Donnerstag, 22. September 2022
Don't it always seem to go...
... that you don't know what you've got till it's gone.

Nicht nur Joni und Janet besangen es, auch ich weiß, dass sich Vieles über die Jahre ändert. Manches lautlos und unbemerkt, manches mit einem Kanonenschlag und zwar dort, wo wir's am wenigsten erwarten, wo es aber ganz individuell weh tut. So geschehen mit dem Ausbruch der Pandemie, dem Ukrainekrieg und vielen anderen Ereignissen in der Vergangenheit. Das ganze Ausmaß spüren wir erst so richtig, wenn es mit persönlichen Einschlägen einhergeht. Ansonsten kommen wir mit einem Streifschuss gesellschaftlicher Unbequemlichkeiten davon, den wir nach Abheilen bald vergessen. Wenn es nur irgendwie weitergeht, balancieren wir äusserliches Ungleichgewicht mit eigener Annehmlichkeit. Je schneller wir adaptieren umso schneller ist die Erschütterung vergessen.

Schnelle Autos, höhere Gehälter und die warme Wohnung fallen für die unter die Kategorie Spielsachen, deren Grundbedürfnisse gesichert sind. Sowas geben wir nur unter lautem Protest her. Hier ist die Stelle, an der mein Text die Kurve nicht mehr kriegt, denn was ist ein Blog schon mehr als eine kleine Spielerei, die jetzt auf der Kippe steht, da Dirk Olbertz - der Betreiber von blogger.de - aufhören wird. Als Twitter aufgekauft werden sollte, fanden wir das ein wenig skandalös, im Grunde war die Aufregung aber nur Ausdruck einer Internetsüchtelei. Der Raum hier ist mein über die Jahre gewachsenes Stück Heimat. Zwischen langen Ruhephasen kam ich immer wieder hierher zurück. Manchmal las ich nur alte Beiträge, freute mich über längst Vergessenes oder wunderte mich über meine einstigen Sichtweisen. Ein andermal war mir danach, das Eingabefenster mit Buchstaben zu füllen und etwas in die Welt hinauszuschicken und meine Gedanken für andere nachvollziehbar zu sortieren. Über die ungewisse Zukunft dieser Plattform bin ich traurig, denn ich ahne, dass ich kaum eine private URL mein Eigen werde nennen können, die so gut zu mir passt wie diese hier.

Im globalen Vergleich ein Fliegenschiss, werden Sie jetzt denken. In einigen Monaten werde ich bestimmt ein neues Spielzeug gefunden oder viel schlimmere Sorgen haben. Heute Abend ist es mir jedoch das Wichtigste. Und das soll hier festgehalten werden. Mach' es gut, kleine Internetecke. Du warst sehr kuschelig. Ich werde Dich vermissen.


Das einzige Katzenfoto auf meinem Blog

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Freitag, 9. September 2022
Keep calm and carry on

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Montag, 24. August 2020
Cry Me a River
Vor einigen Tagen stieß ich auf diesen Artikel, der mich aus mehreren Gründen ansprach. Es geht darin um Musikstudierende, die wegen der allgemeinen Situation vermehrt im Unterricht weinen:
"Für die Musikstudenten ist der Zustand der Isolation mehr als nur unangenehm: Sie brauchen den sozialen Kontakt, um gemeinsam musizieren zu können. Und sie brauchen ein Publikum, das ihnen zuhört."

Zunächst erinnerte mich diese Zeilen an mein eigenes Studium. Die Arbeit, das Erlernen der Technik, geschieht natürlich alleine - das Studium besteht hauptsächlich daraus. Doch worunter ich am meisten gelitten habe, waren schon damals die vielen einsamen Stunden ohne Austausch, die Harmonien im Kopf zur Melodie ergänzend. Die wenigen Proben im Zusammenspiel halfen da nicht drüber weg, obwohl sie natürlich einen Höhepunkt und beliebte Abwechslung zum tristen Üben darstellten. Wenn Liebhaber von der Schönheit des Musikmachens schwärmen, ist die Vorstellung immer auf Zusammenspiel bezogen. Dass Profis die Proben so effizient und kurz wie möglich halten, ist ausserhalb ihres Verständnisses. Denn während für einen Profi die Probe nur zur Feinabstimmung im Hinblick auf die Aufführung dient, möchte der Laie so lange wie möglich mit anderen zusammen spielen. Meist steht dahinter auch kein Aufführungsdatum als Ziel, sondern das Zusammentreffen selbst.

