Freitag, 11. August 2006
Well I bet she's still a virgin but it's only twenty-five 'til nine
Gemütlicher Leseabend. In bed with Augusten Burroughs. Seine Schilderungen über den Alkoholentzug und das Leben danach sind längst nicht so trocken, wie der Titel [Dry] vorgibt. Nach Mitternacht klingelt es an meiner Türe. Einmal, zweimal, dreimal. Dann bei den Nachbarn. Die Gegensprechanlage ist so konzipiert, dass ich nichts höre, wenn mehrere Klingeln hintereinander betätigt werden. Ich schaue aus dem Fenster, höre aber nur, wie jemand gegen die Türe poltert. Einige Zeit später erbarmt sich jemand des nächtlichen Ruhestörers und drückt auf den Türöffner. Der Aufzug hält in jedem Stockwerk. Eines unter mir steigt jemand aus. Der Hausflur ist dunkel. Was auch immer diese Person da treibt, sie scheint ziemlich verloren zu sein. Etwas später erneut der Klang des Aufzuges. Ich ahne, wer das sein wird. Klopfen an der Türe meiner Nachbarin. Immer und immer wieder. Schließlich reißt mir der Geduldsfaden und ich gehe an meine Wohnungstüre. Da sitzt sie zusammengekauert auf ihrem Fußabstreifer. Die Luft ist alkoholgeschwängert.
Was ist los? frage ich, die Antwort bereits ahnend. Ich komm nicht rein. Ich frage sie nach einem Schlüssel. Sie behauptet, die Türe ließe sich nicht öffnen und beginnt, in einer Hand den Schlüssel, in der anderen das Schloß ertastend, erfolglos beide zu vereinen. Ich nehme ihr den Schlüssel aus der Hand. Das Schloß gibt nach. Als ich die Türe öffne, steht sie auf, nur um sofort rückwärts umzufallen. Der Kopf schlägt auf die Kante der Treppe. Sie hat Glück, wie so viele Besoffene. Ich erinnere mich an die Szene auf der Straße. In letzter Zeit ist sie ziemlich oft betrunken. Oder ich bin für das Thema einfach sensibilisiert. Ich packe ihre Sachen und stelle sie in den Flur. Dann helfe ich ihr hinein. Einige Zeit poltert es noch bedenklich hinter der Wand, die uns trennt. Schließlich kehrt Ruhe ein.

Meine Güte, so möchte ich niemals werden. Erbärmlich ist das. Sehr erbärmlich.

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Das Ende von Krankheiten ist erbärmlich, wenn sie nicht enden wollen. Krank zu sein nicht. Erbärmlicher ist es, dass sich manchmal niemand findet, der sich eines Kranken erbarmt.

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Mav, wenn sich einer helfen lassen möchte, dann findet er auch Hilfe. Es gibt heutzutage Angebote professioneller Natur in großer Vielfalt und sie sind leichter zugänglich denn je.

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Stimmt. Darum ist es doppelt schön, das Sie trotzdem etwas getan haben... Sich in diesem Fall jemand gefunden hat, der die Tür geöffnet und nicht weggesehen hat.

So wollte ich meinen Kommentar verstanden wissen.

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Sorry Lady, aber erbärmlich sind für mich Menschen wie Sie; die an menschlichen Schicksalen vorrübergehen wie an irgendeiner beschissenen Salatbar in der City. Dieses Statement passt so gar nicht zu Ihnen …

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Ach ja? Ich bin erbärmlich?
Wissen Sie, was es bedeutet, ständig mit Alkoholismus konfrontiert zu sein? Koabhängig zu sein? Mit einem alkoholkranken Vater aufgewachsen zu sein? Menschen um sich zu haben, die lieber trinken, als ihre Probleme anpacken?
Ich hingegen bevorzuge es, etwas zu tun, anstatt mich zu besaufen.

Nachtrag: Im Übrigen bin ich die Letzte, die vorbeigeht, wenn ein Mensch ernsthaft Hilfe annehmen möchte. Aber ich werde den Teufel tun und die Welt retten wollen.
Sie vermuten ins Blaue, ich würde vorbeigehen? Da könnte ich glatt ins Blaue vermuten, Sie hätten ein Alkoholproblem. Tue ich aber nicht, weil das reine Spekulation ohne Basiswissen wäre.

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Zu Ihrer ersten Frage: Ja.
Zur zweiten und dritten: auch ja.
Und die vierte: dito.

Und dass Sie nicht die Welt retten sollen, versteht sich von selbst. Tue ich auch nicht. Und ins Blaue vermutete ich; ja. Mit ihrer Aussage haben Sie mir keine andere Möglichkeit gelassen. Vielleicht überdenke ich das jetzt.

Sie vermuten richtig; aber ich bin mir sicher, Ihnen fehlt tatsächlich das Basiswissen …

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Danke für Ihre Ehrlichkeit. Und Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Weg. Und Stärke.

Mit "Basiswissen" meinte ich übrigens, dass ich nichts über Sie weiß, weil ich Sie nicht kenne.

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Danke, Lady. Dafür; und dass wir uns deswegen nicht gegenseitig zerfleischen ...

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@ hace
Wir scheinen unterschiedliche Geschichten gelesen zu haben. In meiner Interpretation hat Frau Klugscheißer in einem Maß geholfen, daß den meinsten Leuten schon zu viel wäre.

