Mittwoch, 14. Juni 2006
Die musikalische Reise - Teil 20
frau klugscheisser, 08:03h
Das Holz knistert in den Flammen. Sie sitzt am Rand des Lagers mit Blick auf den Atlantik. Kolya hat ihr eine Decke um ihre Schultern gelegt. Während der Aufenthalte in San Sébastien und Oviedo hat sie ihn beobachtet. Umhüllt von geheimnisvollem Schweigen hält er sich stets ein wenig abseits vom Rest der Gruppe. An diesem Abend siegte die Neugier, sie sprach ihn an. Erst wortkarg, später etwas mitteilsamer beginnen sie eine Unterhaltung. Sie sitzen schon eine ganze Weile so nebeneinander, nur er und sie. Die Anderen haben sich längst in ihre Träume zurückgezogen. Der Himmel erhellt sich langsam gen Osten. Erste Vogelstimmen werden hörbar. Es dauert nicht mehr lange, bis die Grillen ihren täglichen Balzgesang anstimmen werden. Die Luft ist angenehm kühl und klar. Wer ist dieser Mensch, der sich so sehr in sich zurückgezogen hat? Was hat ihn dazu veranlasst? Sie weiß es nicht. Offenbar scheint er ihre Anwesenheit zu genießen. Vielleicht muss sie es nicht wissen, es genügt, die innere Einsamkeit schweigend zu teilen. Ein leichtes Zittern überzieht die Oberfläche ihres Körpers. Die Müdigkeit lässt sie schaudern. Dennoch möchte sie diesen Augenblick noch ein wenig halten, noch ein wenig ausharren, in sich aufsaugen. Kolya legt einen Arm um sie, in den sie sich bereitwillig einschmiegt. Ihr Kopf liegt auf seiner Schulter. Gemeinsam lauschen sie den Wellen, die kontinuierlich gegen Felsen rollen. Mit der freien Hand streicht er über ihr Haar. Sie weiß, was jetzt kommen wird und doch ist alles anders. Er ist anders. Nicht so fordernd wie Mischa, sondern verhaltener, fast ängstlich. Morgen werden sie in La Coruña und damit am Ziel ihrer Reise sein. Dann werden sich ihre Wege trennen, jeder den seinen weitergehen. Morgen wird er nur noch eine Erinnerung sein. Trotzdem möchte sie sich einlassen. Sie betrachtet seine schwarzen Augen. Wenn Augen das Tor zur Seele sind, ist dieses Tor für sie verschlossen, der Schlüssel unerreichbar. Mit dem Finger streicht er über ihre Lippen, bevor sie sich mit den seinen treffen. Der Kuss, erst zögerlich, wird intensiver. Sie spürt seine Hände auf ihrem Körper. Ganz sachte verfolgen sie unsichtbare Linien, erst über ihren Rücken, nahe dem Grat bis zu seinem Ende, über die Schenkel an den Flanken entlang bis unter die Achseln, dann am Arm entlang, das Schlüsselbein nachzeichnend zum Hals, vom Kiefer zu den Wangenknochen und wieder hinab. Ihr Körper signalisiert sein Einverständnis. Sie lässt sich in die Berührungen fallen wie in eine weiche Matratze. Die Hände ziehen sich zurück, um sie mit kräftigem Griff aufzuheben und zum Zelt zu tragen, wo sie unter Decken und Matten ihren Weg weiter verfolgen werden. Stück für Stück öffnen sie Knöpfe und Verschlüsse, schieben Stoff beiseite, entblößen ihre Haut. Sie spürt den drahtigen Körper, seine Wärme, seine Haut ganz nah. Ihre Hände gehen auf Entdeckungsreise über seinen Rücken, seine Brust, seine Beine, gleiten über Unebenheiten und feste Muskeln, über die raue Oberfläche seiner Hände und die weichen Stellen in seiner Leiste. Seine Fingerspitzen entlang ihrer inneren Schenkel und den Pobacken jagen ihr einen Schauer der Lust durch den Körper. Es ist eine unendliche Steigerung, die sie an die langen Phrasen aus Bruckners Sinfonien erinnern. Nur einer konnte diesen Spannungsbogen halten, indem er immer wieder zurücknahm, von vorne begann und so die Illusion eines unendlichen Crescendos erschuf. Während Celibidache durch ihren Kopf spukt, bewegt sich Kolya mit ihr. Sie streckt sich seinen Händen und seinem Körper entgegen, wo er zurückweicht und zögert dort, wo er sich annähert. Die Bewegungen beginnen sich zu harmonisieren, finden den Weg miteinander zu einem Höhepunkt und sacken schließlich erschöpft ineinander. Ein Schluchzen durchzuckt ihre Kehle. Sie spürt die Tränen wie Wellen in sich aufsteigen und gegen den Damm der Beherrschung schlagen. Als sich die Schleusen öffnen, fließen sie ungehindert über ihre Wangen, seine Hände und seine Brust. Kolya hält sie ganz fest, flüstert leise Worte in einer Sprache, die sie nicht versteht und gibt ihren verdrängten Schmerzen einen Ort des Schutzes, der Geborgenheit. Er hält das Kind in seinem Arm, bis es erschöpft eingeschlafen ist.