Dienstag, 31. Mai 2022
The Queen of Corona 3
Eine dritte, sehr kurze Nacht. Geschlafen habe ich nur zwischen 3.30 und 7.40. Danach schaltete sich ein völlig neues Level von Schlechtfühlen frei. Obwohl ich komplett verschwitzt aufwachte, war mein Fieber geschätzt eher niedrig. Meine Konzentration reichte von hier bis zum nächsten Türrahmen. Als ich eine Antwortmail meines Arbeitgebers mit Anforderung von Nachweisen lesen wollte, brach ich in Tränen aus. Ich merkte, dass mich allein das Lesen und Verstehen so viel Kraft kostete, die ich nicht hatte. Auch andere Aufgaben schienen mir plötzlich unüberwindbar. Mein Kopf hat die Fähigkeit zu improvisieren und neue Möglichkeiten zu finden verloren. Das wurde mir durch einen Dialog auf Twitter klar. Bei dem Hinweis, ich dürfe die Isolation nicht brechen, hatte ich keinerlei Lösungsmöglichkeiten mehr als den Gedanken, dann werde ich halt nicht mehr essen, womit die Problematik um Einkaufen und Müllentsorgung gelöst wäre. Bleiben Sie dran, wenn meine Vorräte in drei Tagen zur Neige gehen. Am liebsten hätte ich jemanden, der mein Leben ab hier für mich organisiert.

Das von Frau Novemberregen georderte Fieberthermometer kam nachmittags an. Ich packte es aus und ließ es als erstes fallen. Es funktioniert aber noch und zeigte mir, dass ich mich in einem normalen Fieberbereich bewegte. Somit ist mein Hirnnebel nicht vom Fieber. Ob ich darüber froh sein soll, weiß ich jetzt auch nicht. Eine weitere Neuerung sind die gefühlt belegten Ohren, d.h. ich höre nur noch wattig. Kenne ich schon, hängt mit der Eustachischen Röhre zusammen, tritt vor allem bei Schnupfen und damit behindertem Luftaustausch auf. Seltsamerweise habe ich aber keinen Schnupfen. Naja, die Nase lief immer mal ein bisschen, war aber nie verstopft. In diesem Zuge lernte ich, dass ich den Musculus tensor tympani willentlich ansteuern kann, was ich bereits seit Jahren bei auf der Straße vorbeifahrender Martinshörner nutze, wenn ich keine Hand frei habe, um mir die Ohren zuzuhalten.

Auch die Augen sind seit dem Abend in Mitleidenschaft gezogen, die Bindehaut entzündet. Ich war immer schon sehr sorgfältig, da kann ich erst recht bei Corona keines der üblichen Symptome auslassen. Bekannte und Freund'innen meldeten sich gestern nur noch sporadisch, nachdem sie einsilbige Antworten auf Ihre Genesungswünsche erhielten. Ich hoffe, Du bleibst symptomlos/leichter Verlauf/milde Symptome etc. und Geht es Dir besser? mit nur vier Buchstaben beantwortet (Nein) bedeutet scheinbar zwischen den Zeilen soviel wie Lass mich in Ruhe. Dem ist nicht so. Das Lesen und Tippen strengt mich nur ungemein an. Auch dieser unwesentliche und uninspirierte Eintrag hat mich Stunden Energie und Konzentration gekostet. Das sind sie und bin ich nicht von mir gewöhnt. Das erschreckt mich. Bleiben Sie also dran, wenn es morgen wieder heißt: neue Symptome, neues Glück.

... link (12 Kommentare)   ... comment


Montag, 30. Mai 2022
The Queen of Corona 2
Die zweite Nacht (Samstag auf Sonntag) wäre überstanden. Ich habe sogar irgendwann geschlafen. Das ist alles nicht selbstverständlich, denn mein Fieber stieg erwartungsgemäß am Abend an. Messen kann ich es immer noch nicht, weiß aber inzwischen, wie sich hohes Fieber anfühlt. So fühlte es sich dann die ganze Nacht an: kaltschweißig, körperlich empfindlich und geistig sehr verwirrt. Um vier stand ich auf, machte mir einen Tee und merkte, wie wackelig ich auf den Beinen war. Dieses Mal entschied ich mich gegen das Waschen meines Geschirrs und Haares. Als die Dämmerung einsetze, öffnete ich das Fenster und, da ich mich offiziell noch nicht in Quarantäne befand - das Schreiben vom Gesundheitsamt war noch nicht eingetroffen - zog ich mich kurzerhand warm an, sammelte den Plastikmüll ein und beschloss einen Spaziergang zum Container zwei Straßen weiter. Um die Zeit ist sonntags ja niemand unterwegs. Naja, ausser vielleicht ehrgeizige Jogger, schlaflose Jungeltern und andere Quarantänende, denen ich selbstverständlich großzügig auswich.

Daheim musste ich mich wieder in's Bett legen. Ein Frühstück bestand aus Joghurt mit Banane und Kaffee, wovon ich nicht wirklich was schmeckte. Der Husten wurde im Laufe des Tages stärker, was mich am Schlafen hinderte. Ein kleines Mittagessen mit Kartoffeln und Rührei gegen 11.00 führte zu Bauchweh und Durchfall. Später führte ich ein, zwei nette Telefonate, die jedoch durch diese Symptomatik sehr plötzlich abgebrochen werden mussten. Bei Husten halte ich das Mikro zu aber auf der Toilette will ich wahrlich nicht telefonieren. Das ist mir zu intim. Zudem brauche ich beide Hände, um meinen automatisierten Bewegungsablauf einzuhalten. Für alles andere muss ich nachdenken, was mir heute insgesamt sehr schwer fiel.

