Freitag, 29. September 2006
Gained the whole world for the price of your soul
"No life is a waste", the Blue Man said.
"The only time we waste, is the time we spend thinking we are alone."

(Mitch Albom "The five people you meet in heaven")


Manchmal möchte ich nicht mehr unterwegs sein. Dann wird alles beschwerlich. Jedes einzelne Kleidungsstück legt mindestens zweimal den Weg vom und zum Schrank zurück, wird mehrere Male in Händen gehalten, zusammengefaltet und wieder ausgeschüttelt, bis es endlich im Koffer landet. Sind sowieso immer dieselben Stücke. Stücke von Heimat. Manchmal frage ich mich, wieso ich diesen Koffer überhaupt ausräume.

Stunden später bin ich an einem Ort, den ich vielleicht schon viele Male gesehen und an dem ich mir doch immer fehl am Platz vorkomme. Klima, Zeit und Kultur unterscheiden sich gewaltig von dort, wo ich herkomme. Man entlässt mich in Städte, in deren Adern das Blut in die falsche Richtung fließt, in denen die Menschen falsch aussehen und der Wind falsch riecht. Der Kopf sucht Gewohntes, doch findet er wenig, an das er sich klammern könnte.

Wenn es dunkel wird, will der Verstand schlafen. Der Körper weiß jedoch nicht, wovon der Kopf spricht. Wie ein kleines Kind quengelt er ein wenig, bevor die Erschöpfung über ihn hereinbricht. Wenn er aufwacht, ist es immer noch dunkel, doch keiner da, der ihn wieder in den Schlaf wiegt, keiner, der seinen Träumen lauscht. Es ist das falsche Bett, das falsche Zimmer, das falsche Leben. Falsche Geräusche von draussen übertöne ich mit falschen Stimmen aus dem Äther. Die Bilder flackern über falsche Tapeten. Manch einer fühlt sich beim Anblick des Sternehimmels klein. Mir genügt eine fremde Nacht an einem fremden Ort.

Die Verlorenheit hat sich nach nur wenigen Tagen in meine Seele gefressen. Sie wartet hinter meiner Wohnungstüre, schaut mir aus dem Spiegel entgegen und verströmt ihren Geruch über die Räume. Ich flüchte zwischen Laken, drücke die Augen fest zu. Hinter den Lidern formiert sie sich zu einem Traum, aus dem ich weinend erwache. Sie lässt sich nicht abschütteln. Ich habe sie nicht eingeladen und doch ist sie zu einem ständigen Begleiter geworden. Sie ist stärker als die Neugier, stärker als Gewohntes, stärker als der Verstand. Sie raubt mir das Gleichgewicht, lässt mich schwanken und straucheln.

Manchmal will ich sie austricksen. Dann begrüße ich sie wie eine alte Bekannte. Doch sie lacht mir nur höhnisch ins Gesicht. Sie lässt sich nicht täuschen. Ich halte mich an einer Stuhllehne, berühre ein Buch, streiche über eine Decke, streife ein Foto. Wie eine Blinde ertaste ich die gewohnten Orte meines Innersten neu. Irgendwo zwischen all den Erinnerungen versuche ich mich festzuhalten, die Balance zurückzugewinnen, um nicht zu stürzen. Es ist, als ob ich zu lange auf ein Bild von Escher gestarrt hätte. Wenn ich nicht aufpasse, saugt sie mich in ihren unendlichen Schlund.

Manchmal möchte ich nicht mehr unterwegs sein, sondern ankommen.

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