Sonntag, 15. Mai 2022
Trainwreck


Am Münchner Hauptbahnhof führt der Weg von meiner U-Bahn zu den Gleisen in der Haupthalle durch den Untergrund. Man läuft eine Weile, da die Eingangshalle umgebaut wird und der direkte Weg versperrt ist. Mir fällt eine Gruppe Frauen mit Kindern auf, die in Spannbettlaken gewickelte Bündel tragen. Eine eher kleinere Frau trägt in einem Arm einen Säugling, die andere Hand schleppt und zieht das riesige Knäuel. Ich biete meine Hilfe an, bin aber nicht sicher ob sie mich versteht. Ihr Blick ist starr ohne erkennbare Mimik. Das Bündel ist schwer, obwohl wir es gemeinsam halten. Mein eigenes Gepäck habe ich an der anderen Hand. Schließlich lässt sie los, um den Säugling nach oben zu rutschen. Mir fallen vor uns weitere Frauen auf. Sie sind alle auf dem Weg zur Haupthalle bei den Gleisen. Am Fuß der Rolltreppe bildet sich eine riesige Traube. Die Frau mit dem Kinderwagen zögert und ruft einem kleinen Jungen davor immer ungeduldigere Worte zu, die sich für mich russisch anhören. Der etwa Vierjährige traut sich nicht, die schnell fahrenden Stufen zu betreten. Ich lasse das Bündel los und gehe nach vorne, strecke dem Jungen meine Hand entgegen, doch der hat Angst. Schließlich greift er danach und wir hüpfen auf die Treppen. Ein Lachen erhellt sein Gesicht. Oben hüpfen wir erneut auf die Endplatte. Er lässt meine Hand los und sucht seine Mutter. Die Frau mit dem Säugling wartet auf mich. Schließlich sammeln sich alle in einer großen Gruppe mittig vor den Gleisen. Es sind viele. Sie fahren wieder zurück in die Ukraine. Eine Frau bedankt sich bei mir für meine Hilfe. Ich greife in meine Tasche und hole das Plüschtier heraus, das für meine Nichte gedacht war, gebe sie meinem kleinen Rolltreppengefährten und winke zum Abschied. Dann muss ich weinen.


In einem Bericht aus Polen hörte ich von der Beobachtung, dass die ukrainischen Kinder jetzt nicht mehr weinen und es allgemein sehr still sei, weil sie auch bei den traumatisierten Eltern keinen Schutz mehr finden. Sie sind mit ihren Ängsten völlig auf sich gestellt. Ich kenne diese Reaktion als Einzelfall bei der Betreuung traumatisierter Kinder, nicht aber in dieser großen Masse.

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Donnerstag, 8. August 2019
Trauma my ass!
Kaputte Krieger via Augen geradeaus



Es war etwa um 2005 rum, da hatte ich plötzlich Flugangst. Bei Start oder Landung über Wasser bekam ich schwitzige Handflächen, erstarrte innerlich und konnte mich nicht mehr auf meine eigentliche Aufgabe - der mentalen Vorbereitung auf eine mögliche Evakuierung - konzentrieren. Ganz schön scheiße in meinem Job. Ich erinnere mich, dass ich als Passagier in einem kleinen Flugzeug fast ausgetickt bin, weil man mich nicht am Notausgang sitzen lassen wollte. Und ich weiß noch, wie mein Umfeld mit Unverständnis darauf reagierte und ich folglich alles daran setzte, meinen Zustand so weit wie möglich zu verheimlichen. Damals begriff ich nicht was mit mir los war, zumal ich bis dato ein Mensch war, der vor wenigen Dingen Angst hatte. Im Gegenteil, ich suchte das Risiko, liebte wilde Fahrgeschäfte auf dem Volksfest, war Höhlentaucherin und vermied auch sonst keine potentiell gefährlichen Situationen. Ich wusste nicht, dass mein Zustand einen Namen hatte, sonst hätte ich den googeln können. In diversen Fallbeschreibungen, deren Symptome meinen ähnelten, stand immer gleichzeitig was von "lebensbedrohlichen Ereignissen". Ein PTSD (post-traumatic stress disorder, deutsch: post-traumatisches Belastungssyndrom= PTBS) kannte ich nur in Zusammenhang mit Kriegsveteranen, Geiselnahmen oder sonstigen Gewaltopfern. Ich war sicher, das trifft auf mich nicht zu.

