Donnerstag, 2. Dezember 2021
Love is All You Need
Vor etwa 15 Jahren schrieb ich einen Text über ein Sendungsformat, das nicht nur mit der heutigen Überschrift, sondern vor allem mit der Hauptperson meiner Geschichte zu tun hat. Keine Angst, so garstig wie damals wird es heute nicht, eher nostalgisch.

Es muss inzwischen über 20 Jahre her sein, als ich dem damaligen Moderator der oben genannten Sendung persönlich an Bord begegnete. Ich war ganz frisch Flugbegeiterin und kam meinen Aufgaben noch sehr pfichtbewusst nach. Nicht dass ich heute anders arbeiten würde, musste aber erst noch lernen, auf dem Grat zwischen Kundenorientierung und Firmenvorgaben - auch schnöde Realität der Einsparungspolitik genannt - virtuos zu balancieren. So kam es nun, dass ich den Zorn eines Passagiers auf mich zog, weil ich nicht all seine Wünsche erfüllen konnte. In der Luft manifestierte sich sein Zorn als sehr lautes Sprechen in meine Richtung, also sehr, sehr laut. Als er mit seiner sehr, sehr lauten Ansprache fertig war, wendete er sich zu seinem Sitznachbarn mit den Worten: "Das Mäuschen werde ich mir auch noch ziehen!" Ich war so perplex, dass mir schlicht keine Antwort darauf einfiel. Und wenn das Erwiderungsschild nicht funktioniert, trifft so ein doofer Spruch ganz schnell mitten in's Herz.

Da die Ansprache des Herrn sehr, sehr laut gewesen war, hatten auch alle Umsitzenden davon mitbekommen. Zufällig saß zwei Reihen weiter der Moderator mit dem obstigen Nachnamen. Als ich neben ihm stand, formulierte er einen gut über zwei Reihen hörbaren Verteidigungsspruch in meine Richtung, der offensichtlich nicht mich adressieren sollte. Das ist übrigens ein Verfahren, das uns als Servicekräften am meisten aus der Bredouille hilft. Von einem anderen Gast verteidigt zu werden, ist Balsam für unsere verletzten Seelen. Die Kolleg:innen hatten die Szene ebenfalls miterlebt und trösteten mich im Anschluss. Zur Einmischung des Herrn Moderators meinten sie, es sei angeblich mit einer ehemaligen Kollegin liiert, was aber meines Erachtens die Aktion nicht schmälerte.

Nach über zwanzig Jahren traf ich nun selbigen Moderator wieder und erzählte ihm nicht nur das Erlebnis unserer ersten Begegnung, sondern auch, wie dankbar ich ihm damals war. Ich hatte diese Geschichte nicht vergessen. Er schien überhaupt nicht erstaunt über den Ausgang, was mich schließen ließ, dass er des Öfteren für Schwächere in die Bresche springt. Wir fachsimpelten ein bisschen über die Beweggründe garstiger Mitmenschen, ich gab Techniken seelischer Abwehrmechanismen preis, seine Reisebegleitung - ebenfalls aus dem TV bekannt - entlockte mir noch eine längst vergangene Peinlichkeit und dann war's auch schon Zeit für getrennte Wege. Beim nächsten Treffen kann ich ihm von dieser für mich weitaus positiveren Begegnung erzählen. Und vielleicht erinnert er sich an die Kabinenchefin, die einst peinlicherweise Frau Christ*ansen in "Frau Berg*hoff" umbenannte.

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Dienstag, 30. November 2021
No Matter if You're Black or White
Am Wochenende habe ich mal wieder was erlebt. Fast wie so eine typische Arbeitnehmerin. Ich bin nämlich spät abends mit den öffentlichen Verkehrsmitteln heimgefahren. Das allein ist derzeit schon ein Abenteuer, soll aber hier nicht zentrales Thema des Eintrages werden.

Ich stehe also am Hauptbahnhof auf meine U-Bahn wartend. Vor mir eine Dreiergruppe asiatisch aussehende Männer mit großen Koffern. Kommt ein Mann mittleren Alters, Typ unter Drogeneinfluss leicht enthemmt, kleidungsmäßig eher sportlich jedoch keiner bestimmten Gesinnung zuzuordnen, und spricht die Gruppe an. Ich höre ihn Sachen sagen wie "hey Sushi" und "where you come from Schlitzauge". Die Gruppe reagiert nicht und wendet sich sichtlich verunsichert ab. Der Typ lässt nicht locker, beginnt einen ein wenig mit den Worten "Why you not react?" auf den Arm zu boxen. Da stelle ich mich vor den Provozierenden und die Gruppe, um zu deeskalieren und sage ganz ruhig wiederholend "just go away". Das wiederhole ich mehrmals. Der Typ entfernt sich ein wenig, kommt dann aber wieder zurück. Inzwischen hoffe ich, dass die U-Bahn bald eintrifft, denn so ganz sicher fühle ich mich auch nicht mehr in meiner Haut. Das überspiele ich mit einer Handbewegung und den Worten "just go over there or there". Einer der Männer aus der Gruppe bedankt sich leise und ich erwiedere: "I'm sorry for this". Schließlich trifft die U-Bahn ein, der Typ entfernt sich und einer aus der Gruppe erklärt in bestem Deutsch: "Das passiert überall, nicht nur hier in Deutschland." Und ich bin ein bisschen peinlich berührt, weil ich die ganze Zeit wie selbstverständlich auf englisch reagierte.