Ein weiteres Symptom ist meine - wie man im Bayrischen sagt - Gfühligkeit. Das kann entweder mit der Tatsache zusammenhängen, dass ich krank bin und mich wie ein waidwundes Tier verhalte, das sich zurückzieht, um zu sterben (na schön, das war jetzt wirklich ein wenig übertrieben, denn ich bin sehr sicher, dass ich nicht an Corona sterben werde; dann wären ja drei Impfdosen verschwendet) oder an meinen Wechseljahrsauswirkungen. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf die Emotionalität, sondern auch auf Schweißausbrüche, von denen ich nie weiß, ob sie vom Fieber oder den Hormonen ausgelöst wurden. Und da wären wir wieder bei meinem Problem des fehlenden Thermometers. Die Hitzewellen hatte ich lange Zeit ganz gut im Griff. Bei mir wirkt eine kohlehydratarme Ernährung (kein Brot, Pasta, Zucker, aber Brokkoli und Kartoffeln) - rein subjektiv erprobt, d.h. wirkt bei mir, muss aber nicht zwingend bei anderen. Aber die Gefühle fahren gerade sehr Karussell, ich bin empfindlich und schnell verletzbar. Gibt's da was von Ratiopharm?

Frau Novemberregen bot in den Kommentaren an, die Macht des Internets in Bewegung zu setzen, damit ich meinen Arsch daheim lassen kann. Ja, so hat sie's formuliert. Für mich ist die Möglichkeit immer noch wie ein Wunder, dass sich Dinge aus dem Virtuellen vor meiner Wohnungstüre manifestieren. Hätte es 10 n.Chr. schon Internet gegeben, ich hätte genau mit dem Hintergrund diese Wunder verstanden, bei dem aus Wasser Wein wird (etwa so). Nach einem sehr langen und schwierigen Telefonat wartete die Nachricht von Frau Novemberregen in meinem Postfach, dass sich morgen mein Wunsch nach einem Thermometer materialisiert. Dafür habe ich ihr versprochen, mich bei meinem nächsten Frankfurtaufenthalt ihrer Bügelwäsche zu widmen. Ist ja auch nicht immer so einfach, ein Hilfsangebot anzunehmen und mich nicht revanchieren zu können. Ein weiteres Angebot kam aus der Familie meines Bruders. Die würden mich gerne für die Krankheitszeit bei sich aufnehmen, damit ich gut versorgt bin. Allerdings wohnen die in der Nähe von Erlangen und im Haushalt befinden sich Kleinkinder. Auch wenn mein Bruder ein sogenannter Coronaleugner ist, kann ich das Angebot nicht mit gutem Gewissen annehmen. Gerührt hat es mich dennoch. Ist nicht so, als hätte ich keine lieben Menschen um mich, nur wohnen fast alle zu weit weg.

So bleibe ich halt zuhause, vertreibe mir die Zeit im Netz und gehe vielleicht mal in der Dämmerung vor die Türe. Knoblauch mag ich übrigens auch nicht, das aber nur am Rande. Meinen Coronavirus stelle ich mir in etwa so vor und hoffe, alle Eindringlinge werden von den weißen Blutkörperchen gehörig getriezt.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 29. Mai 2022
The Queen of Corona
Letzthin kam im Fernsehen die Wiederholung des Centralparkkonzerts von Simon & Garfunkel, das so um 1981 stattgefunden hat. Eigentlich wäre ich alt genug gewesen, das bereits mitzubekommen, verhielt mich jedoch damals gegenüber jeglicher Populärmusik misstrauisch. Kennengelernt habe ich diese Musik dann erst Ende der Achziger durch einen Freund. Und plötzlich schien alles aus dieser Ära unglaublich interessant - Beatles, John Lennon, Joan Baez, Joni Mitchell, Bob Dylan (you name it) und eben Simon & Garfunkel. Das war jetzt ne sehr lange Einleitung für ein völlig anderes Thema, soll aber den Titel meines Eintrags erklären.

Ich habe Corona. Ich, die zwei Jahre mit 3M geflogen ist, die Maske für 16 Stunden toujours aufhatte und die dafür Migräne im Layover in Kauf nahm. Alles kein Spaß, doch war ich mir sicher, dass die Alternative, nämlich zu erkranken auch nicht so super wäre. Auf dem letzten Flug war ich mutig. Oder leichtsinnig, je nachdem wie man es verstehen will. Ich trug eine OP Maske, die nicht so dicht und weniger gut sitzt. Da Passagiere meist ihre Masken intuitiv absetzen, wenn sie mit uns sprechen, habe ich mir angewöhnt, den Kopf ab und das Ohr zuzuwenden. Zugegeben, es ist leichter, bei Umgebungslärm die Lippenbewegungen zu sehen. Das unterstützt die Verständigung ungemein. Andererseits will ich nicht die volle Ladung Viren ungehindert in meine Richtung katapultiert wissen. Und so hat es mich eben erwischt.

Angefangen hat's sehr harmlos. Nach einem Flug teste ich mich meistens, vor allem bevor ich mich mit anderen Menschen treffe. Der Test war negativ - wie zu erwarten. Dann spürte ich leichtes Kratzen im Hals und Verlust der Geschmackssinne. Ich wartete ab, überlegte noch, ob ich den nächsten Flug werde antreten können und beschloss, die Entscheidung auf den nächsten Tag zu verschieben. Jetzt ist es bei uns so, dass ich meine Flugwünsche einmal im Monat in ein System eingebe - was ich davon zugeteilt bekomme, hängt von vielen Faktoren ab - und plane dann in der Ruhezeit, die dieser Flug auslöst, wichtige Termine, Arztbesuche oder auch einfach nur private Treffen. Kann ich einen Flug wegen Krankheit nicht antreten, verliere ich gleichzeitig auch die freien Tage danach. Sobald ich mich gesund melde, bekomme ich einen beliebigen Flug zugeteilt. Bei mehr als zehn Abwesenheitstagen (Krankheit, Urlaub, Freistellungen) im Monat kann bereits ein Fehltag den kompletten Monatsplan obsolet machen. Man kann sich unschwer vorstellen, wie viel Druck auf der Entscheidung für eine Krankmeldung lastet. Dutzende Male bin ich schon halb krank geflogen, kürzlich erst mit einer durch einen Treppensturz verrenkten und gezerrten Schulter. "Geht schon" ist nicht nur mein Motto, sondern auch das der Mehrzahl im Kollegium.