Irgendwann begriff ich, dass ich damit ebenfalls gemeint war. Ich litt unter sogenannten Flashbacks, Alpträumen, gesteigerten Erregungszuständen und Aussetzern. All das konnte ich jedoch geschickt überspielen. Meine Seele hat sich dann einen anderen, deutlicheren Weg gesucht, um sich Gehör zu verschaffen. Ich bekam Angst vor dem Fliegen. ICH! Nee, oder? Ich war doch die Unerschrockene, die Starke, die sich immer selbst hilft. Der Weg von der Einsicht zur Genesung war lang und steinig. Und beschissen. Was war geschehen? Abgesehen von Gewalterfahrungen in meiner Kindheit hatte ich in der Zeit einen Tauchunfall, der mich fast das Leben gekostet hätte. Das war der Auslöser. Es folgten Monate mir unerklärlichen Seelenleids. Ich verlor das Interesse an sozialen Kontakten, grub mich ein und wachte fast jede Nacht schweißgebadet auf, rauchte wie Schlot, fühlte mich aber sonst eher mau. Nicht richtig depressiv, eher so mittelschlecht. Ich brauchte starke Auslöser für Emotionalität und flüchtete in Affären und Sex. Damit konnte ich wenigstens die miese Allgemeinstimmung erklären. Die Erkenntnis, dass es am härtesten die Starken und Rationalen trifft, bringt mich heute dazu, es aufzuschreiben. Die können das Erlebte und die Folgen nämlich sehr lange leugnen, wegerklären oder sich schlichtweg davon ablenken. So auch ich. Bis es eben nicht mehr ging und ich mich krank melden musste.

Also suchte ich mir eine Therapeutin, mit der ich das Geschehene aufarbeitete. Nicht rational, sondern emotional. Mehrere Monate intensives Abtragen der Schutzschichten begleitet von lang anhaltenden Weinkrämpfen waren mein Alltag. Eine Folge von starkem Stresserleben ist der Schutzmechanismus der Seele, die damit verbundenen Emotionen abzuspalten. Erst wenn die Erinnerung abgerufen und dabei die zugehörigen Gefühle nochmals im geschützten Raum erlebt werden, kann der Mensch wieder ganz werden. Die unterdrückten Gefühle sind mächtig und auch nach vielen Jahren manchmal noch überwältigend. Sowas löst sich nicht mit einmal drüber weinen auf. Da muss man immer wieder dran, bis die emotionalen Wellen seichter werden. Manche behaupten, es wäre nie ganz heilbar. Meine Erfahrung ist, dass ich seichtere Wellen besser bewältigen kann als die Brecher, die mich schutzlos umhauen. Letztlich geht es genau darum, es in erlebbare Häppchen zu portionieren, damit ich bei einem Anflug nicht sofort in vegetative Starre verfalle oder mir mit Süchten drüber weg helfen muss. Nervosität in bestimmten Situationen, gelegentliche Alpträume oder leicht dysfunktionales Verhalten, inzwischen kann ich damit umgehen.