Wenn Sie ein wenig tiefer in die Materie einsteigen würden (ich unterstelle einfach mal aufgrund Ihrer Äußerungen, daß dies bisher nicht der Fall war), wäre einer der ersten Ratschläge von Profis, daß Mitgefühl beim Umgang mit Alkoholikern das Problem in der Regel vergrößert.

Im übrigen ist Frau Klugscheißer die einzige mir bekannte Bloggerin, die sich dem Thema überhaupt widmet und persönliche Erfahrungen erzählt. Das finde ich schon sehr hilfreich bei einer Sucht, deren Folgen oft darum so verheerend sind weil das Problem todgeschwiegen wird, von Betroffenen wie Angehörigen. Ich finde das toll und kann ihre harte Aussage gut nachvollziehen. Mitgefühl und Liebe heilen nicht alles. Manchmal können Härte und Strenge, Konsequenz und Verweigerung von Hilfe eben die beste Hilfe sein.

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Viele hätten die Türe nicht mal aufgemacht. (Ich erinnere mich, wie ich hier frisch eingezogen war und prompt der einzige, der sich der verwirrten alten Dame annehmen wollte, die durchs Treppenhaus irrte - und ihren Nachbarn zum Teil seit Jahrzehnten bekannt ist. Kommentar: "Jo, da haben Sie aber Pech...")

Anteilnahme ja, Mitgefühl mit Vorsicht. Das beschwichtigt leider nur den Zustand. Konsequenz ist bei solchen Krankheiten hilfreicher.

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Ich kann mir da meinen Vorrednern nur anschließen, denn Krankheiten wie diese heilt man wohl kaum mit emotionsgetränktem Samaritertum.

Problematisch finde ich jedoch die Sichtweise "wenn sich einer nicht helfen lassen will, dann soll er auch keine Hilfe bekommen".
Natürlich ist es verheerend, einem Suchtkranken unbedingt helfen zu wollen, auch wenn dieser gar nicht das Bedürfnis danach hat. Das ist eher eine Aufgabe für Fachleute.
Nur das Helfenlassenwollen, das ist eben meist nicht da und ich kenne es eben am eigenen Leibe, weil ich selbst im Sumpf gesteckt habe und mir jahrelang nicht bewußt war, daß ich Hilfe hätte brauchen können. Dem Kranken fehlt in der Regel das Bewußtsein für seine Hilfsbedürftigkeit, das ist die traurige Tatsache. Erst wenn man ganz, ganz tief gesunken ist, dann weint man nach der großen Mama, die alles wieder richtet, um dann festzustellen, daß man es selber tun muß.

Ich finde Frau Klugscheißers pragmatische Tat hier durchaus angemessen. Aufhelfen, in die Wohnung helfen, mehr ist nicht und mehr kann nicht und das ist schon mehr als die meisten bereit wären zu tun.

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Heartattack and Vine
Ich sollte ihn mal wieder hören. Jetzt, wo es November wird....

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@brittbee
Ich denke, dass haben wir nicht. Und dass Frau Klugscheißer keinerlei Hilfe walten ließ, habe ich nicht gesagt. Insofern interpretieren wir ihren Text auf einem Level.

Meine Intension, hier überhaupt etwas zu sagen, bezog sich einzig und allein auf ihren Schlusssatz. Nicht so zu werden wie andere – was auch immer aus ihnen geworden ist, kann ich für mich nur hoffen und wünschen; jedoch würde ich es nicht als erbärmlich ansehen, oder als widerlich oder abartig. Ein Alki ist ein Alki; er ist mit Sicherheit krank, kaputt und gebrochen oder was auch immer. Dennoch ist er in meinen Augen nicht erbärmlich. Tief in mir drin tut er mir leid; wie auch Fixer mir leid tuen oder, um den Bogen mal etwas weiter zu spannen, Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, oder kleine Mädchen, die von ihren eigenen Vätern gefickt werden.

Und mir geht es hier auch nicht um Mitgefühl für Suchtkranke; darüber zu diskutieren würde bedeuten, Eulen nach Athen tragen. Um was es mir geht ist einzig und allein die Aussage: So möchte ich niemals werden … Erbärmlich der Mensch …

Im Übrigen brauche ich nicht in die Materie einsteigen; nicht in diese und auch nicht in die all der anderen Drogen. Sie sind mir seit Jahrzehnten bestens vertraut. Ebenso wie Suchtzentren, Therapien und Klinikaufenthalte, bei denen man ans Bett gefesselt wird um nur ja nicht den ganzen Laden nach H zu durchsuchen, oder nach ein wenig Koksstaub auf dem Lokus. Oder wenigstens nach einem Flachmann; weil es einfach unerträglich ist, unbedröhnt in einem voll gekotztem Bett liegen zu müssen weil es deine Therapeuten mal wieder versäumt haben, es frisch zu beziehen.

Aber Sie liegen richtig wenn Sie sagen, dass Härte und Strenge mit die beste Hilfe sein kann. Und ohne Ihnen jetzt zu nahe treten zu wollen: Haben Sie Härte und Strenge, Konsequenz und Verweigerung jemals wirklich erleben dürfen? Möglicherweise sogar in einer Entschlossenheit, die nicht mehr zu toppen ist? Lebenserfahrung von Profis nehme ich immer sehr dankbar auf …

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