Der zweite Aspekt des Artikels bewegt mich noch mehr, denn obig zitierter Satz betrifft nicht nur Musikschaffende, sondern eigentlich alle. Ersetzt man Musikstudenten durch Menschen und musizieren mit existieren, ist es die Zusammenfassung dessen, was ich derzeit erlebe. Mein ganzes Leben war bisher um Kommunikation und Verbindung zu anderen angesiedelt. Nun ist meine Arbeit weggebrochen, meine Freizeittätigkeiten liegen brach und der tägliche Austausch reduziert sich auf die wenigen Worte, die ich mit der Kassiererin im Supermarkt wechsle. Ich sitze wochenlang alleine in meiner Wohnung und weiß nicht, wie ich daran etwas ändern könnte. Telefonate können das nicht auffangen. Der einzige Unterschied zur Artikelüberschrift ist, dass ich nicht weine. Innerlich fühle ich mich aber sehr schwach, wenn nicht gar weinerlich. Das ist mir einerseits peinlich, denn Jammern war nie meine Absicht, und andererseits halte ich mit der wenigen Restenergie meine Fahnen hoch, versuche mich abzulenken oder mir Tätigkeiten auszudenken und bewahre Haltung. Das hat mich die Gesellschaft gelehrt, denn nur der Produktive bekommt Anerkennung.

Ich denke viel darüber nach, was in meinem Leben falsch gelaufen ist, über die Abzweigungen und meine generelle Einstellung, über das Älterwerden und mein Ringen mit dessen Auswirkungen. Mein Erleben beziehe ich rein auf meine Person, wohl weil ich nur wenig von anderen mitbekomme, wie sie all die Einschränkungen empfinden - der Austausch fehlt. Mich wundert, nicht mehr offene Zustandsbeschreibungen in Blogs zu finden. Aber auch hier ist man entweder zu beschäftigt oder zu bedeckt, um sich damit auseinanderzusetzen. Dabei würde genau das helfen. Die Erkenntnis, dass es anderen ähnlich geht, gäbe ein Gefühl von Gemeinschaft. Stattdessen sehe ich im Vergleich nur, was andere scheinbar haben das mir fehlt. Ich wünschte, die Pandemie brächte eine Veränderung in der inneren Auseinandersetzung mit sich und anderen. Von Gemeinsamkeit und Miteinander wird geredet, wenn es um deren Bekämpfung geht. Der Feind sitzt scheinbar draussen, doch was eigentlich fehlt, ist die Ehrlichkeit, Verletzbarkeit und Menschlichkeit, die das Miteinander erst wirklich werden lässt. Wir funktionieren nämlich als soziale Wesen nur in Beziehung mit anderen.

Lösungsvorschläge habe ich keine, nicht mal eine Pointe ausser der, dass ich nicht weine. Dabei würde ich es gerne mit jemandem, der nicht urteilt, sondern mitfühlt. Miteinander weinen - wörtlich oder metaphorisch - ist nämlich die höchste Form von Miteinander.

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Sonntag, 14. Juni 2020
It is Familiar to Me
Als nichts mehr ging, als ich tagelang nur noch mit letzter Kraft zwischen Bett und Toilette hin und her schlich, nahm ich all meinen Mut zusammen, buchte eine Bahnfahrkarte, packte einige Kleidungsstücke zusammen und fuhr zu meiner Mutter. Ich weiß nicht, woher ich die Energie nahm, denn das ist kein kleiner Schritt. Das ist ein erheblicher Kraftaufwand, physisch wie psychisch. Ich ahnte, dass es nicht leicht sein würde, denn das Verhältnis zu meiner Mutter ist alles andere als unbelastet. Ich wusste, ich müsste im richtigen Moment schweigen können und aussitzen, mich innerlich an einen unbehelligten Ort zurücklehnen. Und dennoch hatte ich das Bedürfnis, dieses Risiko einzugehen.



