Donnerstag, 16. November 2006
Sao Paulo - my life is just one big cliché (1)
"Wenn du was über uns bloggst, dann wollen wir das aber lesen", sagen die Kollegen. Warum ich meinen Mund nicht halten konnte, ist schnell erklärt. Noch bevor das Zimmer verwüstet ist, will ich die Aussicht für die Serie A room with a view mit dem Handy knipsen. Leider ist der Akku leer und ich komme nicht um eine Erklärung herum, als ich Nico vom Nebenzimmer darum bitte. Seine Aussicht dürfte nicht viel von der meinen abweichen.

Den zwei häufigsten Lügen des Flugpersonals, die da lauten Ich ruf dich mal an und Ich lege dir die Bilder ins Postfach, baue ich vor, indem ich ihnen erst die URL zum Beitrag verrate, nachdem ich die Bilder auch wirklich erhalten habe. Möglicherweise finden sie sie auch alleine. Nico und Michael sind nämlich zwei schlaue Kerlchen, mit denen ich, aller Warnungen zum Trotz, noch am Ankunftsabend in die Skybar ziehe. Es bleibt auch nicht bei einem Caipirinha, doch die Enthüllungsgeschichten werden mit zunehmendem Alkoholgenuss interessanter. Spätestens nach dem dritten hätte ich ihnen sowieso von meinem Blog erzählt. Dass ich die URL nicht bereits vor Erhalt der Bilder verrate, liegt nur an den konservativen Öffnungszeiten besagter Bar. Um 3.00 machen die nämlich schon dicht. Unglaublich, das in einer Weltstadt wie Sao Paulo.

Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen: "Welches Arschloch hat eigentlich auf die Frage, wann wir uns am nächsten Tag treffen, 10 Uhr gerufen?" Das Arschloch war ich. Der Rohrzucker scheint über Nacht in meinem Kopf angekommen zu sein. Dementsprechend schwer fällt mir jede Bewegung. Meine einzige Hoffnung ist, dass es den Kollegen ähnlich ergeht. Nur mit Marcos Tatendrang - Michaels Bekannter und seines Zeichen Brasilianer - habe ich nicht gerechnet. Gestern noch in der Bar, heute schon in der Lobby wartend, um uns die Stadt zu zeigen. Was dem Bayer sein Bier, ist dem Brasilianer sein Caipi. Keine Spuren von Müdigkeit oder gar Restalkohol sind an ihm erkennbar.

Ich beobachte ihn immer wieder aus dem Augenwinkel, nicht nur, weil ich an seiner guten Laune zweifle, sondern vor allem, weil ich vom Körperkult in Brasilien weiß. Man geht dort zum Chirurgen wie hierzulande zur Wursttheke. Dreihundert Gramm Fett absaugen bitte und ja, es darf auch ein bisserl mehr sein. Gelegentlich schaue ich ihn direkt an, weil ich hoffe, ihn so besser zu verstehen. Deutsch mit portugiesischer Phonetik klingt zwar apart aber manchmal etwas undeutlich. Liegt vielleicht auch an meinen Ohren. Wenn ich beispielsweise nach dem Flug an meiner Uniform lausche, kann ich ganz deutlich das Rauschen der Triebwerke hören.

Ein wenig verwundert betrachten mich die drei, als ich gedankenverloren meine Handschuhe aus der Jackentasche ziehe. Der brasilianische Frühling ist immerhin 22° mild. Ich stopfe sie in die Umhängetasche neben den Stadtplan von San Francisco. Der Inhalt meiner Taschen überrascht mich oft selbst. Im Falle einer Klimakatastrophe oder einer Entführung nach San Francisco bin ich jedenfalls gewappnet. Wir steigen in das Taxi und fahren los. Noch ahne ich nicht, wieviel Zeit man hier in Autos verbringen kann, denn abgesehen von der Großflächigkeit dieser Stadt, halten sich viele Brasilianer gerne gleichzeitig zur selben Zeit am selben Ort innerhalb ihrer Fahrzeuge auf. Für mich nicht weiter schlimm, denn ich unterhalte mich gut. Nur schaue ich nächstes Mal dabei etwas öfter aus dem Fenster.

[Fortsetzung folgt]

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