Würde die Geschichte hier enden, wäre sie nur ein kleiner Lobgesang auf mein scheinbar mutiges Intervenieren. Solche Handlungen geschehen bei mir ja sehr spontan und vor allem unüberlegt. Als ich an meiner Haltestelle aussteige, bemerke ich, dass der Typ nach mir Ausschau hält und die Bahn ebenfalls verlässt. Offenbar folgt er mir. Zum Glück ist mein Heimweg nicht weit, gut beleuchtet und ich, dunkel gekleidet, plötzlich sehr schnell. Noch nie habe ich die Haustüre schneller hinter mir zugezogen, um danach erst einmal durchzuatmen. An dieser Stelle wird mir nicht nur die Konsequenz meines Handelns bewusst, sondern auch die Macht, die ein Mensch durch scheinbar harmlose Handlungen auf andere ausüben kann. Wenn Sie mich fragen, würde ich allerdings genau so wieder handeln.

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Sonntag, 14. November 2021
Coming Home Baby
Huch, schon wieder ein Monat vorbei, in dem ich nichts veröffentlicht habe. Eigentlich gibt es schon immer mal Dinge, über die es zu schreiben lohnt aber

1.) sitze ich immer noch an einem langen Text, der für mich wichtig ist und deswegen gut werden soll. Es geht da um ein sehr persönliches Geschenk an eine langjährige Freundin in Form einer Erzählung. Jedes Mal, wenn mir dann was anderes, blogbares einfällt, verkneife ich mir's, weil der Text Vorrang hat. Das mag nicht sehr schlau sein, denn es verhindert Kreativität und verdirbt mir die Lust auf das an sich schöne Projekt. Andererseits habe ich gemerkt, dass der Text besser wird, je mehr Zeit ich zwischen den hinzugefügten Teilen unabgelenkt vergehen lasse.

und 2.) bin ich in Bezug auf Berufliches sowie Abwesenheitszeiten öffentlich zu verbreiten zögerlich geworden. Während meiner Auslandsaufenthalte hätte ich Zeit zum Schreiben. Damit mache ich es aber den Bösewichten leicht, mein Heim zu besuchen und dem Arbeitgeber mich für Veröffentlichung von Interna abzumahnen.

Das Dilemma ist nicht so schlimm, wie es scheint. Fast könnte man meinen, es gäbe derzeit Schlimmeres. In schlimmen Zeiten ist aber gerade die Ablenkung für mich so wichtig geworden. So kann ich nur verkünden, dass ich in Washington war. Also in DeZe, nicht im Staat. Dort herrschen gerade nicht nur spätsommerliche Temperaturen, sondern auch die Pandemie ist vorbei. Zumindest trägt niemand mehr Maske in der Öffentlichkeit, die Impfzertifikate werden höchstens als Einreisevoraussetzung überprüft und auch sonst scheint man guter Dinge zu sein. Wenn das mal keine guten Nachrichten sind, dann weiß ich auch nicht.



Jedenfalls bin ich wieder daheim. Wenn ich jetzt noch bessere Schlafkonditionen hätte, sprich keine unter mir wohnende Partymaus und eine schwerhörige Fernsehzuschauerin im Altbau über mir, wäre ich auch schneller wieder im gewohnten Schlafrhythmus. So aber ertappe ich mich beim Schmieden infantiler Rachepläne. Sowas wie morgens früh aufstehen, um mit Stöckelschuhen auf Parkett tanzend die um vier Uhr zu Bett gegangene Feierrunde aus dem Schlaf zu reißen, scheitert halt daran, dass ich ebenfalls erst um vier einschlief und um neun vom erneuten Lärm von unten geweckt wurde. Die Dame oben hört sowieso nichts, da könnte ich ungeniert eine ganze Blaskapelle aufmarschieren lassen. Und wenn ich dann im Wachzustand überlege, komme ich mir sehr alt und spießig vor. Vielleicht sollte ich einfach mal wieder meditieren, so für die innere Ausgeglichenheit. Oder ich gehe Frau Herzbruch besuchen und desensibilisiere mich durch Kirchenglocken und Baustellenlärm. Im Anschluss erscheinen mir nächtliche Bässe wie sanfte Wiegenlieder. Wie dem auch sei, irgendwann werde ich sicher wieder normal und nicht nur aus Erschöpfung schlafen. Das wird der Tag sein, an dem ich mich kräftig genug fühle, mich wieder mit der derzeitigen Situation draussen zu befassen. Bis es soweit ist, sorgen Sie sich, regen Sie sich auf oder lösen sie die Probleme der Welt aber lassen mich davon bitte unbehelligt.

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