Nach der Narkose im Dezember, da war ich froh, dass sie an meinem Bett saß. Ich wachte auf, sprach ein paar Worte und nickte dann wieder ein. Sie wollte gehen, doch ich wünschte mir, dass sie meine Hand hält und bleibt, dass sie einfach nur da ist, während ich zwischen Traum und Wirklichkeit wechselte. Ich wollte etwas, das mir in meinem schutzlosen Zustand vertraut war und das mir die Illusion von Geborgenheit gäbe. Ich wollte meine Mutter. Kinder sehnen sich unbegreiflicherweise immer wieder nach den Eltern, die sie in manchen Fällen schlecht behandelten. Es ist ihre Normalität, die durch Kontinuität Überleben sichert. Dass es auch anders hätte sein können, begreifen sie erst viel später. Die Sehnsucht und eine diffuse Hoffnung auf Geborgenheit bleibt ein Leben lang. Das Unterbewusstsein ist wie ein Gänsekind, das sich kurz nach dem Schlüpfen auf gelbe Gummistiefel eingeschossen hat.

Meine Mutter wird älter. Langsam verliert sie ihre Spontaneität. Alles muss geplant werden, die Ankunft, die Abholung, die Mahlzeiten, die Abfahrt. Sie kommt nur schwer damit klar, dass ich kein Fleisch mehr esse. Eine altersgemäße Gelassenheit kann ich bei ihr nicht beobachten. Im Gegenteil, sie wirkt nervös und gehetzt. Alles muss perfekt sein, sie muss perfekt sein. Das ist anstrengend. Am Telefon fragte ich: "Gehst Du mit mir spazieren?" Sie sagte ja. Mehr konnte ich nicht erwarten. Ich durfte nicht mehr erwarten, denn Erwartungen erzeugen Enttäuschung, von der ich in letzter Zeit zu viel hatte. Ich wollte keinen Ratschlag und keine Erfahrungsberichte über ihre eigene Enttäuschung hören. Also sprach ich nicht über mich, sondern ertrug jeden Tag reaktionslos ihre Ausführungen über die Fehlbarkeit anderer und ihrer eigenen. Ich ließ mich bekochen, saß gemeinsam mit ihr im Garten und folgte den Gummistiefeln.

Es fing schon vor ein paar Wochen an. Plätzlich war da dieser Sumpf aus Angst und Traurigkeit. Angst vor Veränderung und Traurigkeit über Vergangenes. Früher konnte ich es kaum erwarten, dass sich etwas änderte, denn Veränderung ging immer mit der Hoffnung auf Besserung einher. Heute betrachte ich jede Änderung mit Argwohn. Kleinigkeiten ließen in mir gewaltige Wut aufsteigen. Die Nachbarin, die ihre Türe zu laut schließt, die Rücksichtslosigkeit Fremder. Ich reagierte empfindlich auf jegliche Einflüsse von aussen. Gleichzeitig suchte ich im Aussen Ablenkung von der Traurigkeit. Die Angst vor Veränderung entpuppte sich schließlich als Angst vor Vergänglichkeit, die sich mit der Traurigkeit zu einem großen Klumpen verband.

