Mittwoch, 28. März 2007
Dance like this
Dancing is not about how many pirouettes you can make or how high you can lift your legs but expressing your emotions in a movement.
Nunzio


Ein Tsunami von Glückshormonen schwappt durch meine Blutbahnen. Es funktioniert jedes Mal, egal wie müde, ausgelaugt, energielos oder deprimiert ich vorher war. Wenn ich vom Training komme, macht meine Seele Flick-Flacks und in meinem Bauch hüpfen die Neurotransmitter von Synapse zu Synapse. Einen nicht unwesentlichen Anteil an der Wirkung hat dabei Nunzio. Seine Art zu unterrichten ist einmalig. Man spürt, dass er liebt, was er tut. In jeder Sekunde der anderthalb Stunden - meistens werden es fast zwei - ist er aufmerksam und gibt 150%. Egal wieviele Schüler in der Stunde anwesend sind - und es werden laufend mehr - schafft er es, jeden einzelnen zu korrigieren und zu motivieren. Er vermittelt den Teilnehmern das Gefühl, wahrgenommen zu werden und wichtig zu sein.

Die Zusammensetzung der Gruppen ist bunt. Es kommen Dicke und Dünne, Junge und Alte, Menschen mit und ohne Vorkenntnisse in Ballett oder ähnlichen Disziplinen. Jeder wird akzeptiert. Die Atmosphäre innerhalb der Gruppen ist freundlich und wohlwollend. Kein Konkurrieren, keine bösen Blicke und kein Jahrmarkt der Eitelkeiten - dafür sorgt er durch seine ihm eigene Art. Es wird weder vor den anderen getadelt, noch gelobt, keine Gruppen von schlechteren und besseren Tänzern gebildet, kurzum es wird nicht beurteilt. Während des halben Jahres, das ich nun regelmäßig trainiere, habe ich Schüler über sich selbst hinauswachsen sehen, von denen ich zunächst glaubte, sie könnten nicht stolperfrei einen Fuß vor den anderen setzen.

Er sagt, er lerne von uns. Anfangs bezweifelte ich diese Aussage, doch mit der Zeit habe auch ich viel von den anderen gelernt. Inzwischen kann ich - man höre und staune - an guten Tagen eine ganze Diagonale saubere Pirouetten drehen. An schlechten geht nur eine Drehung, die ich stehe. Aber auch darauf bin ich mächtig stolz, denn nach dem anfänglichen Pirouettendesaster
nicht aufgegeben zu haben, sondern trotzdem Spaß zu empfinden, das braucht schon eine ganze Menge. Ich kann inzwischen Liegestützen (sogar die gaaaanz langsamen) und seit die Zerrung am rechten Oberschenken abgeheilt ist auch wieder Spagat seit- und vorwärts. Im letzten halben Jahr habe ich mindestens 5 Kilo dauerhaft ohne Diät abgenommen - genau weiß ich es nicht, weil meine Waage der Wohnung verwiesen wurde - und bin in der Lage, die restlichen Speckröllchen einigermaßen kontrolliert durch Choreographien zu schwingen. Außerdem wird meine Memorierfähigkeit und die Umsetzung von Bewegungsabläufen immer schneller. Wenn das mal insgesamt keine Erfolgsmeldung ist.

Die Gruppen sind nach Können in Grundkurs, Mittelstufe und Fortgeschrittene aufgeteilt, wobei Mittelstufe in etwa das bedeutet, was in anderen Laienkursen eher als fortgeschritten proklamiert wird. Seit Dezember nehme ich an allen Stufen teil, da sie sich wunderbar über die Woche verteilen. Stimmt gar nicht, der Fortgeschrittenenkurs ist noch zu schwer für mich, weswegen ich eine Zwischenstufe (intermediate/advanced) in einer anderen Schule belege aber lange dürfte es nicht mehr dauern. Im Grunde ist mir egal, welche Stufe gerade läuft. Das Aufwärmtraining ist überall ähnlich und selbst im Grundkurs kann ich immer was lernen. Die Glückshormone machen einfach so süchtig, dass ich sie fünf Tage die Woche brauche, vorausgesetzt ich bin nicht irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs. Immerhin braucht es dazu nur einen einzigen Mann, den ich mir mit knapp 30 anderen Frauen (und dem ein oder anderen männlichen Schüler) ganz ohne Eifersüchteleien teile. Soll noch einer behaupten, dass das nicht außergewöhnlich sei.

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Montag, 26. März 2007
Daylight savings time
Zwei ältere Damen unterhalten sich. "Mein Eisprung ist in letzter Zeit so unregelmäßig", sagt die eine. Darauf die andere: "Also meiner ist so regelmäßig, da kann ich die Uhr nach stellen. Sommerzeit... Winterzeit..."