Vor ein paar Jahren absolvierte ich eine Ausbildung zur Krisenhelferin, die mich dazu befähigt, andere nach einem potentiell traumatisierenden Erlebnis zu unterstützen. Ich habe gelernt, dass sich traumatisierend nicht generalisieren lässt und Erleben sehr individuell abläuft. Was einer als Lappalie abtut, kann einen anderen umhauen. Dabei möchte ich nochmals betonen, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, sich ein Gefühl von Überwältigung einzugestehen. Es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen PTSD und emotionaler Schwäche. Die vermeindlich Starken leiden nur länger. Zudem gibt es Studien, die besagen, dass soziale Unterstützung bei der Verarbeitung von Erlebtem förderlich sein kann. Vietnam Veteranen, die in ein intaktes soziales Umfeld zurückkehrten, litten weniger unter PTSD, Abhängigkeiten oder anderen Folgen und waren schneller rehabilitiert.

Ein starkes Interesse an diesem Thema kann bereits Indikator für etwas sein, was da im Innersten schmort. Suchen Sie sich jemanden zum Reden. Es muss nicht gleich die Fachkraft sein, sollte aber professionell behandelt werden, wenn die Symptome den Alltag bereits stark einschränken. Was ebenfalls für einen Therapeuten spricht, ist die Tatsache, dass man dem auch zum hundertsten Mal dieselbe Geschichte erzählen kann, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Der kriegt dafür schließlich Geld. Ein Garant für Heilung ist Bezahlung nicht, wohl aber die Bereitschaft, sich mit seiner eigenen Vergangenheit, insbesondere den dunklen Ecken auseinanderzusetzen und dort hinzusehen, wo's richtig weh tut. Irgendwann tut's dann nicht mehr so weh. Das verspreche ich.

Anm.: Wenn Sie etwas tun möchten, dann verlinken Sie diesen Erfahrungsbericht für mehr Reichweite. Nicht weil ich eitel bin, sondern weil es viele gibt, denen damit möglicherweise geholfen werden kann.

Noch mehr Anm.: ich bin keine Expertin. Das ist nur ein Erfahrungsbericht. Es gibt aber Anlaufstellen, die helfen können:

PTSD Hilfe in München
Krisendienst München
Überregionaler Krisendienst

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Montag, 3. Juni 2019
Vom Urteilen und Verurteilen
Mich faszinieren die Beweggründe eines Menschen. Ferdinand von Schirach begann irgendwann während der Arbeit als Strafverteidiger, darüber Bücher zu schreiben. Ich habe kein kurzes Video gefunden, in denen er seine Ansichten schildert. Wer sich mit Themen wie Schuld, Urteil und Gewissen beschäftigt, kann das nicht hinreichend in fünf Minuten erklären. Deshalb im Folgenden ein längeres Beispiel, in dem er sich mit Gero von Boehm austauscht. In der derzeitigen Diskussion um Mlle Readon wurde ich vor allem durch die Reaktionen wieder daran erinnert.





Alle moralischen Folgen seien hier mal außen vor gelassen, Reaktionen sagen jedoch mehr über die Reagierenden als über die Verursacherin aus. Denn das, wofür wir uns selbst am meisten verurteilen, übertragen wir auch auf andere und verurteilen sie genau dafür. Je unbewußter wir uns dieser inneren Teile sind, umso härter fällt unser Urteil aus. Think about it.

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Sonntag, 2. Juni 2013
I'm Every Woman
Im Zuge der Recherche bin ich zum Bewunderer von Alice Eagly, Professorin für Psychologie und Forscherin auf dem Gebiet der Stereotype, Einstellungen, Geschlechtsunterschiede, Führungsverhalten, Feminismus uvm. geworden. Die renomierte Wissenschaftlerin wurde 1938 geboren und ist führend auf ihrem Gebiet. Gut vorstellbar, dass es zu ihrer Zeit wenige Frauen in ihrer Position gab, wahrscheinlich kaum eine, die sich mit Feminismus im wissenschaftlichen Rahmen beschäftigte. Jedenfalls haben mich ihre Feststellungen überzeugt. Sie schreibt (und spricht) nämlich durchaus unterhaltsam - was wiederum im Rahmen ihrer Forschung über Einstellungsänderung interessant sein dürfte, das aber nur am Rande. Bitte überzeugen Sie sich selbst:

Women and the Labyrinth of Leadership

Interview aus der FAZ 2010

Leider sind viele Studien lizensiert und deswegen nicht frei zugänglich, jedoch habe ich einige interessante hier gefunden:

Gender and Aggressive Behavior (1986)

Role Congruity Theory of Prejudice Toward Female Leaders (2002)


Und wie das bei Recherche halt so üblich ist, findet man weitere interessante Dinge (der sog. vom-Hundertsten-ins-Tausendste-Effekt), wie zum Beispiel hier:

"Die zentrale Dimension des modernen Sexismus ist
die Leugnung fortgesetzter Diskriminierung von Frauen
(...)
Aus der Interdependenz von Frauen und Männern erwachsen den Frauenstereotypen Merkmalsinhalte, die aus sexistischer Sicht eindeutig positiver Natur sind. Als Ergebnis erhält man das Diskriminierungs-Zuneigungs-Paradox (Eckes 2002): Einerseits sehen sich Frauen fortgesetzter Diskriminierung ausgesetzt (Benokraitis/Feagin 1995, Eagly/Karau 2002, Swim/Campbell 2001), andererseits erfahren sie vielfach positive Gesamtbewertungen, häufig sogar positivere Gesamtbewertungen als Männer („women-are-wonderful“-Effekt; Eagly/Mladinic 1994). Aus der Perspektive der Theorie des ambivalenten Sexismus (Glick/Fiske 1996, 2001a, 2001b) verschwindet dieses Paradox, wenn man sich klarmacht, dass die spezifische Art der Zuneigung und Idealisierung, die in der positiven Bewertung von Frauen zum Ausdruck kommt, lediglich die andere Seite ein und derselben „sexistischen Münze“ ist. Mit anderen Worten, Sexismus hat eine duale Bewertungsstruktur, die sich aus ablehnenden, feindseligen (hostilen) Einstellungen und subjektiv positiven, wohlmeinenden benevolenten) Einstellungen zusammensetzt. Strukturelle Macht von Männern schürt hostilen Sexismus, Abhängigkeit der Männer von Frauen in engen interpersonellen Beziehungen begünstigt benevolenten Sexismus."

Thomas Ecke: Geschlechterstereotype: von Rollen, Identitäten und Vorurteilen (2008)

Weiter mit Recherche...

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Sonntag, 13. November 2011
No Milk Today
Hunger habe ich keinen, vor allem weil jede Bewegung des angeschwollenen Kiefers Schmerzen verursacht. Aber die Pillen müssen runter und ohne was im Magen wird mir so übel davon. Also dachte ich heute, probier' ich's mal mit Babynahrung. Unglaublich welches Angebot den Kleinen da so in Gläschen präsentiert wird. Von Pasta mit Mozzarella über Biorind und -hühnchen bis Spinattortellini ist alles dabei. Gut dass draufsteht was drin ist, denn der Verkoster kann an der Breifarbe höchstens Karotten bzw. Spinat erahnen. Zum Nachtisch gibt's leckere Obstkombinationen. Nur Tiramisu habe ich erfolglos gesucht.

Und dann fiel mir wieder diese Sache mit Amerika ein. Der gemeine Reisende weiß ja, dass er so Dinge wie Obst, Milch und Fleischprodukte nicht einführen darf. Relativ neu ist allerdings eine Regelung, die unsere Wurstkonserven und Babynahrung auf dem Flieger betreffen. Das Zeug muss nämlich - obwohl vakuumverschlossen - vor der Landung in den Vereinigten Staaten entsorgt, sprich weggeworfen werden. Jetzt ist es aber so, dass diese Konserven in ihrem Behältnis das Flugzeug nie verlassen, sondern umgehend den Rückflug antreten würden, müssten wir sie nicht über die Abfallbehälter dem amerikanischen Müllvernichtungssystem zuführen. Die von uns entsorgten, europäischen Produkte werden anschließend durch amerikanische ersetzt, die weder geschmacklich noch inhaltlich an unsere heranreichen. Und jetzt erkläre mir mal einer den Sinn hinter solchem Gebahren. Soll damit die amerikanische Wirtschaft angekurbelt werden? Ich kann mir keine einzige Hygienemaßnahme vorstellen, die diese Regelung rechtfertigt. Der Normalreisende darf übrigens verschlossene Babynahrung ganz legal einführen.