Ich hatte eine Flasche Wodka im Kühlschrank. Die trank ich über die vergangenen Tage. Eine Flasche mag objektiv betrachtet im Hinblick auf Suchtverhalten nichts bedeuten - für mich, die fast keinen Alkohol mehr trinkt, ist es viel. Ich neige zur Sucht. Alkohol, Zigaretten, Essen, Serien, alle Arten von Ablenkung, meine innere Türe steht dafür weit offen. Ich bin nicht gut im Aushalten. Als ich ihn fragte, ob sein Zustand jetzt ohne Drogen besser sei, sagte der Freund, es sei schlimmer, denn das Gedankenkarussell drehe sich zwar gleich schnell aber ohne Alkohol oder andere Ablenkung nehme er es intensiver wahr. Er sagte auch, dass es halt keinen Weg dran vorbei gäbe. Die Gedanken drehten sich schneller und schneller, man glaube, es würde einem schlecht aber aussteigen könne man eben auch nicht und wenn man glaube, es sei nicht mehr auszuhalten und man würde zerreissen, stoppe die Maschinerie und es breite sich große Ruhe aus. Das alles sagte der Freund, der seit einem heftigen Zusammenbruch keinen Tropfen Alkohol und keine Zigarette mehr anrührt. Manchmal liegt er aber tagelang auf der Couch und schaut Dokus.

Das immer schneller drehende Gedankenkarussell und auch die Ruhe von der er sprach, kenne kannte ich. Lange Zeit war ich gut darin, meine Gedanken und Gefühle nicht so wichtig zu nehmen, weil ich wusste, dass das nur die Oberfläche ist. Darunter ist es still. Was ich nicht wusste, war die Tatsache, dass sich diese Fähigkeit verliert, wie sich Muskeln zurückbilden, wenn sie nicht trainiert werden. Statt der Stille spürte ich plötzlich eine unerträgliche Einsamkeit, die auszuhalten noch schlimmer war als zu trinken oder zu schlafen. Obwohl ich Menschen hätte kontaktieren können, wäre es nicht leichter geworden. Es hätte sich falsch angefühlt, mich stellvertretend mit gutmeinenden Bekannten zu treffen. Diese spezielle Leere kann nur mit Vertrautheit befüllt werden und mit einer tiefen, ehrlichen Verbindung von Mensch zu Mensch. Ich brauchte das gewisse Etwas, das nur durch die gelben Gummistiefel gemildert wird.



Jetzt sitze ich ratlos hier und weiß nicht so recht, wo es hingehen soll. Man muss doch irgendwann lernen können, die Gummistiefel in sich selbst zu finden. Das habe ich zumindest mal wo gelesen. Meine eigenen gelben Gummistiefel sein, denen ich folgen kann und die nie fortgehen. Ich glaube, das ist so ein Lebensziel. Alles Erlebte läuft darauf hinaus. Ich glaube auch, dass ich immer woanders Ausschau halten werde, solange ich sie nicht selber trage. Draussen regnet es aber ich gehe erst wieder raus, wenn ich meine eigenen gelben Gummistiefel gefunden habe. Ich fürchte, dafür muss ich erst mal im Keller suchen gehen.

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Samstag, 30. Mai 2020
Tageblog 29.5.20 - Die dunkleren Tage


Hübsche U-Bahnstationen haben wir hier. Das fiel mir gestern in der U3 auf dem Weg nach Moosach auf. Die vom Olympia-einkaufszentrum und vom Moosacher St. Martinsplatz sind auch sehr apart. An der Endstation holte ich ein paar Schüsseln bei einer Freundin ab, die letzte Woche mit Salat gefüllt dort geblieben sind. Wir haben nicht im Garten gegrillt und ich aß auch nichts vom Salat aus der Schüssel aber das ist eine längere Geschichte, die nur ein bisschen mit Nahrung als Platzhalter für Fürsorge zu tun hat.