Bereits am Abend kündigten sich Gliederschmerzen und starkes Kopfweh an, gefolgt von hohem Fieber und Schüttelfrost. Das war der Zeitpunkt, an dem mir klar wurde, dass ich den Flug am nächsten Tag nicht antreten können würde. Ein Schnelltest gegen 4.00 nach sehr unruhiger Nacht bestätigte meine Befürchtung. Und was tat ich danach als erstes? Ich spülte mein Geschirr ab. Mit fast 40 Fieber. Wie so 'ne schwäbische Hausfrau. Danach ging ich unter die Dusche, weil man nie wissen kann, wie so eine Infektion verläuft und ich frische Wäsche nicht ungeduscht anziehe. Und dann kann man ja auch gleich Haare waschen, weil es sich im Krankenhaus so schlecht Haare wäscht und überhaupt guten Eindruck hinterlassen und so. Alles in allem ein erheblicher Kraftakt, den ich mir hätte sparen können. Erziehung my ass.

Um zehn vor acht stand ich dann am noch verschlossenen Eingang des Testzentrums im Gasteig. Man solle bitte mit privaten Verkehrsmitteln anreisen oder mit dem Fahrrad. Steht auf der Internetseite bei Terminvergabe. Mit.Dem.Fahrrad! Im Ernst, hätte ich Rad fahren können, wäre ich arbeiten gegangen. Die Einsatzplanung hatte ich bereits um 5.00 über meine Coronainfektion informiert. Und auch das war gar nicht so einfach. Ich mache den Job jetzt seit 23 Jahren und musste mich in der Vergangenheit ab und zu krank melden aber Corona schaltet ein völlig neues Level der Krankmeldung frei. Da ruft man nicht an, wartet die Bandansage ab und drückt im richtigen Moment die eins. Nein, da gibt es so viele Regularien zu beachten, dass ich die Zeit zwischen 5.00 und 7.00 Dienstvorschriften lesend verbrachte. Ein halbes Jahr keine Chinaeinsätze, hier eine Meldung mit Antikörpernachweis hinschicken, dort eine andere Bestätigung. Ich weiß nicht, wie andere das schaffen, zumal die Gruppe der Flugbegleitenden im Schnitt nicht unbedingt die intelligenteste ist. Jedenfalls brauchte ich für diesen Prozess sehr viel Konzentration, die ich nur mit viel Anstrengung und mehreren Schmerzpillen - die guten aus USA - aufbrachte. Meine Mitochondrien arbeiteten im oberen, roten Bereich der Betriebstemperatur.

Zum Testzentrum also mit 3M Maske und so viel Abstand, wie in öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Mein Mitleid mit potentiell Anzusteckenden weil nicht korrekt Maske Tragenden hält sich allerdings in Grenzen, weshalb ich auf dem Rückweg noch schnell einkaufen ging. Die Gummihandschuhe zog ich irgendwann aus. Ich hatte sie beim Anziehen ja schon aussen berührt. Und dann lag ich erst mal daheim im Bett, bis irgendwann nachmittags mein altes Quecksilberfieberthermometer auf den Boden fiel und fortan unbeirrt behauptete, meine Temperatur sei inzwischen bei 43°. Da schwang ich mich tatsächlich auf mein Fahrrad und fuhr zum Drogeriemarkt, denn an einem Samstag ist die nahe gelegene Apotheke nach zwölf zu. Ich fuhr langsam, mit Schweißausbrüchen, die nicht an der Aussentemperatur lagen. Die Radwege erschienen mir noch nie so schmal wie gestern. Das erste Thermometer - irgendwas sehr Neumodisches - nahm ich mit heim und sofort in Betrieb. Eine ganz eigene Herausforderung, denn während man so ein Quecksilberstäbchen einfach in eine Körperöffnung steckt, muss das Hightecteil nach genauen Vorschriften in Betrieb genommen werden. Ich weiß immer noch nicht, ob mein Fieber inzwischen gesunken ist, denn nach einer Stunde erfolgloser Messversuche, bei der sich das Ding einfach ausschaltete, beschloss ich, bei beginnendem Delirium einfach den Notarzt zu rufen - die Nummer ist eingespeichert.

Und das war dann auch genug Abenteuer für meinen kranken Körper an einem Samstagnachmittag. Bitte lassen Sie gerne Mitleidsbekundungen da, die sollen auf den Heilungsprozess nachweislich förderlich wirken.

... link (21 Kommentare)   ... comment


Montag, 4. April 2022
Nightrain
Was man so alles erlebt, wenn man mal zu anderen Zeiten rausgeht als den üblichen. Das sind die, wo die Läden geschlossen sind und die in meinem Alter daheim vor dem Fernseher oder dem Internet sitzen. Ich wollte schon immer mal nachts in's Fitnessstudio, einfach um zu sehen, was sich dann für Leute da versammeln. Ein bisschen auch, weil ich vermutete, da seien weniger da und ich trotz Kontaktreduzierung auch ein bisschen trainieren wollte. Dann fiel mir ein, dass es vielleicht nachts da nicht so schön ist, wenn man zum Beispiel dem Typen begegnet, der immer im gleichen geruchsintensiven Shirt trainiert und einen schon tagsüber mit Blicken dermaßen verfolgt, dass es einen innerlich schüttelt.Dann war geschlossen, weil man nicht ungeboostert oder ungetestet rein durfte. Dann hat sich mein Schlafrhythmus verschoben und ich war froh, wenn ich schon vor mittags schaffte, dort zu sein.

