Mittwoch, 13. Dezember 2006
Sing Hallelujah
Seit ich denken kann, ist Weihnachten mit einer Art Melancholie belastet, die mir zu verscheuchen nie gelang. Mag sein, das kommt von einer besonders leutseligen Gemütsverfassung, die Weihnachten ja gemeinhin hervorruft. Mag sein, mein Herz erinnert sich an die vielen dunklen Tage, die wir zitternd vor Angst oder im Streit verbrachten. Doch da gab es auch andere vorweihnachtliche Momente. Die nämlich, an denen mir meine Mutter bayerische Lieder beibrachte, die wir dann gemeinsam sangen. An zwei erinnere ich mich noch - wenn auch mit Gedächtnislücken:

Es wird scho glei dumpa,
Es wird scho glei Nacht.
Drum kimm i zu dir her,
Mein Heiland, auf d'Wacht.

Fortsetzung hier. Gefunden von Gitana

Es hod se scho aufdoa des himmlische Tor,
de Engalan de gagalan ganz haufenweis hervor,
de Engalan de gagalan, de macha Purzigagalan,
boid auffi, boid owi, boid hin und boid her,
boid üba se, boid untase, es gfreid se umso mehr.
Halleluja...


Als meine musikalische Fortbildung gedieh und mir das Lesen von Noten keine Mühe mehr bereitete, glaubte ich, aus der Not des alljährlichen "spiel doch mal was vor" eine Tugend machen zu können, indem ich meine Rudimentärfamilie in die Geheimnisse des mehrstimmigen Singens einzuweisen versuchte. Bis zu diesem Zeitpunkt sangen alle mit Inbrunst, doch nicht immer in der vorgesehenen Tonlage.

Zunächst analysierte ich das gegebene Stimmmaterial. Da war meine Mutter, deren Laienstimme zwar keinen besonders großen Umfang aufwies, die jedoch in Wort und Klang sehr sicher schien. Ihre Mutter wiederum konnte mühelos auch noch dritte und vierte Textstrophen wiedergeben, driftete aber stimmlich schnell in die untere Lage ab, was zur Folge hatte, dass sie die Melodie als ostinaten Bass interpretierte. Der angeheirateten Großmutters Text wiederum wies erhebliche Gedächtnislücken auf, wobei sie mit glockenklarer Stimme auch noch höchste Höhen erreichte und so aller Anwesenden Hämmerchen und Ambosse in teils schmerzliche Schwingung versetzte, denn auch ihre Liedinterpretation war eine ganz eigene, ganz zu schweigen von der angeheirateten männlichen Fraktion, die sich äusserst mürrisch sowohl in Text, als auch Ton zunehmend vergriffen.

Mir oblag das Anstimmen eines jeden Liedes, wobei ich den Tonumfang genau zu beachten hatte. Stimmte ich ein Lied zu hoch an, bedeutete dies den Verlust von textsicheren Stimmen und zwei einsame Streiter in den oberen Etagen, die in gängigen Platzhaltern wie lalala oder handelsüblichen Vokalen intonierten. Wurde das Lied von mir zur Freude des ostinaten Basses zu tief angesetzt, verloren die Worte jegliche Ähnlichkeit mit ansonsten bekannten Weihnachtsliedern. Mit Schrecken denke ich an die entsprungene Ros, die oft in musikalisch unendlichen Tiefen versank, ebenso wie der See in den Kehlen erstarrte, wo noch kurz zuvor der Schnee leise niederrieselte. Eine ganz eigene Herausforderung war die Tochter Zions, die recht einsam jauchzte und deren Friedensfürst gleichzeitig manchmal an Ivan Rebroff erinnerte. Triviale Vorschläge wie die Lieder über kommende Kinderlein und grüne Tannenbäume wurden sofort abgeschmettert. Nein, man wollte anspruchsvollere Texte singen. Ein heikles Unterfangen also, dessen Tragweite gelegentlich mehrmaliges Unterbrechen im Verlauf der musikalischen Darbietung erforderte.

