Mittwoch, 20. November 2019
Love's Too Familiar a Word


Seit einiger Zeit denke ich über das Älterwerden, insbesondere das meiner Mutter nach. Nicht den körperlichen Gebrechen gelten meine größte Sorge, sondern - ganz egoistisch - dem hoffentlich in sehr ferner Zukunft liegenden Tod. Wir hatten nie eine enge Mutter-Tochter Beziehung, zeitweise überhaupt keine, und als die Großmutter starb, bei der ich aufgewachsen bin, wurde meine Kinderseele vom Gefühl erdrückt, ganz alleine auf der Welt zu sein. Trotz allem ist meine Mutter die Frau, die ich als Familie bezeichne, die mich nach besten Kräften unterstützt hat und auf ihre Weise auch geliebt, die mich manchmal auf die Palme bringt und der ich jetzt alles an Liebe zukommen lasse, was ich mir damals von ihr gewünscht hätte. Sie ist meine Mutter. Wenn sie stirbt, wird mit ihr auch ein Teil von mir sterben.

Freunde erzählen mir vom Tod der Eltern. Dass sie sich jetzt ganz alleine fühlen, denn obwohl da Partner und eigene Kinder sind, hätten diese eine davon verschiedenartige emotionale Konnotation. Die Eltern kennen einen am längsten, in vielen Fällen auch am besten. Wir sind unumgänglich mit ihnen verbunden, ihnen als Kind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und wo wir die Verbindung bewusst trennen, weil das Zerwürfnis unüberbrückbar ist, spuken sie in Abwesenheit durch Unterbewusstsein und Konditionierung. Mit dem Vater und der Mutter wird die eigene Kindheit als Symbolbild für immerwährende Hoffnung auf bedingungslose Liebe und Geborgenheit zu Grabe getragen.

So erlebt ein Freund, den ich mein halbes Leben kenne, das Fehlen der Eltern. Obwohl er nie viel Geborgenheit und Unterstützung erfuhr, hat das Leben nach dem Tod der Mutter für ihn eine neue, größere Dimension der Einsamkeit eröffnet. Natürlich hat er enge Freunde, die für ihn da sind und die mögliche neue Partnerin wird ihm ebenfalls zur Seite stehen, genau wie der Ziehsohn. Doch da gibt es zu seinem Bedauern keine Familie mehr, keine Blutsbande, keine Wurzeln. Seine Ausführung macht mich traurig und betroffen. Wir kennen uns so lange und dennoch kann ich nichts für ihn tun als ihm die Hand reichen. "Ich möchte Deine Familie sein", sage ich, obwohl ich weiß, dass ich damit seine Einsamkeit nicht auflösen kann. Nicht diese Einsamkeit - die Einsamkeit des Menschseins.

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Sonntag, 17. November 2019
Voices in My Head
Mein Bewegungsradius ist klein geworden. Die paar hundert Meter von der UBahn heim lege ich langsam und mit Schmerzen zurück. Ich suche das Kinoprogramm nach brauchbaren Filmen ab. Nichts trifft wirklich meinen Geschmack. Vielleicht But Beautiful oder Systemsprenger ansehen. Verteidiger des Glaubens interessiert mich auch, der läuft nur noch am Dienstag. Dann denke ich, lieber keine Problemfilme, lieber was Schönes, gibt ja genug doofe Sachen um mich rum. Die Entscheidung fällt schnell, weil die Vorstellung des zurückgelegten Weges mir das kurze Vergnügen madig macht. Ziehe ich halt doch wieder Kreise auf meinem Teppich oder verkrieche mich zurück in's Bett. Die Bewegungseinschränkung lässt mich mit dem Gefühl von Hilflosigkeit zurück.

Gestern als ich im Bett lag, dann der Gedanke, ich könne ja trotzdem glücklich sein. Nicht das 'es könnte schlimmer sein' glücklich, sondern mehr so das 'ich mach' mal Pause von meinen Gefühlen und Problemen' glücklich. Die Probleme und Gefühle laufen nicht weg, wenn ich sie mal für eine Minute abschalte. Hat wirklich gut funktioniert, halt nur für eine Minute. Wenn ich das jetzt jeden Tag eine Minute praktiziere, klappt es nächste Woche vielleicht für fünf. Kein Optimierungswahn, nur ein bisschen Ferien im Kopf vom Kopf.

