Mittwoch, 7. November 2007
Ha ha said the clown
"Weißt du, wenn ich vor dem Tanzen etwas trinke, muss ich immer Pipi." Ursprünglich war ich mit ihr zum Kaffee verabredet, doch daraus wird heute nichts. Dabei hätte ich noch so viele Fragen. So treffen wir uns eben eine Stunde später zu gewohnter Zeit in der Tanzschule. Ihr Mann bringt sie jeden Tag hin und holt sie wieder ab, meistens mit einer Harley, bei Regen in einem Mercedeskombi mit dem Emblem des Zirkus Krone auf der Fahrertüre. Als ich nachfrage, erzählt sie mir ihre Geschichte.

Svetlana ist auf der Ballettschule in St. Petersburg und blutjung als der Anruf einer Freundin kommt. "Komm nach Moskau, wir brauchen dich hier." Der Russische Staatszirkus sucht zeitweise Ersatz für eine verletzte Artistin. Kurze Zeit später balanciert die zierliche Person auf riesigen Elefantenköpfen, macht Spagat zwischen Rüsseln und dreht Pirouetten im Sägemehl statt auf glatten Parkettböden. Am Ende gefällt es ihr so gut, dass sie bleibt. Der Zirkus wird für sie Familienersatz, Heimat und Abenteuer zugleich.

Auf einer Tournee in Ungarn trifft sie Bobby - einen österreichischen Gastartisten - und seine Schimpansen. Die beiden freunden sich an. Doch dann lernt sie die Schattenseiten des damaligen Regimes kennen. Ausgang nur in größeren Gruppen und unter Aufsicht eines Beauftragten der Staatssicherheit, keine persönlichen Kontakte zu Angehörigen anderer Nationalitäten. Svetlana und Bobby werden mißtrauisch beobachtet. Trotzdem fasst sie sich eines Tages ein Herz und spricht mit der Zirkusdirektorin. "Du kannst jederzeit zurückkommen", sagt diese am Ende und entlässt Svetlana in eine unsichere Zukunft. Für offizielle Seite ist die Artistin auf unbestimmte Zeit erkrankt. Man wird Ersatz aus St. Petersburg anfordern müssen.

In Österreich ist sie nicht sehr willkommen. Zunächst beantragt sie eine Aufenthaltsgenehmigung, die immer wieder verlängert werden muss. Man rät ihr, mit ihrem neugeborenen Sohn auf keinen Fall russisch zu sprechen. Selbst nach fünf Jahren im Land und einer Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen will man ihr immer noch keinen Paß ausstellen. Wieder fasst sie sich ein Herz und spricht im Konsulat vor. Der Botschafter meint, sie könne mit etwas körperlicher Zuwendung den Vorgang sicherlich beschleunigen. Beim nächsten Termin wird sie von Bobby begleitet. Mit zittrigen Händen strecken sie dem Herrn ihren Antrag und das Kuvert mit den Geldscheinen entgegen. Es ist viel Geld. So viel, dass der Botschafter auf die körperliche Zuwendung zugunsten der Scheine verzichtet.

"Und dann?"
"Dann habe ich meinen Pass bekommen", sagt sie und lächelt dabei stolz. Selbst nach so vielen Jahren zittert ihre Stimme, als sie dieses Erlebnis erzählt. Über das Angebot der Zirkusdirektorin habe sie nie ernsthaft nachgedacht. "Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich zurückgegangen wäre." Beide Eltern sind früh verstorben, Geschwister, die nach ihrer Flucht den Repressalien des Staates ausgesetzt gewesen wären, hat sie keine. Auch ihre neue Familie ist eine mit langer Zirkustradition. Die Ansässigen leben gemeinsam unter einem Dach, alle anderen reisen in Wohnanhängern durch die Welt.

Ich würde gerne noch viel mehr erfahren, doch das Knattern des Harleymotors kündigt das Ende unseres Gespräches an. "Wenn du möchtest, dann komm' uns im Zirkus besuchen. Mein Mann kann dir dort alles zeigen." Sie schlüpft in den Helm, steigt auf die Maschine und winkt zum Abschied. Ich stehe verloren mit meinem Fahrrad in der Einfahrt und lasse ihre Geschichte auf mich wirken. Eine Geschichte wie sie sicherlich viele damals erlebten und doch eine, die mich merkwürdig berührt. Die Einladung werde ich mir jedenfalls nicht entgehen lassen.

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