Durch seine Auszeit bedingt vermisse ich Christian. Ich glaube, er ist derzeit in seinem Umfeld gut aufgehoben, im Gegensatz zu anderen Beispielen aus der Vergangenheit (*). So habe ich ein wenig darüber nachgedacht, wie das ist, wenn man plötzlich auf die dunkle Seite kippt, in der es keine erkennbaren Lichtstrahlen mehr gibt. Das muss nicht zwingend im Suizid enden, tut es aber leider doch in manchen Fällen. Für einen schwer zu revidierenden Energieverlust reicht schon, für längere Zeit dort zu verweilen. Was ich bei mir selbst sehr deutlich beobachtete, ist ein point of no return. Ist der überschritten, kann ich kaum noch initial um Hilfe bitten, geschweige denn Hilfe annehmen. Weil mich kenne, sende ich vorher Signale, die so unspezifisch klingen wie beispielsweise: "Ja, es geht mir nicht gut und ich würde gerne kommunizieren aber macht Euch bitte keine Sorgen, weil SO schlecht geht's mir auch wieder nicht und falls Ihr keine Zeit habt, ist das Ü-BER-HAUPT kein Problem, weil ich ja drüber steh' und das im Griff habe aber falls Ihr doch Zeit hättet, so zwischen Eurem gut organisierten Alltag und vorbildhaften Leben, dann wär's echt toll, Ihr würdet Euch mal bei mir melden, wobei ich vielleicht eher nicht reden möchte." Mal ehrlich, die Message versteht doch keiner. Leider geht das manchmal aber nicht deutlicher, denn ich will mir das so schlecht geht's mir nicht ja auch glauben und vor allem, dass ich den Rückweg ganz alleine schaffen kann. Der Weg selbst ist unvermeidbar, macht aber ganz schön Angst, weil man sich so verloren fühlt.

Es soll hier nicht um Ursachen gehen, sondern um die Angst vor der Isolation im Verhältnis zu den Reaktionen von Beobachtenden. Mit ungebetenen Ratschlägen ihre eigene Angst maskierend, sprechen sie mir nicht nur meine ureigene Selbstwirksamkeit, sondern auch das Anrecht auf den Zustand per se ab. Die Hoffnungslosigkeit vermeiden, wegreden oder auflösen hat noch nie funktioniert, sehr wohl aber zuhören, da sein und zeigen, dass was sich wie ein von der Welt fallengelassen anfühlt, nicht zutrifft. Ein paar Zeilen, eine Nachfrage, ein kleines Zeichen, all das bleibt in tiefer Nacht meist unbeantwortet, jedoch nicht ohne Wirkung. Womit wir beim Knackpunkt wären. Es geht halt nicht um Rationales, sondern um Emotionen.

Leider gibt es nicht viele Menschen, die unangenehme Gefühle auszuhalten in der Lage sind. Meistens sind es die, die selbst durch ein paar Täler gehen mussten und wissen, dass es keine Abkürzungen gibt und keine Erklärungen, man aber sehr wohl dahinter wieder Horizont sieht. Die Phase selbst ist es nicht alleine, die das Sein so schwer macht, sondern vor allem der innere Widerstand gegen die Sinnlosigkeit. Gleichzeitig sehnt sich die Seele am Abgrund nach Ruhe, nach Verbindung und Halt. Ich habe ein bisschen gebraucht, um das zu verstehen. Wenn sich ein Freund von mir dort befindet, gehe ich zu ihm und wir sitzen. Er erzählt, wenn er will und wenn nicht, dann schweigen wir eben. Man kann übrigens auch am Telefon schweigen. Rückmeldung gibt es fast nie, ich weiß also nicht, ob ich was richtig mache. Das ist auch erst mal zweitrangig, weil es nicht um mich geht. Er tut übrigens, falls nötig, das Gleiche für mich. Weil er von sich weiß, dass es funktioniert, weshalb ich es auf diese Weise auch weiß.

Wochenenden und Feiertage fallen mir übrigens gerade besonders schwer. Ich ziehe also die Decke über den Kopf und lasse das Telefon zur Sicherheit mal in der Nähe. Wenn sich der Himmel zuzieht, ist die Unendlichkeit in einem selbst. Manchmal wird ein Sturmtief auch weniger schlimm als angekündigt. Zur Not fahre ich zum Freund gemeinsam im Garten sitzen. Wir grillen aber nicht und essen auch keinen Salat. Nur die Schüsseln, die sollte ich langsam wieder abholen.





(*) das Ereignis, das Viele aus meiner Blogwelt - auch mich - erschütterte und das sich jährt.