Am Schlafrhythmus war übrigens auch die Fahrt mit dem Nachtbus schuld. Also nicht ursächlich, weil ich ja nicht die ganze Nacht nur Bus gefahren bin. Ich war etwas länger bei einer Veranstaltung, und als ich heim wollte, fuhren die normalen Öffies nicht mehr. Also bin ich zum ersten Mal mit dem Nachtbus heim. Das Klientel ist im Schnitt sehr jung, was nicht weiter erstaunlich ist, denn die anderen leisten sich Taxis oder Uber. Ich mit meiner schwäbischen Sozialisation leiste mir erst ein Taxi oder Uber, wenn wirklich garnix mehr geht. Auch kein Radfahren, was sich entweder wegen Witterung oder meiner Garderobe verbietet.

Was mich an diesem jungen Publikum erstaunte, ist die Kommunikationsfreudigkeit. Wenn ich bei Twitter oder in sonstigen Medien lese, dass sich die Jugend von heute nur noch via Bildschirm austauscht und spontane Kontakte nicht mehr gewohnt ist, dann sind die Verfasser noch nie Nachtbus gefahren. Innerhalb von zwanzig Minuten beantwortete ich interessierte Fragen zu meinem Abend- meinem Musikprogramm (Kopfhörer), meiner Garderobe und dem Ausstiegsziel. Und auch untereinander tauschten sich zusammengehörige Grüppchen mit anderen aus. Noch nie - und ich schreibe das aus langjähriger Münchenerfahrung, die von Nordrheinwestfalenheimischen mit Sicherheit nicht nachvollzogen werden kann, es hat sich jedoch sehr oft in unterschiedlichen Lokalitäten so zugetragen - hatte ich irgendwo mehr soziale Kontakte als in einem Bus, der nachts die Heimkehrenden aufsammelt. Nicht in Kneipen, nicht im Biergarten und nicht bei anderen öffentlichen Veranstaltungen, wobei ich aber auch kein Mensch bin, der an politischen oder Trinkfestigkeitsdemonstrationen - beispielsweise in Oktoberfestzelten - teilnimmt.

Sollte ich mich demnächst sehr einsam fühlen, fahre ich einfach wieder eine Runde mit dem Nachtbus. Reibungsloser Transport, gute Kommunikation, gerne wieder.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 1. April 2022
Ennobled
Am Wochenendabend sind die Lockerungen der Coronamaßnahmen in der Stadt deutlich zu spüren. Viele Gruppen junger Menschen zieht es zum Feiern nach draussen oder in die Clubs. So genau weiß ich nicht um ihr Ziel, vermutete aber die jungen Männer in der Straßenbahn wollten zu einer stadtbekannten Partylocation. Sie fielen mir bereits an der Haltestelle auf. Vier Jugendliche, die sich laut unterhielten und abwechselnd große Schlücke aus einer Whiskeyflasche tranken. Einer beschrieb dann deutlich hörbar die Wirkung dieses Getränks als zunächst nicht spürbar, dann aber plötzlich reinhauend, was er persönlich sehr an Whiskey schätze.

Ich war irritiert bis angewidert mit deutlichem Fluchtreflex als die vier mit mir in die Trambahn stiegen und sich nur unweit auf die Plätze über den Gang verteilten. Einer zog sein Handy aus der Tasche. Es setzte ein deutlich hörbarer Beat ein, auf den ein anderer zu rappen begann. Es wurde abwechselnd vorgetragen, teils improvisiert, teils aus dem Handy abgelesen. Alle trugen übrigens sehr vorbildlich dabei ihre Masken. Ich lauschte fasziniert, denn diese Lyrik so zu improvisieren, ist hohe Kunst. Irgendwann schauten sie auf, ob sie wohl die genannte Haltestelle, die auch meine war, bereits verpasst hätten. Statt auf die Anzeige zu schauen, stellte einer im Handyfahrplan fest, dass die erwartete Ankunftszeit noch ein paar Minuten entfernt sei und alle wandten sich wieder ihrer Beschäftigung zu.

Als ich mich zum Aussteigen bereit machte, sah ich bei den Vieren kein Anzeichen von Vorbereitung. Im Gegenteil, sie waren völlig in ihre Rapperei vertieft. Da spürte ich ein bisschen Mutti in mir und rief ihnen zu: "Jungs, ihr müsst aussteigen, hier ist Lokschuppen!" Sie sprangen auf, verließen schnell hintereinander die Tram und bedankten sich draussen bei mir. Ich erklärte, ich hätte zugehört und wollte wissen, ob sie das alles improvisiert hätten. Einer bejahte meine Frage und alle bedankten sich wieder artig für mein Lob. Schließlich meinte einer, er fände es echt groß, dass ich sie auf die Haltestelle aufmerksam gemacht hätte und ein anderer sagte sowas wie "Voll die Ehrenfrau!"
Und so kam es, dass ich an einem Wochenende von vier Jugendlichen von Mutti zur Ehrenfrau erhoben und geadelt wurde.

