Samstag, 2. November 2019
Coming Home VI
Der Countdown läuft. Im Zuge der 5000 habe ich bereits ein bisschen über meine Gäste (Kommentierende) geschrieben. Heute und über die nächsten Tage möchte ich ein paar hervorheben und erklären, wieso ich bei ihnen ebenfalls gerne zu Gast bin. Im Hinblick auf Fremdbild/Selbstbild hat's übrigens durchaus Potenzial für ein sogenanntes Bloggerstöckchen. Folge 1, 2, 3 und 4 versteckt sich hinter den Zahlen.

Meine Personenbeschreibungen sind subjektiv, unvollständig und unwissenschaftlich, quasi homöopathisch aber auch in hoher Dosierung wohlwollend.


Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit, als der Neo-Bazi und der Rationalstürmer hier kommentierten. Die gehörten damals fast so zusammen wie Arsch auf Deckel. Wo der eine auftauchte, war der andere nicht weit. Wir hatten nicht nur viel Spaß in den Kommentaren hier und in anderen Blogs, wir waren auch real zumindest fernmündlich verbunden. Der Neo-Bazi hatte damals ein Blog unter selbigem Pseudonym, nannte sich aber als Komentator mal halbtot, mal Opa Edi und gab sich gelegentlich auch irgendwelche anderen bizzarren Namen. In den Sechzigern und Siebzigern fuhr er zur See, kam aber ursprünglich aus dem Allgäu. Die kleinen Super 8 Aufnahmen zeigte er mal in seinem Blog. Auf meine Frage, wieso er sich denn für die Seefahrt entschieden habe - noch dazu als Nichtschwimmer - gab er zu bedenken, das sei damals für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, die Welt zu sehen und nebenbei schwimmen zu lernen. Ganz bodenständig pragmatisch, so war sein Stil, gelegentlich auch ein bissl derb. Seine Ambitionen brachten ihn als jungen Mann vom Hamburger Hafen in die Ferne. Als er wegen rheumatischer Beschwerden nicht mehr als Funkoffizier arbeiten konnte, versetzte man ihn in den Reederei-Innendienst. Bald wurde er vorzeitig berentet und verbrachte seine Zeit fortan mit sehr wenig Geld im sogenannten Nuttenturm - einem sozialen Brennpunkt mit Hafenblick. Dort habe ich ihn während eines Kurzaufenthalts mal besucht.

Trotz seiner gesundheitlich misslichen Lage hat Eduard Karl Henn - so sein richtiger Name - nie den Mut verloren, lenkte sich durch Schreiben und Kommentieren ab oder veräppelte seinen Zivi, der ihn bei alltäglichen Dingen unterstützte, sich aber nie für einen Opascherz zu schade war. Die im Allgäu wohnenden Enkelkinder konnte er aus finanziellen und auch ein wenig familiären Gründen nur selten sehen, weswegen seine Blogfamilie aka der Club der halbtoten Dichter an Weihnachten für ein Bahnticket zusammenlegte - hier kam natürlich der Rationalstürmer in's Spiel, mit dem ich mich drahtzieherisch beriet. Sowohl Bandbreite als auch Spendierlaune der Beitragenden war grenzenlos. Von Playlisten bis Lesematerial für die Bahnfahrt war alles dabei. So entstand aus einer kleinen Reisegutscheinidee eine komplette Opa-Landverschickung (von Matt Wagner wurde die Übergabe dokumentiert). Edi freute sich sichtlich und riesig, obwohl es ihm sehr schwer fiel, Geschenke anzunehmen. In Folge schickte er allen Beteiligten Päckchen, um etwas zurückzugeben. Getarnt waren diese Rückgeschenke immer als Rätselgewinne oder andere Zuwendung.



Edikarl ahnte nicht, dass diese Reise seine letzte sein würde, denn einige Zeit nach seiner Ankunft im Allgäu ging es ihm so schlecht, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Schlaganfall (soweit ich mich erinnere), Reha und nach ein paar Wochen der Genesung plötzlich nicht mehr halb- sondern richtig tot. Wir waren alle verdammt betroffen und traurig. Mich hat vor allem die Tatsache schockiert, dass ich damals zum ersten Mal vom Tod eines vorwiegend aus dem virtuellen Kontakt bekannten Freundes durch eben dieses Medium erfahren musste. Da fiel mir auf, warum es durchaus sinnvoll ist, Todesnachrichten persönlich zu überbringen. In diesem Fall war das nicht möglich, weil wir die Verwandtschaft vom Opa nicht kannten und selbige nichts von seinen Blogmachenschaften wusste. Absichtlich, denn der Neobazi schrieb sich einst dort auch eine Familiengeschichte vom Herzen.

Mit seinem Blog, seinen Kommentaren und seinem verschrobenen Humor fehlt der Edikarl jetzt schon seit 10 Jahren. Seine Geschichten sind inzwischen nicht mehr zugänglich aber mein letzter Satz gilt noch immer:
Weißt du, Opa, du warst schon ein ganz Besonderer. Kein Heiliger und kein Prophet aber einer mit dem Herzen am rechten Fleck. Ich wünschte, es gäbe hier noch viel mehr von deiner Sorte. Und wenn es sie gibt, dann stolpere ich hoffentlich eines Tages über die. Hier oder anderswo.

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