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Mittwoch, 20. November 2019
Love's Too Familiar a Word


Seit einiger Zeit denke ich über das Älterwerden, insbesondere das meiner Mutter nach. Nicht den körperlichen Gebrechen gelten meine größte Sorge, sondern - ganz egoistisch - dem hoffentlich in sehr ferner Zukunft liegenden Tod. Wir hatten nie eine enge Mutter-Tochter Beziehung, zeitweise überhaupt keine, und als die Großmutter starb, bei der ich aufgewachsen bin, wurde meine Kinderseele vom Gefühl erdrückt, ganz alleine auf der Welt zu sein. Trotz allem ist meine Mutter die Frau, die ich als Familie bezeichne, die mich nach besten Kräften unterstützt hat und auf ihre Weise auch geliebt, die mich manchmal auf die Palme bringt und der ich jetzt alles an Liebe zukommen lasse, was ich mir damals von ihr gewünscht hätte. Sie ist meine Mutter. Wenn sie stirbt, wird mit ihr auch ein Teil von mir sterben.

Freunde erzählen mir vom Tod der Eltern. Dass sie sich jetzt ganz alleine fühlen, denn obwohl da Partner und eigene Kinder sind, hätten diese eine davon verschiedenartige emotionale Konnotation. Die Eltern kennen einen am längsten, in vielen Fällen auch am besten. Wir sind unumgänglich mit ihnen verbunden, ihnen als Kind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und wo wir die Verbindung bewusst trennen, weil das Zerwürfnis unüberbrückbar ist, spuken sie in Abwesenheit durch Unterbewusstsein und Konditionierung. Mit dem Vater und der Mutter wird die eigene Kindheit als Symbolbild für immerwährende Hoffnung auf bedingungslose Liebe und Geborgenheit zu Grabe getragen.

So erlebt ein Freund, den ich mein halbes Leben kenne, das Fehlen der Eltern. Obwohl er nie viel Geborgenheit und Unterstützung erfuhr, hat das Leben nach dem Tod der Mutter für ihn eine neue, größere Dimension der Einsamkeit eröffnet. Natürlich hat er enge Freunde, die für ihn da sind und die mögliche neue Partnerin wird ihm ebenfalls zur Seite stehen, genau wie der Ziehsohn. Doch da gibt es zu seinem Bedauern keine Familie mehr, keine Blutsbande, keine Wurzeln. Seine Ausführung macht mich traurig und betroffen. Wir kennen uns so lange und dennoch kann ich nichts für ihn tun als ihm die Hand reichen. "Ich möchte Deine Familie sein", sage ich, obwohl ich weiß, dass ich damit seine Einsamkeit nicht auflösen kann. Nicht diese Einsamkeit - die Einsamkeit des Menschseins.

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Donnerstag, 14. November 2019
Feels like Christmas
Verfrühter Titel, geradezu zukunftsweisend.



Es ist inzwischen schon empfindlich kalt, und vielleicht liegt das nur an mir, das Empfindliche bei Kälte. Ich mag sie genausowenig wie ich Hitze mag. Extreme liegen mir nur bei Stimmungsschwankungen und Chips, von denen ich nie genug bekomme. Weil ich mich nicht sonderlich gut bewegen kann, sitze ich drinnen und der Kreislauf kommt nur schwer in Gang - vorwiegend wenn ich wegen überkochender Suppe zum Herd sprinte - naja langsames Sprinten, quasi Kriechen. Die Heizung läuft seit kurzem auf Hochtouren. Ich hasse kalte Duschen, mich im Kalten umziehen und gehe manchmal sogar mit voller Montur ins Bett, nur um später in der Nacht die Schichten im Schweißausbruch abzuschälen.