... link (4 Kommentare)   ... comment


Montag, 21. März 2022
Freedom III
Kommen wir zum hässlichen Cliffhanger am Ende vom letzten Eintrag und zu dem, was ich in meiner blogfreien Zeit so getrieben habe. Der Grund für mein Schweigen war simpel: ich hatte weder Zeit noch Interesse am Schreiben. Denn wenn ich mich für ein Thema interessiere, lasse ich mich so sehr darauf ein, dass daneben nur noch die nötigen Pflichten stattfinden. Ist meine Neugier einmal geweckt, bestimmt dieses Thema meinen kompletten Tagesablauf sowie die Nacht. So war's beim Tauchen und auch beim Tanzen. Ich lese und träume davon, ich atme das Thema. Andere nennen es Hobby, was bei mir irres Lachen auslöst und sich eher wie Obsession gestaltet. Ich bin besessen davon, alles in möglichst kurzer Zeit über das zu wissen und zu erfahren, was mich so fasziniert. Also am eigenen Leib erfahren im Sinne von erleben. Denn, machen wir uns nichts vor, in der Theorie ist so Manches anders als in der Praxis.

Da war also diese Beziehung, die für mich einerseits völlig neue Dimensionen eröffnete und mich andererseits alles an Kraft gekostet hat, die ich brauchte, um mein Leben funktionieren zu lassen. Natürlich fiel die Begegnung auf fruchtbaren Boden, denn ich hatte mich bereits mit neuen Denkrichtungen auseinandergesetzt. Eine davon war die Beobachtung meiner Reaktionsschemata, speziell was die schnelle Bewertung von Erlebtem betrifft - sei es im Zusammenhang mit anderen Menschen oder mit Situationen, mit der Betrachtungsweise meiner Umwelt oder mir selbst. Hintergrund war mein Bestreben, mich von einem rein reagierenden Wesen in ein differenzierteres zu verwandeln. Warum mich etwas wütend macht, kann ich zwar im Nachhinein erforschen aber direkt alles klein schlagen und hinterher auch noch darüber sinnieren müssen, wie ich das wieder hinbiege, schien mir nicht sehr sinnvoll. Ich wollte zu reagieren vermeiden und ein sehr weiser und gefasster Mensch werden. Dafür schien es mir unumgänglich, den Impuls der Wertung nicht nur zu hinterfragen, sondern ihn auch bewusst zu beobachten. Unterlassen geht nicht aber zumindest erkennen, dass mein Instinkt etwas als schlecht oder bedrohlich eingeordnet hat und es möglicherweise auch anders sein könnte. Es geht also darum, für die entgegengesetzte Seite im Polaritätsspektrum offen zu sein.

Auftritt des Mannes, der erst mal offen und neugierig für jegliche neue Erfahrungen ist und nicht wertet. Zudem ist er sehr gutaussehend und durchtrainiert - eine äusserst verlockende Mischung für mich. Natürlich erliege ich der Versuchung, obwohl ich innerhalb kürzester Zeit weiß, dass da nichts zu mir passt, weder zu meinem Bedürfnis nach Zweisamkeit noch zu meiner intellektuellen Auseinandersetzung mit der Welt. Da ich auch alleine nachdenken kann, im Gegenzug Sex aber sehr schnell alleine langweilig wird, entscheide ich, mich auf den Mann einzulassen. Es beginnt sowohl ein Feuerwerk körperlicher Lust als auch seelischer Leiden, denn so hoch mich diese Verbindung in seiner Anwesenheit katapultiert, so tief falle ich in den Tagen und Wochen danach. Es beginnt ein Kreislauf, der Ähnlichkeit zur Abhängigkeit aufweist. Als ich das erkenne, beginne ich mich davon loszusagen. Doch jedes Mal nach einer gemeinsamen Nacht bin ich wieder bei null. Irgendwann so nach etwa drei bis vier Jahren ziehe ich meine Konsequenzen und einen Schlussstrich, fange aber gleichzeitig wieder zu rauchen an. In einem der vielen Tränentäler beschließe ich nur noch das zu tun, was mir gut tut. Also höre ich mit dem Rauchen auf und verabrede mich mit dem Mann auf ein Stelldichein. Wir klären die Fronten, vermeiden seelische Verletzungen - das braucht viel Ehrlichkeit mit mir selbst - wie auch Besitzansprüche und unterlassen Definitionen für unsere gelegentlichen Treffen. Das handhaben wir übrigens bis heute so.

In der Aufarbeitung wird mir klar, dass ich nicht auf das verzichten möchte, was der Mann an Begehrlichkeiten in mir geweckt hat. Nur wo finde ich einen, der sich nicht im Schema F bewegt, der sich mit mehr als der Befriedigung seiner Bedürfnisse auseinandersetzt - beispielsweise mit Orgasmuskontrolle - und auch an ungewöhnlichen Vorlieben Interesse zeigt? Die meisten spalten sich in zwei Fraktionen auf, die mich beide in ihrer Reinform eher abstoßen. Eine Fraktion sind die Tantriker, die ohne das korrekte ätherische Öl und das richtige Räucherstäbchen nicht kommen können. Die andere sind die Typen aus der BDSM Szene. Auch da finde ich mich zunächst nicht wieder, denn schließlich will ich mich nicht auspeitschen lassen, sondern nur bestimmen wo's lang geht.

Bei meiner Internetrecherche stoße ich auf einen Swingerclub - eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Die Schilderung der Autorin ihres ersten Besuches dort macht mich aber neugierig. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf (tbc)

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 19. März 2022
Freedom II
Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, die Monogamie und ihre Ausläufer. Ich sag's mal so: Monogamie ist ein faszinierendes Gedankenkonstrukt, das zumeist an menschlicher Imperfektion scheitert. Die Imperfektion heißt Langeweile. Wer etwas lange hat, will was anderes. Das trifft sowohl auf Besitztümer und Situationen als auch auf abstrakte Zustände wie beispielsweise Glück oder Frieden oder gar Menschen zu. Man glaubt, etwas oder jemanden zu seiner Zufriedenheit zu brauchen. Wir ahnen, dass Glück mit äusseren Gegebenheiten nur korreliert. Kausal hingegen ist die eigene Einstellung zum Glück. Ich für meinen Teil finde Alleinesein schön, nur halt nicht immer. Beispielsweise gab es in den vergangenen zwei Pandemiejahren etliche Gelegenheiten, in denen ich einsame Panik verspürte. Logischerweise suche ich in solchen Momenten die Nähe zu anderen sozialen Wesen. Auch im Normalfall suche ich mir die Menschen aus, die sich am besten für bestimmte gemeinsame Aktivitäten eignen. Mag ja nicht jeder in die Oper oder findet Tanzen toll. Womit wir wieder bei der Monogamie wären, die gerne mit romantischer Liebe verwechselt wird. Eine Person für alles.