Letzte Nacht war da ein merkwürdiges Geräusch neben meinem Bett zu hören. Es kam aus der Richtung, in der mein Wecker steht. "Wird am Ende dieses Wochenende die Uhr umgestellt?" dachte ich noch im Halbschlaf. Obwohl es jedes Jahr zur selben Zeit - nämlich am letzten Sonntag im März - geschieht, war ich dieses Jahr überrascht. Noch nie habe ich aufgrund der Zeitumstellung verschlafen, seit es Funkuhren gibt ist das auch ein Ding der Unmöglichkeit. Und dennoch trifft mich die Zeitumstellung jedes Jahr härter als jeder Jetlag. Während ich in anderen Ländern die Ortszeit einfach akzeptiere, ohne mir Gedanken um die Heimatzeit zu machen, bin ich daheim jedes Jahr zweimal gezwungen, meine innere Uhr den Zeigern auf einem Ziffernblatt anzugleichen. "Ach, eigentlich ist es ja erst halb acht/neun/zehn/etc", der am öftesten gedachte Satz in den Wochen nach der Umstellung, käme mir auf Reisen niemals in den Sinn.

Als die Zeitumstellung schließlich 1980 in Deutschland permanent eingeführt wurde, spürte ich zum ersten Mal den Groll gegen unsere Machthaber. Ich empfand es als himmelschreiende Ungerechtigkeit, mich armes Schülerlein fortan eine Stunde früher aus dem Bett zu holen. Insgeheim hatte ich den Verdacht, das wäre ein Racheakt meiner Mutter, die mit der Regierung unter einer Decke steckte. Wir klärten das später im selben Gespräch, in dem sie mich überzeugte, nicht adoptiert oder nach der Geburt verwechselt worden zu sein. Wer mich morgens weckte, konnte sich einer geballten Ladung schlechter Laune sicher sein. Dass meine Mutter sehr bald diese Aufgabe einem mechanischen Wecker überließ, war die Rettung unserer familiären Beziehungen. Immerhin muss man sich vor einem Wecker nicht wochenlang rechtfertigen oder entschuldigen, wenn man ihn mal anschreit.

Eine Stunde ist wertvolle Traumzeit, die mir seit 27 Jahren gestohlen wird. Schlaumeier behaupten jetzt, sie würde mir am Ende des Jahres zurückgegeben. Das stimmt so nicht, denn am Ende des Jahres wache ich trotzdem nach 8 oder weniger Stunden Schlaf auf, ob es nun neun oder erst acht Uhr ist. Dann habe ich eine Stunde mehr Wachzustand, die ich irgendwie sinnvoll füllen muss. Die Rechnung geht so nicht auf. Sommerzeit mag für Bänker und Beamte, für wichtige und weniger wichtige Arbeitnehmer sinnvoll sein, für Taugenichtse wie mich ist sie es nicht. Morgen früh werde ich vermutlich sehr schlechte Laune haben, weil ich das Ende eines drehbuchreifen Traumes verpasse. Schlechte Zeiten für Träumer.

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Freitag, 23. März 2007
Return to fantasy
~Dieser Beitrag ist (noch) nicht gesponsort~
Das kleine Kino an der Ecke Falls Sie am Wochenende noch nichts vorhaben und in München wohnen, besuchen Sie doch mal das kleine Programmkino in der Isabellastraße. Schauen Sie sich beispielsweise an, was wahres Leben ist, nachdem Sie jetzt das Leben der anderen kennen oder erfahren Sie mehr über das Leben nach der Hochzeit. Sollten Sie mittwochs Zeit haben und zudem des Spanischen (wahlweise italienisch oder französisch) mächtig sein, können Sie dort jede Woche einen Originalfilm mit Untertitel in dieser Sprache genießen. Sie mögen lieber englische Filme? Kein Problem. Auch die laufen täglich im Original und Sie sparen sich stundenlanges Schlangestehen wie etwa an der Cinema-kasse. Unschwer zu erkennen, dass mir dieses kleine Kino sehr am Herzen liegt. Kürzlich ging ich auf einem Spaziergang dort vorbei. Durch die Türe drang Klaviermusik nach draußen. Ich lauschte für einen Moment der Melodie der Goldbergvariationen bis sie von Dialog unterbrochen wurde. Plötzlich wirbelten mich meine Gedanken durch die Luft und setzten mich in einer längst vergangenen Zeit ab.