Der Herbst hat meines Erachtens nur eine Funktion: er bereitet uns schonend auf niedrige Wintertemperaturen vor, ganz philosophisch betrachtet vielleicht auf noch mehr. Der Wechsel, das Vergehen, Vorbereitung auf die Starre. Früher habe ich mich mit aller Macht gegen das Ende des Sommers gestemmt, habe die Reste der Leichtigkeit gesucht und die letzten Sonnenstrahlen eingefangen, um sie als Erinnerung zu konservieren. Schon mal versucht, sich die Hitze des Sommers vorzustellen, während man friert? Genau, funktioniert nicht. Heute weiß ich nicht nur, dass sich nichts imaginär festhalten lässt, ich erlebe das Loslassen viel direkter.

Lebensphasen werden oft mit Jahreszeiten verglichen. Der Herbst des Lebens, noch nicht ganz kalt aber bereits verblüht, auf einen möglicherweise langen Winter vorbereitend. Wenn mir noch 30 Jahre bis zur völligen Erstarrung bleiben, liege ich mit meinem körperlichen Abbau schon ganz weit vorne. Dass der Körper nicht mehr so reibungslos und selbstverständlich funktioniert, ist eine maßgebliche Komponente des Älterwerdens. Akzeptieren, Abfinden und Kompensieren lernen wir mit jeder schmerzlichen Erfahrung. Der Kopf kann aber immer noch verdrängen. Die ultimative Lernerfahrung geschieht durch physische Einschränkung, da geht nämlich kein Weg dran vorbei.

Wenn der Widerstand gegen Unvermeidliches geringer wird, sind es die unangenehmen Begleiterscheinungen auch. Keine Kämpfe mehr, nur noch gelegentliches Schulterzucken. Aha, so ist das also mit dem Älterwerden, mit dem Versagen in Gewohntem und mit dem neu Sortieren. Das mache ich übrigens andauernd. Erst sortiere ich meine Schränke und dann mein Innerstes. Vieles fliegt raus, was ich nicht mehr brauche, manches wird neu gefaltet und gelegentlich gibt es Neuanschaffungen. Ich habe mir jetzt ein bisschen Gleichmut besorgt und dafür die Tristesse in die Tonne getreten. Wo ich Akzeptanz für schnelleren Zugriff staue, ist noch nicht entschieden. Ausserdem suche ich noch nach einem günstigen Angebot für Geduld. Da darf's auch ein bisschen mehr sein.

Sich der eigenen Endlichkeit bewusst zu sein, wird uns von schlauen Sprüchen um die Ohren geklatscht. Wir sind den ganzen Tag ungeheuer effizient und carpen das letzte Restchen aus dem Diem. Seltsamerweise bleibt die Vorstellung vom eigenen Tod dennoch so lange ein imaginäres Konstrukt, bis er uns auf die ein oder andere Weise keinen Ausweg mehr lässt. Die steigende Wahrscheinlichkeit zwingt uns ganz natürlich zur Auseinandersetzung. Befindlichkeiten werden plötzlich obsolet, weil die Krone der Schöpfung nicht mehr der Mensch an sich, sondern sein Ende ist. So weit sind wir aber noch nicht. Sind wir nicht?

Sich an den Kleinigkeiten erfreuen bedeutet doch auch, nichts Großes mehr zu erwarten, erwarten zu können. Hätte ich das schon früher gekonnt, wäre ich nicht ständig so deprimiert gewesen. Überhaupt die Melancholie, die werthergleich gefeierte, sie macht nur Spaß, wenn danach auch wieder was bombastisch Tolles kommt. Bleibt der Wechsel aus, kriecht Resignation durch die Knochen. Und die ist nur schwer zu ertragen. Man ruft sich gegenseitig Durchhalteparolen zu, um den Alltag zu besänftigen. Wird schon wieder. Und wenn nicht? fragt der Kopf.

Hier endet nicht nur mein kleiner Ausflug in die Endlichkeit, sondern auch der Text. Ich weiß doch auch nicht. So ein Thema hat verständlicherweise keine Pointe, allerhöchstens einen Zirkelschluss. Wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende, so sagt man. Deshalb feiern wir Weihnachten wohl am Ende des Jahres und nicht am Anfang. Mal ehrlich, kein Fest (abgesehen von Silvester) wird mit so gemischten Gefühlen erwartet wie dieses. Dabei komprimiert sich lediglich alles, was das ganze Jahr über eh latent da war. Alles vorhersehbar, alles wiederkehrend, alles vergänglich. Und vom Wetter her könnte es dieses Jahr ziemlich kalt werden.

