Dienstag, 23. Januar 2007
A touch of everyday life
Wer viel unterwegs ist, braucht Konstanten. Mehr als andere, deren Konstante allein schon die Räumlichkeit ist, in der sie ihre Arbeit verrichten. So schleichen sich langsam an verschiedenen Orten diverse Verhaltensweisen ein. In Hongkong beispielsweise nehme ich bei jedem Aufenthalt die Fähre, die mich von Wanchai direkt nach Tsim Sha Tsui - die andere Seite der Stadt - bringt. Die Überfahrt dauert nur wenige Minuten. Ich habe dort kein konkretes Ziel, vielmehr ist es die Fähre an sich, die mich magisch anzieht. Nicht einmal der Aussicht halber lohnt sich die Fahrt, denn meistens umhüllt dichter Dunst die hohen Fassaden auf der jeweils anderen Seite.

Vielleicht sind es die Menschen, die mich reizen und mit denen ich während der Überfahrt indirekt in Kontakt trete, wobei das Attribut "indirekt" so gar nicht zur chinesischen Mentalität passen mag. Im dicht besiedelten China scheut man den Körperkontakt zu Fremden nicht, was mich als Europäer mit räumlich ausgeprägter Distanzzone immer wieder irritiert. Die Passagiere warten auf das Eintreffen des Schiffes vor verschlossenem Gitter. Eine kleine Frau drängt sich an mir vorbei nach vorne, obwohl die Fähre noch nicht angelegt hat. Als sich das Tor zum Einsteigen öffnet, werde ich von Passanten mehrmals gestreift. Obwohl an Deck mehr als genug Platz für die wenigen Fahrgäste existiert und es auch keine besseren Plätze gibt, haben es die Chinesen eilig, an Bord zu kommen. Beim Aussteigen ein ähnliches Bild. Alle rennen zur geschlossenen Rampe, die zum Überbrücken der Lücke zwischen Boot und Hafen heruntergelassen wird, als ob der erste Ankömmling einen Preis zu erwarten hätte. Während ich die Station passiere, drängt sich wieder eine kleine Gestalt neben mich. Ich bin neugierig was passiert, wenn ich unbeirrt auf gleicher Höhe bleibe, den von ihr gewählten Abstand beibehaltend. Natürlich geschieht nichts. Nicht einmal irritiert reagiert die Alte. Persönliche Distanz, die in Europa nur in Ausnahmesituationen (öffentliche Verkehrsmittel etc.) und mit entsprechendem Verhalten begleitet unterschritten wird, scheint hier eine Form von Luxus zu sein.

Über den Sitzbänken ist eine Lehne angebracht, die zur jeweiligen Fahrtrichtung geschwenkt werden kann. Man fährt einfach lieber vorwärts. Um mich herum wird ständig telefoniert oder sich mit dem Mobiltelefon beschäftigt. Ich habe noch nie einen Fahrgast in ein Buch versunken gesehen. Dabei erinnere ich mich bei jeder Überfahrt an eine vor langer Zeit gelesene Beschreibung aus einem Roman. Der Protagonist lebt in Hongkong und benützt häufig die alten grün-weißen Boote der Star Ferry. Und an eine weitere Passage aus dem Buch denke ich während der Überfahrt:

'You must eat the cold porridge,' he told me once. It's a Chinese expression. Cantonese, I guess [...]
The way he explained it, eating the cold porridge means working at something for so long that when you get home there is nothing left to eat but cold porridge [...] That's how you get good at something, he told me. That's how you get good at anything. You eat the cold porridge. You work at it when the others are playing. You work at it when the others are watching TV. You work at it when the others are sleeping. To become the master of something, you must eat the cold porridge, Grashopper.
*

Nicht dass ich Kartoffelbrei besonders gerne mögen würde - kalt schon gleich zweimal nicht - aber diesen Vergleich mag ich sehr, weil er so einfach ist. Und weil ich genau dieses Prinzip des kalten Kartoffelbreies vor langer Zeit zu meinem gemacht habe. Ich mag in den meisten Dingen nicht besonders gut sein aber ich bin stur. Sogar in den Dingen, die mir nicht wirklich gut tun. Wenn Ausdauer ein chinesisches Attribut ist, dann bewundere ich die Chinesen dafür. Um wieviel schnelllebiger und vergänglicher ist dagegen unsere kleine westliche Welt. Manch einer probiert sich in Tai Chi oder Yoga oder das, was er als westliche Form davon kennt. Manch einer konvertiert zum Buddhismus, um endlich die langersehnte Zufriedenheit zu erlangen. Wenn die sich nicht schlagartig nach einigen Monaten der Übung einstellt, wird das Konzept meist schnell gegen ein neues oder wieder gegen die alte Couch eingetauscht. Dabei ist alles so viel einfacher und gleichzeitig um so viel schwieriger.

Solchen Gedanken hänge ich auf der siebenminütigen Fahrt mit der Star Ferry hinterher. Letztens hatte ich meine Karte zu Hause vergessen und war somit ohne Zahlungsmittel. Von den geliehenen Hongkong Dollar einer Kollegin konnte ich die anderthalb Aufenthaltstage mehr schlecht als recht überrunden, doch die Überfahrt habe ich mir nicht nehmen lassen. Mit 2,20 (umgerechnet etwa 20 Cent) ist ein Ticket so ziemlich das Billigste, was man in Hongkong kriegen kann, mal abgesehen von unfreiwilligem Körperkontakt. Den gibt's umsonst.

*Tony Parsons One for my baby

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..ich denké ich muss mal langsam nach hongkong, wobei ich dieses Drängeln,schubsen ja überhaupt nicht ab kann...was das mit der Ausdauer etc angeht möchte ich noch hinzufügen, oder der ein oder andere greift zu diversen Mitteln um dann seine ungeduld zu überbrücken...

PS: so beamen wie in stardreck, das wär doch was, da hätten 'Sie eben noch Fix ihre Karte holen können..;-)

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Beamen macht mich arbeitslos!

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nein nein, auch beim Beamen möchte ich nicht auf eine hübsche Stewardess verzichten....lächel

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falsche Fähre!
(...) jetzt nehmen sie mal endlich die Fähre nach Lamma! Gemütliche überfahrt, gemütliche Leute, gemütliche Kaffee-Kneipen, fast keine Handy und erst noch gratis Internet, wo sich bequem auf der Seite von Frau Klugscheisser surfen lässt!

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Ich wusste, dass ich irgendwas in meinem Leben falsch mache.

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Die Tiefe, die unheimliche 'Hüzün' dieser Zeilen...
Man erinnert sich endlich wieder daran, weshalb man die wenigen Blogs, die man liest, so gern liest.
(Mein holpriger Stil kann nicht wiedergeben, was ich gerade fühle)

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wahre worte, werte frau klugscheisser. ich erkenne die so schön beschriebenen verhaltensweisen und gedanken an mir wieder. viele grüsse und happy schneechaos - morgen gehts bei mir nach sibirien. da weiss man wenigstens, was man hat. bomec

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