Als Kind war ich Meisterin im Tagträumen. Stundenlang habe ich mich in Szenarien und Dialoge hineinversetzt, ganz ohne Requisiten. Die Dialoge wurden über die Jahre vernünftiger, die Szenen realistischer. Wenn mich wer dabei beobachtete, fühlte ich mich ertappt, das Geheimnis war nicht mehr nur meines. Manchmal mache ich es immer noch, mit dem Unterschied dass die Gespräche mit fiktiven Gegenüber oft konfliktbeladen sind. Ich übe worst-case Szenarien. Manchmal gibt es aber auch schöne Gespräche. Leider war noch nie ein neuer Witz dabei.

Wenn ich gegen halb sechs morgens aus dem Fenster sehe, läuft unten immer ein alter Mann vorbei. Er trägt einen langen, schwarzen Ledermantel. Die wenigen weißen Haare stehen wild vom imaginären Hutrand ab, oben auf dem Kopf wachsen keine mehr. Seine Schritte sind langsam, schlurfend und mühsam. Mit tiefer, rostiger Stimme redet er vor sich hin. Nach ein paar Sätzen macht er eine Pause, um nachzudenken oder möglicherweise dem unsichtbaren Gegenüber zuzuhören. Dann wird das Gespräch hitziger. Oft schimpft er - nach innen gekehrt, nie mit Passanten. Inzwischen fühle ich mich ihm verbunden, obwohl er mich noch nie wahrgenommen hat. Ob er wohl noch mit anderen Menschen spricht ausser vielleicht noch der Bäckerin oder dem Arzt?

Ich telefoniere mit Freunden. Kurze Gespräche, denn die langen sind anstrengend geworden. Nach einer halben Stunde möchte ich gerne meine Gedanken neu sortieren und mich zurückziehen. Musik läuft bei mir nur zum Sport im Hintergrund. Ich mag den Klang der Stille, unterbrochen von Nachbarsgeräuschen oder denen von der Straße. Als ich in einer Hinterhauswohnung mit häufig abwesenden Nachbarn wohnte, fühlte ich mich ohne diese Geräusche sehr einsam. Die Menschheit hätte bei einer Katastrophe ausgelöscht sein können und ich die einzig Überlebende - so fühlte sich das an.

In meinem Kopf ist es sehr selten still ausser ich halte inne und lausche. Die Aufmerksamkeit, mit der ein Tier Gefahr in der Umgebung wittert, die ist ohne Zeit. Festhalten funktioniert genauso wenig wie drauf konzentrieren. Sie lässt sich aber erleben. Das sind die kleinen Pausen, die Ferien im Kopf vom Kopf. Ich glaube, ich fliege jetzt gleich mal in den Urlaub.

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Freitag, 15. November 2019
Coming Home IX
Der Countdown zur 5000 läuft. Dieses Blog gäbe es nicht ohne die, die es lesen und sich manches Mal auch dazu äussern. Zum Jubiläum schreibe ich über meine Gäste, die hier immer mal kommentierten oder es noch tun. Die bisherigen Beiträge: 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7

Meine Personenbeschreibungen sind subjektiv, unvollständig und unwissenschaftlich, quasi homöopathisch aber auch in hoher Dosierung wohlwollend.

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Über die Jahre schrieben hier fliegende Köche, Piloten, Flugbegleiterinnen, Tänzerinnen, Sachbearbeiterinnen, Ingenieurinnen, Wissenschaftlerinnen, Taucherinnen, Journalistinnen, Übersetzerinnen, Musikerinnen, Geistschreiber, Autorinnen, Computernerds und Geschichtenliebhaberinnen Kommentare. Eine ganz bunte Mischung zog dieses Blog an. Die einen wollten lieber mehr Berichte aus dem Flugalltag lesen, die anderen fanden meine Ausflüge in die Tanzwelt interessant und wieder andere konnten sich für meine Geschichte einer musikalischen Reise begeistern. Insgesamt gab es also keinen wirklichen Konsens - alles wollte bedient werden. Keine leichte Aufgabe für so ein kleines Nischenblog. Mit der Zeit trudelten neben Werbe- und Lesungs- auch Verlagsanfragen ein. Man wollte meine Geschichten drucken. Eine Anfrage stellte sich bei Nachforschung als besonders unseriös heraus, denn der ein oder andere war an der Aufhebung meiner Anonymität interessiert, wobei ich nach den öffentlichen Lesungen nicht mehr ganz so anonym unterwegs war. Ich war verständlicherweise vorsichtig, denn meine Arbeitsstelle wollte ich auf keinen Fall für eine dumme Geschichte riskieren, obgleich ich ansonsten meine Großmutter für einen Witz verkauft hätte. Was ich mir jedoch nicht nehmen ließ, war die Freude am Kontaktieren und Besuchen meiner Lesenden, wann immer ich mich in deren Nähe aufhielt.