Als Kind war Weihnachten, wie man sich unschwer vorstellen kann, etwas ganz Besonderes. Dabei war es nicht die Bescherung, die den 24. zu einem aufregenden Tag machte, sondern das Warten. Während die Erwachsenen am Nachmittag die Stube für die Ankunft des Christkindes vorbereiteten, wurde ich kurzerhand bei Bekannten abgeliefert, die ein kleines Kino in einem Münchner Vorort besaßen. Bei unserer Ankunft öffnete die dicke Kassiererin, manchmal auch die Besitzerin selbst, die an Leibesfülle ihrer Kollegin in nichts nachstand, die Türe zum Kinderparadies hinter der Kasse. Dort wurden meine Taschen mit Eiskonfekt, Gummibärchen, Schokostäbchen mit Fruchtfüllung, sauren Ringen und derlei mehr bis zum Anschlag gefüllt, bevor man mich in den bereits abgedunkelten Saal führte. Was die Taschen nicht mehr hielten, hielt ich in Händen, so auch eine geöffnete Fantaflasche. Ich dachte, so ein Kino zu besitzen müsse ungeheuer praktisch sein, weil man immer Süßigkeiten im Haus hat, für die man nicht bezahlen muss.

Am Eingang zum Kinosaal wartete bereits die Platzanweiserin und führte mich mit ihrem Taschenlampenstrahl zu einer leeren Reihe. Ich kam mir immer sehr wichtig dabei vor, wie ein VIP. Einmal war die Platzanweiserin krank (oder bereits eingespart), da durfte ich die Lautstärke auf dem Sitz hinter der letzten Reihe regulieren. Offiziell gab es nichts zu regulieren, ich drehte aber um des Effektes willen den Knopf ein klein wenig nach rechts und wieder zurück. Schließlich war dies eine einmalige Chance, die ich nicht ungenutzt lassen wollte. Am Ende des Filmes war ich froh, meiner ungeheuren Verantwortung wieder enthoben zu sein.

In den Sommerferien durfte ich zu meiner großen Freude dann bei den Bekannten übernachten. Ihre Tochter war einige Jahre älter als ich. Sie schwärmte damals für die Popgruppe Sailor und insbesondere für deren Frontmann Georg Kajanus (der mit dem Ringelshirt). Zu jener Zeit kannte ich gerade mal Boney M und die Abba Songs, die auf einer abgenudelten Cassette meiner Mutter bei Autofahrten liefen. Dagegen machten die Bandmitglieder auf Postern, mit denen die Tochter unserer Bekannten ihr Zimmer gepflastert hatte, richtig was her. Noch in diesem Sommer bekam ich meine erste LP, natürlich von der Band mit dem Nickelodeon. Damit begann der Kampf um den elterlichen Plattenspieler und schließlich um die Musikauswahl während langer Autofahrten in die Ferien.

Von jenem Übernachtungsbesuch ist mir noch gut in Erinnerung, wie wir die großen Filmspulen wechselten und uns schließlich in die Abendvorstellung schlichen. Der Film - sowohl Titel als auch Inhalt sind mir leider entfallen - war mit Sicherheit nicht für unser Alter geeignet. Was wir (nicht) zu sehen bekamen wurde mir hinterher en détail von der Tochter des Hauses erklärt, die über eine fundierte Bildung aus der Bravo verfügte. Somit blieben keine Fragen offen. Mit meinem neugewonnenen Wissen konnte ich sogar meine Großmutter und ihre Kaffeedamen erstaunen. Die folgenden Kinobesuche beschränkten sich leider wieder auf Nachmittagsvorstellungen von Disneyfilmen.

Irgendwann musste das Kino der Bekannten erst einem Blumenladen und später einer Discountkette weichen. Die Zuschauerzahlen waren spärlich, das Geschäft lief schlecht. Um aktuelle Filme zu sehen fuhr man in die Innenstadt zu den großen Kinos. Für Vororte waren neue Filme damals noch einige Wochen gesperrt oder zu wenige Kopien vorhanden. Aber wer will schon Wochen auf laufende Filme warten? Mit dem Verkauf wurde ein Kapitel Familiengeschichte beendet. Erst war meine Großmutter, später meine Mutter dort Platzanweiserin, ich selbst leider nur einen Tag. Es gab immer lustige Geschichten und Ereignisse rund um das Kino zu berichten. Dass mein Großvater wohl während der Abendvorstellungen mit der Filmvorführerin fremd ging, erfuhr ich erst, als das Kino nicht mehr existierte.

Leuchtreklame dezentIch weiß nicht, ob die Besitzerin schließlich alle Süßigkeiten alleine aufgegessen hat und wo die großen Filmplakate geblieben sind, die sie mir schenkte - um das Plakat von Sauras Carmen habe ich damals sehr gebettelt. Das Studio Isabella weckt jedenfalls gute Erinnerungen, auch ohne Fruchtgummis.

Ich sollte wirklich öfter ins Kino gehen. Und Sie auch.

Studio Isabella, Neureutherstr. 29/Ecke Isabellastraße
Weitere Artikel über das Isabella:
Münchner Kinos im Vergleich
Förderpreis für Programmauswahl
Wochenprogramm mit Links auf Inhalt

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