Meine Mathematikkenntnisse reichen für folgende Milchmädchenrechnung: Nehmen wir mal an, es landen jeden Tag 10 deutsche Flugzeuge in einer amerikanischen Stadt. In jedem dieser Flugzeuge sind 6 Gläschen Babynahrung beladen. Das macht pro Tag 60 Gläschen, im Monat sind das schon etwa 1800 Gläschen und im Jahr 21900 (okay im Schaltjahr sind's 60 mehr und die Regelung betrifft auch nicht alle amerikanischen Flughäfen, was die Vorschrift noch idiotischer wirken läßt). Die Rechnung lässt sich beliebig auf weitere europäische Flugzeuge ausweiten. Sicher wird das ein oder andere Gläschen während des Fluges verköstigt, weswegen die Rechnung auch eine von Milchmädchen ist aber egal. Die Zahlen bewegen sich in einer Grössenordnung, die mich sprachlos macht. Ich spare mir an dieser Stelle mal den abgedroschenen Spruch über die Kinder in Afrika und genehmige mir stattdessen noch ein Pasta Bambini.

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Donnerstag, 20. November 2008
Live And Let Die?
I know when people read your story, many will agree that yes, if they were in your situation then they would want to die too. Most people are so scared of illness, of disability, of getting older, that wanting assisted suicide is seen as an entirely rational desire. What scares me is that views like these will also be held by the doctors, the media, the courts, the government and all the others who have the power to decide if we live or die.

Ein offener Brief der behinderten Komikerin Liz Carr an den lebensmüden Noel Martin, der seit einem Übergriff deutscher Neonazis 1996 gelähmt ist.
via

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Donnerstag, 2. Oktober 2008
'Till I met a blind man who taught me how to see
Aerosmith

Lesenswerter Artikel über einen Blinden, der von der Beförderung im Flugzeug ausgeschlossen wurde, weil er nicht am Fenster sitzen wollte. Christiane hat diesen Artikel gefunden und kommentiert die Hintergründe für derlei Regularien. Dennoch ist die Vorgehensweise der Airline nicht nachvollziehbar.

Ich verstehe meine Rolle an Board nicht als Erzieherin, sondern als Sicherheits- bzw. Servicepersonal. Das bedeutet, ich weise die betroffenen Personen ganz klar auf diverse Umstände hin und übertrage damit die Verantwortung. So lange allgemeine Abläufe nicht gestört oder bestimmte Sicherheitsvorschriften grob verletzt werden, zählt immer noch der gesunde Menschenverstand, der allerdings immer mehr durch Vorschriften ersetzt wird und dadurch vom Aussterben bedroht zu sein scheint.

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Montag, 1. September 2008
Dangerous
Michael Jackson

Dieser Kaukasuskonflikt ist inzwischen auch schon wieder kalter Kaffee. So kalt wie der Tsunami im darauffolgenden Sommer. Ist ja auch alles schön weit weg von hier. Und wer weiß schon, wo der Kaukasus liegt. Reinhold Messner hat jedenfalls dort noch keinen einzigen Zeh geopfert.

