Sonntag, 29. Dezember 2019
Meanwhile
Im Rehageschehen nicht viel Neues. Man kennt sich jetzt am Tisch, man isst nicht nur gemeinsam, sondern trinkt und lacht ab und an auch hinterher. Die Kellnerin ist ganz reizend aufmerksam. Sie bringt mir Suppe und Tee an den Tisch, weil beides mit Krücken nicht zu transportieren ist. Essen hingegen geht immer. Inzwischen hätte ich allerdings gerne mal eine Tüte Pommes statt Karottensalat. Vielleicht würde sich dann das Verdauungsproblem auch lösen.

Die Bewegungstherapeuten sind Spaßbremsen. Strafzettel für Geschwindigkeitsüberschreitung am Trainingsrad bekommen. Aufwärmen ist hier nicht gleichbedeutend mit Schwitzen. Man bewegt sich nur so viel wie Frisur und Fassung aushalten. Am liebsten eigentlich gar nicht aus eigenem Antrieb. Ich hingegen freue mich jeden Tag auf meinen Bewegungsslot, absolviere eifrig und mit viel Konzentration alle Übungen, inklusive einem virtuellen Skiabfahrtstraining ohne Stöcke. Danach tut alles ein bisschen mehr weh als vorher. Ich steige da noch nicht ganz durch.

In der Physioabteilung gibt es Maschinen und Menschen. Die Maschinen langweilen, die Menschen drücken, streichen und demonstrieren. Ich lerne hier (wieder) ganz neu laufen. Das geht mir übrigens auch mit anderen Bewegungen so. Hinterher meist sehr viel mehr Schmerz als vorher - vor allem nachts schier unerträglich.

Die Schwestern sprechen mit mir spanisch. Dabei habe ich lediglich einer schöne Weihnachten in ihrer Muttersprache gewünscht. Jetzt lieben mich auch die aus Rumänien, Kroatien und Polen. Jeden morgen ziehen sie mir einen engen Strumpf an und abends wieder aus. Ich schäme mich ein bisschen, weil ich es nicht selbst kann. Die Socke kann ich allerdings mit Hilfe des anderen Fußes jetzt selbständig an und ausziehen. Bücken darf und kann ich mich nicht. Der Knöchel ist blau und dick, in der Kniekehle sammelte sich alles Blut aus dem restlichen Bein. Manchmal sind die Krücken beschwehrlich und die Medikamente zu schwach. Ich bekomme oft Nachschub.

Meine Ärztin spricht nicht so gerne, sie läßt lieber sprechen. Überhaupt wird der gemeine Patient gerne in Kategorien betrachtet. Körpergefühl und Eigeninitiative passen da nicht rein. Ich weiß nicht, ob ich mehr physisch oder mehr psychisch unter der Behandlung leide. Mancher Therapeut antwortet auf Nachfrage rotzig mit Allgemeinplätzen. Ich zügle einstweilen meine Schlagfertigkeit und den Blutdruck gleichermaßen.

Alle Insassen sind scharf auf Verlängerung - ich nicht. Ich möchte gerne heim. Das wird allerdings erst möglich sein, wenn ich ohne Hilfsmittel laufen kann. Der Faden ist übrigens raus, die Luft auch. Alles geht sehr langsam, unmerkliche Veränderungen. Ich finde, es könnte jetzt wirklich mal was passieren.

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