Unterbrechungen waren auch zwischen den Strophen nicht unüblich. Nach so gut wie jeder Strophe stellten der angeheiratete Freund meiner und der ihrer Mutter abwechselnd einen Antrag auf Öffnen des Geschenkematerials, was von meiner Mutter entweder mit strafendem Blick kommentiert oder aber lautstark abgewiesen wurde. Nein, es mussten schon mindestens vier Lieder mit jeweils drei Strophen sein, bevor man sich die Geschenke verdient hätte. Obgleich die teilweise katastrophale Darbietung eine Belohnung nicht zwingend rechtfertigte, war mir das gemeinsame Singen immer wichtiger als jegliche Geschenke oder das darauffolgende Essen. Eine Minderheitsregierung tut sich jedoch schwer in der Durchsetzung und so wurde das gemeinschaftliche Singen alsbald zugunsten der Gaben unter dem Baum eingestellt, nicht ohne jedoch zu versprechen, sich nächstes Jahr besser vorzubereiten.

Zu diesem Zwecke kopierte meine Mutter im nächsten Jahr Texte bereits im November und verteilte sie an die Verwandtschaft, die nun selbige auswendig lernen sollten. Eine Woche vor Weihnachten probte ich mit meiner Mutter das zweistimmige Singen einschlägiger Weihnachtslieder und es funktionierte mit Unterstützung eines Tasteninstrumentes einigermaßen gut. An Heiligabend sollte die Premiere stattfinden, der wir entgegenfieberten. Alles fing harmlos wie immer an. Einer schlug ein Lied vor, ich stimmte es an und die Verwandtschaft fiel mit ein. Nach den ersten Takten überließ ich die Führung der Hauptstimme meiner Mutter und stimmte leise in Terz- und Quartabstand eine zweite Melodie an. Sogleich kam die Hauptmelodie gefährlich ins Wanken. Mutter verlor die Grundharmonie und fuhr Slalom zwischen Dominante und etwas, das nach stark vermindertem und Subdominantquintsextakkord klang. Ein Trugschluß war nicht nur die Annahme, sie könne alleine die Melodie führen, sondern auch auf die Unterstützung der anderen zu hoffen. Sobald keine starke Stimme mehr die Führung übernahm, brach musikalische Anarchie unter den Sängern aus. Jeder sang in einer beliebigen Tonart, bis nach und nach alle verstummten und sich verwundert ansahen. Ich hatte vergessen, dass das Klavier bei den Proben einen nicht minderen Anteil an der Führungsrolle hatte. Da das Instrument in meinem Zimmer stand, der Weihnachtsbaum aber im Zimmer am anderen Ende des Flures, erklärte ich das Experiment mehrstimmiges Singen von Weihnachtsliedern mit einer musikalisch ungebildeten Rudimentärfamilie für gescheitert und schlug sofortiges Entfernen aller Verpackungsmaterialien von den unter dem Baum liegenden Kartons vor. Nach zwei weiteren, von Mutter eingeforderten, katastrophalen Versuchen fügte auch sie sich dem Wunsch der Mehrheit, nicht ohne mir das Versprechen abzunehmen, dieses Protokoll des Scheiterns nie zur Belustigung von Freunden und Bekannten preiszugeben.

In den folgenden Jahren entkam ich durch Flucht in die Arbeit den musikalischen Darbietungen meiner Familie, doch kein Weihnachtsoratorium, das ich gegen Entlohnung anstimmte, und kein Ort der Welt konnten mir das geben, was einst meine Mutter mir mit dem ersten Erlernen bayerischer Weihnachtslieder gegeben hat. Der Verlust der Lieder bedeutet gleichzeitig ein Verlust von Kindheit. Das damit verbundene Gefühl von Geborgenheit und Familie konnte auch durch oben beschriebene alljährliche Bemühungen nie mehr erreicht werden.