Ich möchte es mit einer Frau vergleichen, die einen handwerklich begabten Mann geheiratet hat. Ein paar Jahre später entwickelt sie Interesse an kulturellen Ereignissen. Jetzt muss der Mann mit in die Oper, obwohl der lieber im Keller schrauben würde. Eine andere Option gibt es nicht, denn wofür hätte man sonst geheiratet, um dann seine Zeit mit anderen zu verbringen. Und wieso ist es verwerflich, Sex mit einem Opernbesuch gleichzustellen? Konkret ist das die Frau, die die Qualitäten ihres Partners immer noch schätzt und deshalb auch keinen Ersatz, sondern für weitere Gelegenheiten Ergänzungen sucht. Wer das nicht verwerflich findet, ahnt zumindest das Konfliktpotential in der Sache. Nein, es ist nicht einfach. Es erfordert viel ehrliche Kommunikation und Selbstreflektion - eine Investition in persönlicher Entwicklung, die sich besser auszahlt als jeder Überlebenskurs im Teutoburger Wald.

So eine Form habe ich lange gesucht und bin dabei auf die unterschiedlichsten Menschen gestoßen. Die einen in ihrem Bestreben wahrhaftig, die anderen unglaubwürdig, weil es sich im Nachhinein doch nur als die Überganghgsphase weg von Frau/Mann plus Kind(er) hin zum neuen Subjekt der Begierde entpuppte. Auf dem Weg waren weder bisherige noch neue Partner für die nie gleichwertig, die Polyamorie mit Promiskuität verwechseln. Andere wiederum legen sich generell nicht gerne fest und reagieren unverbindlich zweideutig auf alles, was Verbindlichkeit sucht. Und da wären wir wieder beim romantischen Konstrukt der Verbindlichkeit, der Schwüre ewiger Liebe, the one and only. Nein, Verbindlichkeit hat nichts damit zu tun, dass es nur eine Person in meinem Leben gibt. Verbindlichkeit ist die Art, wie ich was sage und in Folge mache. Verbindlichkeit ist, ein Treffen auszumachen und das Zustandekommen nicht kurz vorher nochmal telefonisch bestätigen zu müssen. Ich kann eine Dienstleistung unverbindlich in Anspruch nehmen - schließlich bin ich zu nichts verpflichtet - oder mich verbindlich dem jeweiligen Fachpersonal anvertrauen.

Verbindlich bezieht sich auf die Sprache, die ich spreche. Es ist die Klarheit, in der ich kommuniziere und Missverständnisse möglichst minimiere (ja komplizierte Sachverhalte sind manchmal schwierig klar zu formulieren). Unverbindliche meinen es meist nicht so, wie es verstanden wurde, wenn sich daraus ein persönlicher Nachteil oder eine Unannehmlichkeit ergeben könnte. Will ich mich auf mehrere Personen verbindlich einlassen, bedarf das eines gewissen Aufwands, da sich keiner der Beteiligten zurückgesetzt fühlen sollte. Das wäre nicht nur unverbindlich, sondern vor allem ungerecht und das Konstrukt des Vielliebens damit obsolet. Wahrscheinlich ist es so, dass mit einem Partner im direkten Vergleich mehr Zeit verbracht wird. Der Unterschied liegt in der Qualität der Begegnung, nicht der Quantität. Gleichwertigkeit meint die von mir erbrachte Intensität. Es bedeutet, dass ich eine Person nicht für das liebe, was sie mir entgegenbringt, sondern für das, was sie ist. Das lasse ich jetzt mal so stehen. An dieser Stelle folgt meistens die Frage: ja geht denn sowas überhaupt in der Praxis? Ich denke ja, weil ich es bereits bei anderen beobachtet habe. Möglicherweise kann ich bald aus eigener Erfahrung berichten. Bis es soweit ist, erzähle ich nächstes Mal noch ein bisschen über weitere Neigungen, die mir auf meiner Suche so begegnet sind.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 24. Februar 2022
Freedom

Living alone as a woman is not just a luxury but a refusal to bend into the shape of patriarchal assumption and expectation.


Helena Fitzgerald schreibt im verlinkten Artikel über's Alleinsein. Fast mein ganzes Leben lang fühlte ich mich seltsam unvollständig. Nicht nur weil ich allein lebte, sondern vor allem, weil ich es als Frau tat. Da war die Großtante, die sich nach Verwitwung und gescheiterter, kinderloser Ehe ein schönes Leben machte. Hat sich die Gebärmutter entfernen lassen, damit sie ihren Spaß haben kann, so die Meinung in der Familie. Die mitschwingende Verachtung habe selbst ich als Kind begriffen. Da war die geliebte Oma, die nach dem Krieg den gefallenen Mann betrauerte und offiziell nie wieder liiert war. Die Bilder in der alten Kiste und die Trauer um die durch die Krebsoperation verlorene Brust sprachen für sich. Kurzum ich lernte als Kind, dass man als Frau allein entweder bedauernswert oder aber verrucht wäre. Inzwischen habe ich mich damit versöhnt, dass meine Lebensweise für die Gesellschaft - immer noch - suspekt zu sein scheint.

