Montag, 19. Juni 2006
Baby baby balla balla
Unsere Flieger haben jetzt Fußballnasen. Natürlich nicht im derzeitigen Damenbindendesign, sondern im alten. Komisch, dass der Mehrheit diese Assoziation erst jetzt kommt. Bei Tennisbällen hat noch nie ein Hahn nach Design gekräht, obwohl die schon seit ich denken kann zwei aneinanderliegende Binden eingearbeitet haben. Und jetzt findet alle Welt solche Formen merkwürdig. Mir ist egal, ob alle Welt auf Sechsecke oder Damenbindendesign schaut. Aber ich bin auch kein Fußballfan. Was Flugzeuge mit Fußball zu tun haben, ist mir allerdings schleierhaft. Sieht ganz so aus, als würden die Maschinen den Ball durch die Luft vor sich herschieben. Hoffentlich trifft er nicht gerade in das Himmelstor, wenn ich an Bord bin. Seit dem Tag des Eröffnungsspieles war kaum ein männlicher Angestellter mehr fähig, seine normalen Aufgaben zu erledigen. Einziges Thema des Rampagenten sind seine geschenkten VIP Karten. Der Brückenfahrer ruft ständig Viva Italia und der Loader hat dieses runde Leuchten im Auge. Selbst die Gäste sind völlig verändert. Wird sonst nach Anschlussflügen gefragt, so stehen jetzt Fragen nach Spielergebnissen im Vordergrund. Die Krawatten wurden gegen Fahnen eingetauscht und die Laptoptaschen gegen Rucksäcke in Deutschlandfarben. Sie bringen Girlanden und überdimensionale Hüte, Fahnenstangen und Banner statt Anzugtaschen zum Verstauen. Auch die Laune scheint merklich besser als sonst. Zeitgleich hielt babylonisches Sprachgewirr an innerdeutschen Destinationen Einzug. Überhaupt sprechen die Menschen mehr miteinander. Man weiß ja, man ist zu Gast bei Freunden. Das läuft zwischen starrsinnig englisch negierenden Nationen folgendermaßen ab: man nimmt Augenkontakt auf, ruft der anderen Partei eine den Ländernamen implizierende Phrase in seiner Muttersprache entgegen und gestikuliert anschließend individuell. Der weitere Gesprächsverlauf wird wesentlich vom derzeitigen Spielstand beeinflusst. Da fließt schon mal die ein oder andere Drohgebärde mit ein. Selbst Japaner, die sonst sehr zurückhaltend auftreten, lassen sich zu emotionalen Ausbrüchen hinreißen. Gestern beobachtete ich einen ganzen Gefühlsticker durch die Mimik eines japanischen Geschäftsreisenden ziehen, als er vom Unentschieden erfuhr.

Wird eine Destination angeflogen, deren Nation gerade verloren hat, muss die Crew speziell gebrieft werden. Das ist wie bei einem Staatstrauerakt. Passagiere bewegen sich mit hängenden Schultern und Köpfen durch die Gegend, die Belader fragen verschämt nach Taschentüchern oder seufzen leise vor sich hin. Unklar ist mir noch, ob und in welcher Form ich mein Beileid aussprechen oder es lieber für mich behalten soll. Was sagt man in solch einem Fall? Mein Beileid zum verlorenen Spiel/Unentschieden? Ich denke an sie in dieser Zeit des schweren Verlustes? Da werden Hoffnungen zu Grabe getragen und Träume verabschiedet. So was ist nicht zu unterschätzen. Trotzdem habe ich noch nicht die richtigen Worte gefunden. Vielleicht überreiche ich einfach eine Kondolenzkarte in Form einer schwarz umrandeten Damenbinde, in die Fußballanstecknadeln eingearbeitet sind. Wenn wir die Pins nämlich austeilen, werden erwachsene Männer zu kleinen Jungs, greifen gierig in die Körbe und tragen heim, soviel die Hände halten können. Ehrlich, da entbrennt der Ballneid. Hat der Sitznachbar zufällig zwei davon erwischt, was seinen Augen strahlenden Glanz verleiht, will der nächste auch zwei. Erkläre ich, es gäbe für jeden nur eines, kann ich bis zum einsetzenden Trotzgeschrei die Sekunden zählen. Selbst wenn ich wollte, hätte ich nicht für jeden zwei. Ich bin schließlich kein Fußballpinscheißer. Kleine Jungs werden beim Einsteigen von ihren Vätern vorgeschoben, um Fußballzeitschriften abzugreifen. Wahrscheinlich werden die lieben Kleinen keinen auch noch so kurzen Blick hineinwerfen können, da das Druckwerk sofort von Papi in Beschlag genommen wird. Passagiere der Businessklasse wollen plötzlich nicht mehr essen, sobald sie ein Geduldsspiel ergattern, bei dem man einen Schokoladenball in ein Papptor befördern muss und statt Tomatensaft trinkt man jetzt Cola. Selbst der Flughafen ist vom Fußballfieber nicht verschont geblieben. Ich meine damit nicht die grünen Matten vor den Checkin Schaltern und nicht die vielen Werbeplakate, von denen Spieler herablächeln. Seit neuestem steht an fast jedem Gate ein Kickertisch. Es finden sich immer zwei bis vier Spieler, die darüber ihre Abflugszeit vergessen. Manche vergessen die auch, weil sie wie hypnotisierte Häschen auf den Monitoren laufende Spiele verfolgen. Leute, ich werde Euch daran erinnern, wenn dieser Wahnsinn endlich ein Ende gefunden hat. Dann fliegt ihr verspätet ab, weil ich vor lauter bloggen vergesse, meinen Dienst pünktlich anzutreten. Oder ich lasse meiner Trauer über den Verlust eines künstlichen Fingernagels verbal freien Lauf. Oder ich erzähle stundenlang über meine neuesten Konzertkarten und versäume nicht, hinterher im Detail über jede Bewegung des Dirigenten zu berichten. Dann will ich mal sehen, wie weit es mit eurer Toleranz her ist. Hab ich schon erwähnt, dass ich Fußball hasse? Nein? Macht nichts. Da gibt es nämlich den Spruch eines klugen Mannes, in dem jener bei höheren Mächten bezüglich der Dinge, die er nicht ändern kann, um Gelassenheit bittet. Daran werde ich euch erinnern, wenn euer Land von der WM ausscheidet. Und jetzt entschuldigt mich bitte. Ich muss für meinen nächsten Einsatz noch eine gelbe und eine rote Karte basteln. Das ist die einzige Form der Kommunikation, die derzeit international verstanden wird.

Der Song im Titel stammt übrigens von einem Herrn namens Chubby Checker. Da ist doch Name beinahe Programm.

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