsam zu Mittag zu essen. Ab und zu schlendert der an der Kasse arbeitende und mit einer Schürze bekleidete junge Türke auf die Straßenseite gegenüber des Schönheitssalons und raucht dort eine Zigarette. Dabei starrt er sehr angestrengt auf das Schaufenster gegenüber. Wenn er damit fertig ist, macht er einen kleinen Abstecher in die Apotheke.

Die Apotheke ist vor allem bei Notfalldienst nachts schön zu beobachten. In zehnminütigem Abstand halten dort Taxis und warten, bis der Fahrgast seine Medikamente abgeholt hat. Erst sucht der Leidende eine Klingel. Hat er die gefunden und betätigt, wartet er auf Antwort, indem er vor der Glastüre ins Innere des Ladens starrt. Der Apothekenangestellte kommt aber meist nicht für den Klingler einsehbar von links und meldet sich über eine Sprechanlage. Dann springt der Klingler hektisch zur Anlage, um dort konzentriert hineinzusprechen. Der Apotheker entfernt sich, um die gewünschten Medikamente zu holen, während der Sprecher immer noch wie gebannt an der Anlage hängt. Er lauscht in die Schlitze hinein, als würde jedes verpasste Geräusch eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands bedeuten. Irgendwann steht der Apotheker dann auch wieder dahinter, um hineinzusprechen, was den Abholer erschrecken lässt. Dabei hat er doch die ganze Zeit auf diese Stimme gewartet. Nun, bei körperlichem Leid sind wir wohl alle ein wenig empfindlicher.

Schön zu beobachten sind auch modische Verfehlungen der Passanten. Während sich übergewichtige Frauen gerne in pink kleiden, tragen die großen Dürren eher schwarz oder gedeckte Farben. Ich versuche mich dem natürlich anzupassen. Leider fehlen meiner Kollektion noch Kleidungsstücke in pink. Dafür kenne ich mich seit meinem Umzug in Fragen der Hutmode aus. Baseballmützen sind nämlich out. Man trägt jetzt wieder traditionell, am liebsten den Lodenhut mit Gamsbart.

Leider geschieht nichts wirklich weltbewegendes hinter den Fenstern von gegenüber. So sehr ich darauf hoffe, es lassen sich dort keine Orgien und keine Nacktshows beobachten. Kürzlich sah ich zufällig einen Bewohner des gegenüberliegenden Gebäudes direkt in meine Wohnung starrend. Unverschämtheit so was! Das tut man nicht. Vielleicht gehe ich mal demnächst rüber und erzähle ihm was über Privatsphäre und gute Kinderstube. Wenn ihm langweilig ist, soll er halt seine Steuer machen oder stricken lernen aber bitte nicht in fremde Wohnungen spannen.

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