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Sonntag, 1. Oktober 2006
Everything is alright on a Saturday night
Samstagabends 17.00. Ich habe noch nichts vor. Oh mein Gott, ICH HABE NICHTS VOR!. An einem Samstag, wo alle Welt unterwegs ist. Pärchen schlendern heute demonstrativ Schaufenster von Einrichtungsläden ab, heimeln vor dem Fernseher oder treffen andere Pärchen. Der Rest nennt sich Singles und beginnt um diese Uhrzeit langsam zu hyperventilieren. Jedenfalls solche ohne konkrete Abendgestaltung. Das ist wie am Ende des Jahres. Die Hyperventilationsphase beginnt um den 30. November und mündet am 30. Dezember in Resignation. Wer da noch keine Pläne für Silvester hat, bleibt trotzig daheim. Ist ja auch schön, so ein ruhiges Silvester, so ohne Feuerwerk, Gesellschaftsspiele und das ganze Brimborium. Der erste Vorsatz fürs neue Jahr lautet dann, sich rechtzeitig um die nächste Silvesterparty zu kümmern.

Samstage sind kostbar. Es gibt nur 52 davon im Jahr. 52 Chancen auf einen Lebensrestbegleiter oder einen Fickpartner, je nachdem. Und was suche ich? Je nachdem. Vor allem aber nette Gesellschaft. Nicht dass ich meine eigene nicht schätzen würde. Auf Dauer wird die aber langweilig. Samstag also. Und nun?

17.30 Da war doch dieser Typ, der mir mal seine Telefonnummer aus einem ganz anderen Grund gegeben hat. Ich könnte doch mal nachfragen, ob der schon was vor hat. Geht nicht, weil ich von dem ja überhaupt nichts weiß. Nicht mal, ob er Männer oder Frauen bevorzugt. Egal, schließlich will ich mich nur nett mit ihm unterhalten. 17.31 Erst mal Wäsche aufhängen. Telefonieren kann ich hinterher immer noch. 17.38 Die Wäsche hängt. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. Wenn ich jetzt anrufe und der hat eine Freundin, kann ich ihm nie wieder ins Gesicht sehen, ohne meines zu verlieren. Der denkt doch bestimmt, ich will ihn angraben. Will ich auch. Das soll er aber nur denken, wenn er keine Freundin hat. Erst mal eine Runde Solitär spielen. Wenn ich löse, rufe ich an. 17.45 Gelöst. Der hat bestimmt schon was vor. Nur langweilige Leute haben samstags noch nichts vor. Wenn ich jetzt anrufe, denkt er, ich wäre langweilig. Das will ich nicht. 17.50 Ich könnte ihm erst mal eine SMS schicken. Ist viel unverbindlicher als telefonieren. Ich gebe den Text ein. Soll ich jetzt senden? Ich frag mal Frau Solitär. Wenn ich löse, schicke ich ab. SMS als Entwurf gespeichert 17.55 Nicht gelöst. Ist auch besser so. Der hat ganz bestimmt eine Freundin. Oder einen Freund. Wenn ich nicht endlich mal nachfrage, werd ichs nie erfahren. Erst mal eine Zigarette rauchen. 18.01 Zigarette geraucht. Irgendwo mal gehört, man sollte jeden Tag was tun, wovor man sich fürchtet. Das wäre DIE Gelegenheit. Mal drüber nachdenken. 18.20 Nachgedacht. Spruch klingt gut. SMS immer noch in den Entwürfen. Alles Kinderkacke. Bin ich 15 oder was? Der Knopf ist gedrückt. Na also, geht doch. Huch, die SMS ist weg. Gesendet. Mist. Mistmistmist. 18.21 Das Handy piept. Die Nachricht wurde empfangen. Mistmistmist. 18.30 So langsam könnte er sie gelesen haben. Wie wär´s mit einer Reaktion? Der wundert sich sicher erst mal. Was soll er auch schreiben, während er mit seiner Freundin auf der Couch sitzt. Hoffentlich sitzen sie noch auf der Couch. Klar, ist doch viel zu früh fürs Bett. 18.51 Man kann innerhalb von 20 Minuten etwa dreissig Mal sein Handy checken oder man kann etwas sinnvolles tun. Beides beschleunigt nicht zwingend den Reaktionsprozess der kontaktierten Person. Das weiß ich inzwischen aus Erfahrung. 19.05 Der meldet sich nicht. Der meldet sich nicht mehr. So, jetzt hab ich den Salat. Kann den Abend damit verbringen, mir eine Ausrede für das nächste Zusammentreffen zu überlegen. Vielleicht überlegt er noch. Männer brauchen da bekanntlich etwas länger. 19.20 Oh Gott, hoffentlich meldet er sich heute nicht mehr. Ich bräuchte mindestens zwei Stunden zum waschen und legen. Und dann wäre da noch die Kleiderfrage. 19.30 Ich hab´s! Ich sage einfach, ich wollte mit ihm über eine Idee sprechen. Die Idee ist zwar schon zwei Wochen alt, das weiß er aber nicht. Eigentlich will ich immer noch mit ihm über die Idee sprechen. Heute Abend wird daraus wohl nichts mehr. 19.52 Mist, die letzten zwanzig Minuten vergessen, das Handy zu checken. Wenn er jetzt geschrieben hat... 20.01 Ich nehme mir fest vor, mich nicht für die SMS zu schämen. Da steh ich doch drüber. No risk, no fun. Die M. hat auch gesagt, ich solle dranbleiben. Und der A. meinte kürzlich, ob schwul oder nicht ließe sich rausfinden und wenn nicht ich, wer dann. Ha! Mir doch egal, was der von mir denkt. Ich war jedenfalls mutig. 20.14 Was denkt der eigentlich, wer er ist? Sowas unhöfliches ist mir schon lange nicht mehr untergekommen. Einfach nicht reagieren. Man kann es sich auch leicht machen. Solche Typen können mir gestohlen bleiben. Aber sowas von. 20.35 Wenn er bis in fünf Minuten nicht geantwortet hat, ist er für mich gestorben. 20.40 Ich gebe ihm noch zehn Minuten. 20.51 Ich bin einfach nicht sein Typ. Genau das wirds sein. Kein Wunder mit DEM Hintern. Oder er ist doch schwul. Oder liiert. Hallo, kann mal einer diese Endlosschleife abschalten? 21.10 Aus heute Abend wird nichts mehr. Aus mir auch nicht. Ich geh ins Bett und träume mir das zusammen, was ich mit ihm gemacht hätte. Wenn nur alles im Leben so einfach wäre.

