Freitag, 14. Mai 2021
The Needle Man
Kaum ein Ereignis wird derzeit öfter in den privat-darstellenden Medien dokumentiert als die Coronaschutzimpfung. Deshalb halte auch ich hier fest, ich wurde heute geimpft. Zuvor hatte ich aufmerksam die Berichte in bekannten Blogs und Twitter gelesen, wie sowas vonstatten geht. Man will ja schließlich gut vorbereitet sein. Der Tenor war einstimmig, das Personal sei freundlich aufmerksam und die Grundstimmung fröhlich, gelöst. Bis zur Impfkabine kann ich das durchweg bestätigen, hinter dem Vorhang kippte die Stimmung in Irritation.

Nun muss man wissen, dass ich schon berufsbedingt ein freundlicher und offener Mensch bin. Man könnte sogar behaupten, ich war es auch vorher schon, denn diese Eigenschaften gehören zu den Auswahlkriterien von Fluggesellschaftspersonal. Zudem habe ich viel Erfahrung im Umgang mit den unterschiedlichsten Charakteren. Manche sind, sagen wir mal schwieriger als andere. Servicepersonal weiß das, weshalb ich mich durchweg bemühe, Kolleg:innen aus dieser Sparte keine zusätzlichen Umstände zu bereiten. Läuft dann eine Situation seltsam schief, kann es nur daran gelegen haben, dass ich was falsch verstand - die Kommunikation und ihre Grundvoraussetzung (Annahmen) lief aus dem Ruder.

Personal, das sich freiwillig zur Durchführung und Organisation von Massenimpfungen bereiterklärt, sind in meinen Augen Alltagshelden, ich möchte ihnen so wenig wie möglich zusätzliche Arbeit bereiten, weshalb ich auf dem Impfbogen "ausdrücklich auf das ärztliche Aufklärungsgespräch verzichten" ankreuzte. Das schien aber den Impfarzt nicht sonderlich zu beeindrucken. Bedächtig hob er an, mich auf Nebenwirkungen hinzuweisen. Ich nickte freundlich und murmelte gelegentlich ein "ja" durch die Maske. Danach suchte er lange nach einem Platz in meinem Impfbuch, um die Coronaimpfung einzutragen. Man könne es ja bei der Tuberkuloseimpfung eintragen, wofür das Wort Tuberkulose auf der Seite oben dick durchstrich und in etwas krakeliger, an Sütterlin erinnernde Schreibschrift "Corona" drüberschrieb. Dann füllte er die Spalten der Tabelle aus und strichelte anschließend einen Trennstrich unter seinen Eintrag. "Für die zweite Impfung", wie er bemerkte und ich solle das daheim dann noch schön mit Lineal nachziehen, da er das hier nicht könne. "Ach das macht nichts...", erwiderte ich. Den nächsten Satz konnte ich nicht mehr anfügen, weil mir der Arzt ins Wort fiel. Schließlich würde er sich hier sehr viel Mühe geben und das sei ein Dokument von ausserordentlicher Wichtigkeit, das mache schon etwas. Als ich auf die ausgefledderten Ränder hinwies, die von kontinuierlicher Aufbewahrung in meiner Uniformhandtasche stammen, bemerkte er, die müsse ich mit Tesa reparieren.

Spätestens als er mir den Ärmel herunterzog, nachdem er mir das Pflaster aufgeklebt hatte, war ich doch sehr irritiert. Nicht nur möchte ich mich selbst aus- und wieder anziehen, sondern auch nicht wie ein Schulmädchen belehrt werden. Der Knoten im Magen löste sich auch nicht wieder während der Busfahrt zur Ubahnhaltestelle. Und die Frage, ob ich in diesem Fall überempfindlich reagierte, schwirrt noch immer in meinem Kopf. War ich am Ende gar gemansplained worden? Es wird sich im Nachhinein nicht eindeutig klären lassen.

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