So lernte ich beispielsweise Bonita Applebum kennen - eine professionelle Ballettänzerin, die mir hier Tipps zum Verbessern meiner Pirouettentechnik gab. Wir absolvierten eine gemeinsame Ballettstunde in Köln, quatschten ein bisschen davor und danach und verblieben beim gegenseitigen Onlinelesen. Als sie nicht mehr bloggte, brach der Kontakt ab. Kürzlich fand ich sie aber auf Igram wieder. Sie macht jetzt irgendwas für's Fernsehen.

Froyline Deville traf ich in Hamburg und mochte sie sehr. Aus ihrem Blog konnte man eine durch Krankheit schwierige familiäre Situation erahnen. Heute hat sie eine neue kleine Familie, die ausser den Katzen auch einen Mann an ihrer Seite beinhaltet. Das weiß ich von FB.

Käthe Feinstrick wohnt ebenfalls in Hamburg. Wenn es zwischen meinen unterschiedlichen Interessenbereichen Überschneidungen gibt, wird die Sache interessant. Einer Kollegin - ebenfalls Autorin - waren ihre Bücher bekannt. Sie plante, Käthe auf der Frankfurter Buchmesse zu treffen. Ich konnte ihr berichten, dass die Hamburger Autorin eine sehr angenehme Gesellschafterin ist.

Die Begegnung mit einer Leserin aus Shanghai und einer anderen aus Sao Paulo kam leider nicht zustande, dafür lernte ich viele in deutschen Cafés kennen. NFF, ein Pilot aus der Schweiz, sendete mir zu meiner großen Freude mal einen Downloadlink für mein damaliges Lieblingsalbum. Das Login wird von mir bis heute benutzt, obwohl ich im Account nie mehr wieder einen etwas gegen Schweizer Franken erwarb. Auf meinem Arbeitsgerät heiße ich deshalb auch Frau Klugscheisser, was schon zur allgemeinen Erheiterung bei Präsentationen führte.

Der Mek hat mich sogar mal in München besucht. Seine Durchreise nutzten wir für eine kleine Stadtführung mit anschließender Brot- und Bierzeit. Zum Glück schreibt er noch gelegentlich, wenn auch sporadisch, derzeit über's Porschefahren oder die Arktis. Er dürfte den meisten bekannt sein, weshalb ich über ihn nichts mehr zur Verlinkung hinzufüge.

Eine weitere Kommentatorin soll hier nicht ungenannt bleiben, denn sie taucht vor allem bei technischen Fragen so zuverlässig wie das Amen in der Kirche auf. Über Arboretum weiß ich eigentlich so gut wie nichts, denn sie verrät ausser der Liebe zu Blumen kaum etwas über sich in ihrem Blog. Allerdings ist sie mir über die Jahre an's Herz gewachsen, genau wie Frau Croco, die sich berufsmäßig in Flora und Fauna auskennt. Letztere habe ich auf dem Rosenfest treffen dürfen.

Den Glam lernte ich zwar nicht persönlich kennen, doch hatten wir einen gemeinsamen Bekannten. Bomec - ein Kollege, dem ich irgendwann zufällig über den Weg lief und ihn sofort erkannte - schrieb vorzüglich, hat sein Blog aber nach einer Weile erst geschlossen und dann gelöscht. Wenn ich mich recht erinnere, wollte er damals ein Buch schreiben. Auch Frau Nessy bin ich zufällig letzten Winter in der Garmischer Partnachklamm über den Weg gelaufen, habe sie aber aus Gründen nicht angesprochen. Jetzt schulde ich ihr eine Stadtführung durch München. Ehrlichkeitshalber muss ich hinzufügen, dass sie hier nie kommentiert hat.

Manche haben nur ein einziges mal in einer ehedem hitzigen Debatte kommentiert. Insgesamt waren es so viele, dass nicht alle erwähnt werden können. Das tut mir auch irgendwie leid, ich merke aber wie die Ideen für diese Serie langsam verebben. Für diese Retrospektive habe ich viel in meinem Blog quergelesen, bin auf Lustiges, Bemerkenswertes und weniger Schönes gestoßen und habe mich gewundert, wie unterhaltsam, teilweise patzig und manchmal strategisch mein Schreibstil war.

Alles in Allem hat's Spaß gemacht. Jetzt sind es noch 8 Tage und danach hoffentlich noch mehr, in denen ich jeden Kommentar lese, nachdenke und etwas dazu äussere. Sollten Sie mich treffen wollen, dann zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren, denn ich freue mich immer über neue Gesichter, die ich mit den entsprechenden Zeilen verknüpfen kann.

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