Für mich war das Gerangel um diverse georgische Gebiete zumindest zweieinhalb Wochen interessant, weil da dieses Kürzel für Tiflis in meinem Dienstplan stand. Konnte es sein, dass der Konflikt bis in die Hauptstadt vordringt? Würde Russland den Luftraum für die zivile Luftfahrt schließen? Naive Mitmenschen behaupten ja, die Luftfahrtgesellschaften wüssten schon was sie tun und so lange sie ein bestimmtes Gebiet anfliegen, würde es auch ganz bestimmt dort sicher sein. Ich persönlich halte das für ein Gerücht. Als sich damals in Sarajewo die einzelnen Lager beschossen, schickte man so lange wie möglich Zivilflugzeuge in die Hauptstadt und damals in Beirut - wir erinnern uns? - landeten Maschinen der westlichen Konsumgesellschaft auf dem Flughafen. Man verliert nicht gerne die heißumkämpften Slots wegen einer kleinen politischen Krise. Politik ist im Grunde auch nicht mehr als Wirtschaftsdiplomatie und Flüchtlingstransport sowas wie die letzte große Marktlücke.

Medvedev hat jedenfalls die abtrünnigen Gebiete Georgiens anektiert anerkannt und sich bis auf weiteres von dort zurückgezogen als ich nach Tiflis flog. Hin wollten etwa 40 Passagiere, weg von dort aber wesentlich mehr. Vor allem diese ungeheuer wichtige, verkabelte und körpergebildete Gruppe von Amerikanern, in ihrer ungeheuer wichtigen Mission, die so ungeheuer viel Waffen und Munition in der Kabine transportieren wollten, was ihnen aber von uns, der Besatzung, verwehrt wurde. Diese Amerikaner und ihre Mission waren so ungeheuer wichtig, dass sie gleichzeitig auch ungeheuer geheim bleiben musste. Ganz seltsame Geschichte. Jahrelang kümmern sich die Amerikaner einen Feuchten um Georgien, jahrelang durfte Stalin diskriminieren und deportieren. Jetzt aber, wo es um wirtschaftliche Interessen geht, jetzt steht plötzlich die Elite Amerikas bei Fuß, wenn um kleine Grenzgebiete gerangelt wird.

Ich bin ja nur ein ganz kleines Korn im großen Weltgetriebe aber wundern darf man sich ja mal, zumal diese Vorfälle meinen Alltag unmittelbar betreffen. Und von der Zivilbevölkerung spricht mal wieder keiner. Wichtig ist ja nur das große Ganze, da muss man auch mal Opfer bringen. Universalschicksal nennt sich das dann und Gott spielen einzelne selbsternannte Machthaber. Aber keiner scheint je von den alten Weisheiten gehört zu haben, die oben mit unten und das Kleine mit dem Großen vergleichen. Sie sind halt auch zu leise, die das aussprechen oder werden mit aller Kraft erstickt, wie derzeit in China. Die verschaffen sich nicht mit Schüssen und Sprengstoff Gehör, die hört man nicht im Feuergefecht. Nur wer innehält und bereit ist zuzuhören, wird die leisen Stimmen wahrnehmen. Möglicherweise verschieben sich dann aber gewisse Prioritäten, das System beginnt zu wanken und muss schließlich einem neuen weichen. Veränderung bedeutet aber Unsicherheit und wirkt bedrohlich. Deswegen hören wir lieber wieder auf die Marktschreier und drehen die Musik laut. Zu viel Stille ist einfach gefährlich. Nachdenken auch. Scheint so jedenfalls für die Mehrheit der Menschen zu sein.

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Donnerstag, 22. Mai 2008
It's not over yet
Jazzbar Vogler vor dem Aus

So lauten die Schlagzeilen bei Münchenblogger. Bereits letzten Sonntag erreichte mich der übliche Newsletter mit ungewöhnlichem Inhalt:

Liebe Freundin, lieber Freund der Jazzbar Vogler,

das wird ein sehr schwerer Brief:

Wie Sie wissen, habe ich mich vor bald elf Jahren entschieden, das "Vogler" zu eroeffnen - ohne jegliche Erfahrung in der Gastronomie und ohne auch nur einen einzigen Musiker zu kennen. Seitdem ist das "Vogler" fuer viele von Ihnen zum zweiten musikalischen Wohnzimmer geworden; es gab im Laufe der Jahre viele Konzerte und Veranstaltungen, es gab aber auch manche Steine, die mir in den Weg gelegt wurden - aber irgendwie fand sich immer wieder eine Loesung.