"Women who live alone are objects of fear or pity, witches in the forest or Cathy comics. Even the current cultural popularity of female friendship still speaks to how unwilling we all are to accept women without a social framework; a woman who's "alone" is a woman who's having brunch with a bunch of other women. When a woman is truly alone, it is the result of a crisis - she is grieving, has lost something, is a problem to be fixed."

Was sich die Leute eben so unter einer alleinlebenden Frau vorstellen. Ich gebe zu, meine Dreissiger verbrachte ich mit der Vorstellung, wieviel besser es die hätten, die in einer Gemeinschaft oder Beziehung wohnten. Die Sache mit dem grüneren Gras verstand ich nicht, weil ich von klein auf ungewollt und ungewöhnlich viel Zeit alleine verbrachte. Als ich meiner besten Freundin erklärte, wie sehr ich sie um Beziehung und Familie beneidete und wie wenig Grund sie deshalb für ihre depressive Verstimmtheit hätte, war die Freundschaft endgültig am Limit. Ihre Perspektive war mir so fremd wie die eines Marsianers. Nichts hätte ich damals lieber gehabt als eine Beziehung, womit gleichzeitig all meine Probleme gelöst gewesen wären, so zumindest meine Vorstellung.

"The idea that we progress in a clear trajectory from single unit to couple form, and achieve a sort of emotional success by doing so, seems wrong to me. Love is about what we give up when choosing to knit our life against someone else's - to make a home in the shared bed, and enjoy the small talk between bodies within the inhabited space. A paired life is not an aspirational state, but a compromised one. Loneliness is not the terror we escape; it is instead the reward we give up when we believe something else to be worth the sacrifice."

Vor einigen Jahren dämmerte in mir nicht nur die Erkenntnis, dass eine Beziehung für mich inzwischen weniger erstrebenswert wäre als allein zu leben, sondern vor allem jene vom eigentlichen Zweck der Vermehrung und Aufzucht der Brut konträren Formen von Zusammensein. Plötzlich schienen mir sehr viel mehr Formen von Beziehung als die gesellschaftlich anerkannte möglich. Ob mono- oder polygam, ob reine Freundschaften oder Zweckverbindungen, wer ausser mir selbst kann bestimmen, wie ich leben will? So lange weder Involvierte noch ich selbst dabei zu Schaden kommen, darf alles sein. Dass es nicht einfach sein würde, war mir schnell klar.

"Loving someone else, and joining our life with theirs, asks us to sit down with the brutal facts of ourselves, to sift finely between what is true and what we wish were true, in order to understand what we need and what we can offer."

Loslassen wollte ich lernen, weil ich mein Glück nicht mehr von einer Person abhängig machen wollte. Weil ich nicht mehr an die Monogamie glaubte aber für Polygamie zu unsicher war. Da kam einer, mit dem ich sehr viel tollen Sex hatte, der sich auch für meine Person interessierte, sich aber nicht verbinden ließ. Unverbindlichkeit, so verpönt in der Gesellschaft. Ja, ja, diese Männer, die sich nur die Rosinen rauspicken und beim kleinsten Problem verduften. Solche Sprüche hörte ich meist von weiblicher Seite. Zwischen den Zeilen schwingt Bitterkeit mit, wenn sie sich der Verpflichtungen von Kind und Haushalt alleine ausgesetzt sehen, während die Erzeuger an ihren Karrieren basteln und die Wochenenden lieber mit anderen 'Jungs' verbringen. Zwingt die Biologie Frauen etwa dazu, verbindlich zu sein?

Er hat übrigens jedes meiner Probleme mit mir besprochen, nur nicht immer zu meinem gewählten Zeitpunkt. Und mir stellte sich die Frage, ob ich lieber einen Hund hätte, der jederzeit auf Zuruf reagiert, als einen anderen Menschen mit eigenem Willen. Ich kann mir auch die Rosinen rauspicken, denn obwohl ich inzwischen in einem Alter bin, in dem der körperliche Abbau mit natürlichen Mitteln nicht mehr zu vertuschen ist, scheint innere Unabhängigkeit einen unwiderstehlichen Reiz auf andere auszuüben. Bevor ich aber bald noch mehr über meine persönlichen Befreiungsschläge verrate, lasse ich die Dame in meinem Namen das Schlusswort sprechen:


Ain't nothing more dangerous than a woman that is okay being alone (Ton an!)

... link (7 Kommentare)   ... comment


Freitag, 3. Dezember 2021
Directions
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzähen, behauptet Matthias Claudius. Im 18.Jh kann ich mir das gut vorstellen. Aber der Satz gilt bis heute. Vor nicht allzu langer Zeit war ich mit Frau Herzbruch in Italien. Vorwegschicken möchte ich, dass keine von uns der Landessprache mächtig ist. Während ich über einen guten bis sehr guten Orientierungssinn verfüge, kann Frau Herzbruch sehr gut mit elektronischen Orientierungshilfen umgehen.