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Freitag, 4. Oktober 2019
Disappointed


Ehrlich gesagt finde ich keinen passenden ersten Satz für diesen Eintrag. Ähnlich wird's mir mit dem Schluss gehen. Was dazwischen folgt, ist ein Rant auf Umstände, die es mir schwer machen, mich auf meine Weise zu entfalten und zu entwickeln.

Über das vergangene Jahr habe ich mich mehrfach für die unterschiedlichsten Zusatzaufgaben innerhalb meiner Firma beworben. Es waren Aufgaben im Lehr- und Führungsbereich dabei und solche, die Veränderung und Repräsentation sowie Innovation beinhalteten, Für jede einzelne Bewerbung erhielt ich eine Absage. Die Gründe waren vielfältig, das Ergebnis dasselbe. Meine Arbeit macht mir Spaß, doch suche ich immer nach neuen Herausforderungen. Ich war von Anfang an für diesen Job überqualifiziert und mein letztes Studium hat dazu nur beigetragen. Die einen fühlen sich in ihrem Bereich durch mich bedroht, die anderen nicht genügend repräsentiert. Ich passe in kein herkömmliches Schema. Doch statt die neue, innovative Seite der Veränderung umzusetzen, beobachte ich täglich, wie gerade Andersdenkende ängstlich in ihre Schranken verwiesen werden.

So bleibt mir nichts als neue Wege zu beschreiten, die sehr wahrscheinlich nebenberuflich und selbständig aussehen werden. Mehr weiß ich gerade nicht. Nur eines: ich bin sehr, sehr enttäuscht.

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Dienstag, 6. August 2019
Cabin Fever
Ivory Black

Du hast alles erledigt, hast geputzt, die Rechnungen bezahlt, hast die Bettwäsche gewechselt und Mails beantwortet. Du hast alle zehn Minuten deine Nachrichten gecheckt und ein paar Leute angerufen. Du könntest mal wieder malen oder Sport machen, was lesen oder einen Film schauen aber danach ist dir nicht. Dir ist nicht nach Abwechslung. In deinem Kopf schraubst du an einem Gedanken. Du denkst zu viel. Das behaupten die, die generell weniger denken. Den Zauberwürfel im Zentrum deines Kopfes kannst du nicht einfach zerbrechen und die Teile nach passenden Farben sortieren. Je länger du drehst, umso wirrer sehen die verschiedenen Seiten aus. Irgendwann, so hoffst du, wirst du eine Lösung finden. Vielleicht findest du sie zufällig, wenn du nur lange genug planlos herumschraubst. Irgendwann wird alles am richtigen Platz sein. To fall into place. Momentan fehlt dir einfach der richtige twist. Deswegen drehst du weiter am Gedanken. Die Zimmerdecke scheint sehr niedrig, der Raum enger. Cabin Fever denkst du. Ja, einfach raus schwitzen, ein bisschen husten. Rotz, Wasser, Müdigkeit. Die Knochen tun weh, die Haare kannst du einzeln spüren, hast sie aber nie gezählt. Das fällt dir jetzt erst auf. Jeden Tag gehen ein paar verloren, wachsen nach und fallen wieder aus. Circle of life In vierzehn Tagen ist alles vorbei, so zuverlässig wie das Amen in der Kirche. As night follows day Wer kann sich schon im Sommer an die Kälte des Schnees erinnern?

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Mittwoch, 31. Juli 2019
This too shall pass
“It is said an Eastern monarch once charged his wise men to invent him a sentence, to be ever in view, and which should be true and appropriate in all times and situations. They presented him the words: “And this, too, shall pass away.” How much it expresses! How chastening in the hour of pride! How consoling in the depths of affliction!”
A. Lincoln

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