Jetzt gibt es einen Stein, der fuer mich allein zu gross ist und mir nur zwei Moeglichkeiten laesst: Entweder das "Vogler" Ende Juni zu schliessen, oder mit Ihrer Hilfe die Schliessung zu verhindern.

Soviel Glueck ich mit meinen Gaesten, Musikern und Mitarbeitern habe, soviel Pech hatte ich mit meiner Steuerberaterin; wie sich leider viel zu spaet herausgestellt hat, wurden vier Jahre lang meine Steuern falsch und/oder nur unvollstaendig deklariert; die daraus folgenden Nach-Zahlungen sind fuer mich seid Monaten ein riesen Problem. Da sie in diesem Geschaeft keine Ruecklagen bilden koennen, weil der Sommer immer alles auffrisst und Banken sich dreimal auf die Schenkel klopfen, wenn es bei einer Jazzbar um einen Ueberbrueckungs-Kredit geht (da nuetzt es auch nichts, bei Banken schuldenfrei zu sein), bleiben nicht viel Moeglichkeiten. Wenn Sie mich ueber die Jahre nur ein bisschen kennen, wissen Sie, daß ich alles versucht habe, um das Problem allein zu loesen.

Meine ungewoehnliche Bitte ist nun: Wenn Sie weiter montags bei der Jam-Session die Musiker der Muenchner Szene mit internationalen Gaesten, Dienstags bis Donnerstag bei freiem Eintritt z.B. Joe Kienemann, freitags u.a. Stars wie z.B. Don Menza oder Pee Wee Ellis erleben, wenn Sie samstags tanzen moechten zu Bands wie den "Zucchinis" oder "Buena Vida", z.B. im November Randy Brecker erleben wollen, wenn Sie moechten, daß das "Vogler" weiter in Muenchen existieren soll - dann wuerde ich Sie um "Spende fuers Vogler" (jeder Euro zaehlt :-) auf mein Konto 890885805 bei der Postbank Blz: 70010080 bitten.

Ich weiss, es ist eine sehr, sehr ungewoehnliche Bitte. Und ich habe lange mit mir gerungen, ob ich dies auf diesem Weg so machen kann. Aber es erschien mir der bessere Weg, als das Vogler einfach zu schliessen.

Und vielleicht habe ich als "der" Vogler ja Glueck, dass viele, viele, viele Freunde "des" Voglers "das" Vogler am Leben erhalten wollen ... :-)

Ihnen allen schon jetzt: Tausend Dank!
Und wie auch immer das Ganze ausgeht verbleibt,
mit den besten Gruessen und Wuenschen
Ihr Thomas Vogler


Hoffen wir, dass sich genügend Spender finden, um das Vogler zu erhalten.

weitere Links zum Vogler:

http://www.jazzbar-vogler.com
http://smartass.blogger.de/20070731/
http://smartass.blogger.de/20080210/

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Samstag, 17. Mai 2008
Mary, did you know? (1)
Wussten Sie, dass es Rollstuhlfahrern am Flughafen Berlin Tegel als einzigem Deutschen Flughafen aus sogenannten Sicherheitsgründen immer noch verboten ist, in ihrem eigenen Rollstuhl bis zum Flugzeug zu fahren, dass aber Bundesinnenminister W. Sch.uble als Chef des kontrollierenden Sicherheitspersonals diese Regelung aufrecht erhält, obwohl er selbst in seinem eigenen Rollstuhl an Bord kommt?

Siehe hierzu auch:

Martin Ladstätter kämpft um sein Recht für Gleichstellung

Flughafen Berlin

Rollstuhlfahrer am Flughafen Düsseldorf

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