Am Ende eines gemütlichen Bootsausfluges befinden wir uns in La Spezia. Einen Rückfahrschein mit der Bahn haben wir in der Tasche. Einziges Manko ist, dass sich der Bahnhof offensichtlich nicht in der Nähe des Hafens befindet. Daran hat im Vorfeld keine von uns gedacht. Folglich besitzen wir auch keine Orientierungshilfen. Wir beschließen, ein Stück Richtung Innenstadt zu gehen und sehen uns an einer größeren Straße die Busverbindungen an, in der Hoffnung, dass uns einer davon zum Bahnhof fährt. Gelaufen bin zumindest ich an diesem Tag reichlich. Jetzt muss man bei Buslinien aber vor allem wissen, wie die Endstationen heißen. Mit dem mickrigen Aushang an einer Haltestelle stoßen wir schnell an die Grenzen. Also gehe ich fünf vor Ladenschluss in einen benachbarten Schuhladen. Die Verkäuferin ist sehr nett und hilfsbereit, weiß aber auch nicht, welchen Bus wir nehmen müssen. Der Ladeninhaber schließt darauf kurzerhand sein Geschäft und folgt der Verkäuferin zur Haltestelle, um den Aushang zu studieren. Beide beraten sich auf italienisch, was viel Gestik impliziert. Sie deuten in diverse Richtungen, schließlich sagt die Verkäuferin, wir sollen eine bestimmte Linie fahren, dann irgendwo umsteigen und dann nochmal zwei Stationen oder so. Ich hoffe insgeheim, dass Frau Herzbruch im Gegensatz zu mir alles aufgenommen und memoriert hat. Nach weiterer Beratung stellt sich heraus, dass wir den Bahnhof viel schneller und unkomplizierter zu Fuß erreichen können. Wir machen uns also auf den Weg. Tatsächlich ist unser Ziel ganz einfach zu finden. Was bleibt, ist Dankbarkeit und Staunen über die unglaubliche Hilfsbereitschaft der Einheimischen.

Vom Dienst kommend, trage ich Uniform, weshalb ich oft angesprochen werde. Deshalb fahre ich in öffentlichen Verkehrsmitteln ausschließlich mit Kopfhörern, um dem vorwegzugreifen. In letzter Zeit häufen sich jedoch die Ausfälle oder Ausnahmesituationen bei meinen Fahrten. So auch vor zwei Tagen. Stellwerksstörung, weshalb die S-Bahn nicht zum Hauptbahnhof, sondern nur die U-Bahn usw. Mir ist's bis auf das erhöhte Fahrgastaufkommen egal, weil ich sowieso umsteigen muss. Am U-Bahngleis fällt mir eine junge Frau auf, die die Anzeige mit einem Zettel in ihrer Hand abgleicht. Ich trete an die Türe und rufe laut: "Zum Hauptbahnhof?" Sie kommt näher, zeigt auf die Schrift auf ihrem Zettel. Da steht HBF, und ich erkläre, dass das eine Abkürzung für Central Station sei und wir direkt dorthin fahren. Sie bedankt sich, setzt sich mit ihrem Koffer in einen anderen Vierersitz und beginnt ein Telefonat auf italienisch. Da muss ich schmunzeln, weil mich die Situation an unsere Suche in La Spezia erinnert. An meiner Haltestelle deute ich ihr mit den Fingern die Anzahl der verbleibenden Stationen bis zum Hauptbahnhof, sie bedankt sich wieder und ich steige aus. Zack Karmakonto ausgeglichen und für die positive Wahrnehmung der Deutschen im Ausland gesorgt. Danach bin ich erschöpft und muss sofort schlafen. Fast wie damals in La Spezia.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 30. November 2021
No Matter if You're Black or White
Am Wochenende habe ich mal wieder was erlebt. Fast wie so eine typische Arbeitnehmerin. Ich bin nämlich spät abends mit den öffentlichen Verkehrsmitteln heimgefahren. Das allein ist derzeit schon ein Abenteuer, soll aber hier nicht zentrales Thema des Eintrages werden.

Ich stehe also am Hauptbahnhof auf meine U-Bahn wartend. Vor mir eine Dreiergruppe asiatisch aussehende Männer mit großen Koffern. Kommt ein Mann mittleren Alters, Typ unter Drogeneinfluss leicht enthemmt, kleidungsmäßig eher sportlich jedoch keiner bestimmten Gesinnung zuzuordnen, und spricht die Gruppe an. Ich höre ihn Sachen sagen wie "hey Sushi" und "where you come from Schlitzauge". Die Gruppe reagiert nicht und wendet sich sichtlich verunsichert ab. Der Typ lässt nicht locker, beginnt einen ein wenig mit den Worten "Why you not react?" auf den Arm zu boxen. Da stelle ich mich vor den Provozierenden und die Gruppe, um zu deeskalieren und sage ganz ruhig wiederholend "just go away". Das wiederhole ich mehrmals. Der Typ entfernt sich ein wenig, kommt dann aber wieder zurück. Inzwischen hoffe ich, dass die U-Bahn bald eintrifft, denn so ganz sicher fühle ich mich auch nicht mehr in meiner Haut. Das überspiele ich mit einer Handbewegung und den Worten "just go over there or there". Einer der Männer aus der Gruppe bedankt sich leise und ich erwiedere: "I'm sorry for this". Schließlich trifft die U-Bahn ein, der Typ entfernt sich und einer aus der Gruppe erklärt in bestem Deutsch: "Das passiert überall, nicht nur hier in Deutschland." Und ich bin ein bisschen peinlich berührt, weil ich die ganze Zeit wie selbstverständlich auf englisch reagierte.

Würde die Geschichte hier enden, wäre sie nur ein kleiner Lobgesang auf mein scheinbar mutiges Intervenieren. Solche Handlungen geschehen bei mir ja sehr spontan und vor allem unüberlegt. Als ich an meiner Haltestelle aussteige, bemerke ich, dass der Typ nach mir Ausschau hält und die Bahn ebenfalls verlässt. Offenbar folgt er mir. Zum Glück ist mein Heimweg nicht weit, gut beleuchtet und ich, dunkel gekleidet, plötzlich sehr schnell. Noch nie habe ich die Haustüre schneller hinter mir zugezogen, um danach erst einmal durchzuatmen. An dieser Stelle wird mir nicht nur die Konsequenz meines Handelns bewusst, sondern auch die Macht, die ein Mensch durch scheinbar harmlose Handlungen auf andere ausüben kann. Wenn Sie mich fragen, würde ich allerdings genau so wieder handeln.

... link (9 Kommentare)   ... comment