Donnerstag, 29. Juni 2006
Necessities of love
Es gab mal eine Sendung, die hieß „Nur die Liebe zählt“, keine Ahnung, ob die noch läuft. Jedenfalls suchte da ein Kamerateam Leute auf und überraschte sie mit einem Video ihres verschmähten Partners, in dem dieser um Wiederaufnahme in die Beischlafliste bat. Natürlich durfte so ein Anliegen aufgrund der Sendezeit nicht dermaßen deutlich formuliert werden. Zu sehen waren auf den Videos stammelnde Damen bzw. Herren, die unter Zuhilfenahme von Liebesdevotionalien wie Herzchen, Blümchen, Kerzchen und ähnlichem Kitsch ihre Bitte vortrugen. Der so Überraschte wurde anschließend über die Beziehung interviewt und musste vor laufender Kamera entscheiden, ob er dem Drängen nachgeben oder lieber stark bleiben wollte. Die Aufzeichnung davon wurde wiederum dem Initiator der Aktion vorgespielt, der zum Zeitpunkt des Abspielens nicht um das Ergebnis wusste. Und all dies geschah in einem Liebesmobil, das durch Deutschland raste. Es raste auch durch Spanien unter dem Titel lo que es necessito es amor und andere europäische Städte, nur musste da Kai Pflaume aufgrund fehlender Fremdsprachenkenntnisse das Mikro an einheimische Überrascher abtreten.

Am schönsten waren die Szenen, in denen sich der Überraschte nicht von den Bedauerungsmantras und Liebesbeteuerungen des ehemaligen Bettgefährten weich klopfen ließ, ja teilweise regelrecht verspottet wurde. Die Folge waren entgleisende Gesichtsmuskeln, ein zitterndes Kinn und Stimmversagen beim Verschmähten in Großbild. Das alles sonntags gleich nach der Lindenstraße. Ich habe mich immer gefragt, wie groß die Verzweiflung bei solchen Menschen sein muss, um sich einer derartigen öffentlichen Demütigung auszusetzen. Dann doch lieber gleich Harakiri, das hat wenigstens Stil. Bei einigen der Teilnehmer konnte ich es sogar verstehen, denn die waren aufgrund ihres Aussehens gezwungen an die einmalige Liebe zu glauben und die war jetzt vorbei. Manchmal saß ich vor dem Bildschirm und hoffte inbrünstig, die Angebetete möge hart bleiben, nur um in den Genuss der einsetzenden Verzweiflung zu kommen. Das ist nicht unfair, sondern sehr gerecht. Versetzen wir uns doch mal in die Lage der Angebeteten. Man kalkuliert mit der Gnade des Opfers, denn das eigentliche Opfer ist die überraschte Person. So hartherzig wird sich doch keiner öffentlich präsentieren wollen. Emotionale Erpressung zur besten Sendezeit. Und anschließend wird gleich bei Linda de Mol geheiratet, damit er oder sie nicht mehr weglaufen kann. Meines Wissens gibt es keine Statistik darüber, wie viele der Revivals über die tränenreiche Versöhnung vor laufender Kamera hinaus gehalten haben. Ich kann mir vorstellen, dass manche die Schlussklappe indirekt auch auf den Stand der Wiedervereinigung bezogen haben.

Persönlich kam ich nie in den zweifelhaften Genuß solch einer Farce. Das liegt aber wohl daran, dass mir bei diesen Sätzen, die mit „Liebe ist...“ beginnen, nur eklige Dinge einfallen wollen.
Liebe ist...
... wenn man sich das letzte Stück Zahnseide teilt
... so zu tun, als hätte man den Partner nicht furzen hören
... sie trotz (oder wegen?) der Salatreste zwischen den Schneidezähnen zu küssen
... trotz Latexallergie mit Kondom zu vögeln
... gegenseitig Pickel ausdrücken
... Quasimodo als den schönsten Mann der Welt zu bezeichnen
... beim Geschlechtsverkehr den Popel im Nasenhaar des Partners nicht zu fixieren
... den Namen des Partners beim Höhepunkt zu rufen, wenn sie Gertraud/Elfriede/Sigrid heisst
[analog zu Ruprecht/Balduin/Theodor]
[Liste darf gerne in den Kommentaren fortgesetzt werden]
Das bedeutet, ich verstehe nicht viel davon. In dieser Hinsicht bin ich ein emotionaler Eisblock. Ich bin zu realistisch, um an die vorgegaukelten Bilder eines Hormonkaleidoskopes zu glauben, geschweige denn einen Menschen, der mich nicht schätzt, in Form eines Videobekenntnisses zurückgewinnen zu wollen. Solche Leute stellen ihre Armseligkeit unter Beweis, indem sie mit dem Mitleidsbonus spekulieren. Wer will schon mit einem Partner leben, der dies nur aus Mitleid tut? Emotionale Bettler, die Küsse wie Markstücke einfordern.

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Ich kannte mal eine Frau, die sagte zu mir: Der Mann, der für mich zu "Nur die Liebe zählt" gehen und im Videobeweis um mich kämpfen würde, wäre genau der richtige. Ich rannte schnell weg.
Warum soll man sich öffentlich zum Klops machen und gerade mit dem von Ihnen erwähnten Mitleidsfaktor spielen, um der angebeteten Dame irgendetwas mit "Liebe" zu beweisen? Warum stellen sich da Männer hin und sagen: Es tut mir ja so unendlich leid, dass ich mit der und mit der und eventuell auch mit der fremdgevögelt habe, aber ich liebe dich doch? Das ist doch alles nur Herzschmerzshow, so etwas kann man doch nicht ernst nehmen.
Dieses "Liebe ist..." übrigens auch nicht.

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Sie haben den Sinn meines Textes verstanden.

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Das ist doch schon mal was.

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Ich bin genau einmal in diese Show geschneit: Eine Frau hatte es nach Jahren häuslicher Gewalt ("ich hab immer gedacht, der meint das doch gar nicht so") endlich geschafft, den Schläger zu verlassen. Und dann bringen die sie vor laufender Kamera dazu, den Kerl zurückzunehmen.
Soweit zu "Liebe".

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Ohne Worte.
Soviel zur Co-Abhängigkeit.

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Doch noch was:
Ich glaube, der größte Motivator für menschliches Tun ist Schmerzvermeidung. Demzufolge kann ich ganz pauschal sagen, dass ihr Schmerz wohl noch nicht groß genug war.

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Die mittlere Phase. Wenn man den Hormoncocktail leider noch zu brauchen meint. Co-abhängig eben.

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wer wird denn gar so garstig sein. Lassen sie den zuschauern doch die Illusion einer echten Versöhnung, auch wenn sie leidlich inszeniert und mittelmäßig gespielt ist (Robert de Niro war fürs Budget halt nicht zu bekommen).

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