So lässt sich ein Samstagabend durchaus spannend gestalten. Spannender jedenfalls als Fernseh- oder Kneipenunterhaltung. Ist auch viel gemütlicher mit einer Flasche Wein daheim. Und dieses Jahr hat noch 13 Samstage. Apropos, was mache ich nur nächsten Samstag?

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Montag, 11. September 2006
She said “Hello, hey Jo, you wanna give it a go?”
Am Wochenende wird endlich mal wieder um die Häuser gezogen. Mal so richtig die Sau rauslassen. Oder das kleine Ferkel. Je nachdem. Soweit der Plan. Die Klamotten gebügelt, das Gesicht verspachtelt, aufs Radl geschwungen. Doch wohin des Weges? Das Durchschnittsalter der Clubs überschritten, das der gediegenen Tanztees noch nicht erreicht, für Ü30 Resteficken zu schade. In einer hohlen Gasse erleuchtete Scheiben. Drinnen großer Andrang hohler Hirnmasse. Wenigstens falle ich dort nicht auf. Könnte man meinen. 20jähriges Bestehen wird gefeiert. Die Musik ist deutlich älter. Das Publikum auch. An der Bar entsteht gerade eine kleine Lücke, in die ich mich hineindrücke. Hohes Aufkommen an schmalen blonden Wesen. Somit falle ich aus dem Raster und doch auf. Mein einziger Trost die Aussage meines Friseurs, ich sei dunkelblond. Hilft jetzt aber nicht wirklich, weil ich mehr als einen Gesichtsausdruck draufhabe. Die müssen - im Gegensatz zu mir - nur repräsentieren. Als Grüppchen lässig in der Ecke stehen genügt schon. Soviel Schönheit erträgt mein Selbstbewusstsein heute Abend nicht. Ich wende mich von den Püppchen ab und meinem Wodka Tonic zu. Hinter mir hat die Stimmung ihren ersten Höhepunkt erreicht. Es wird wild getanzt. Wie man halt wild auf einer Stelle tanzen kann. Ist alles Interpretationssache. Ich fühle es jedenfalls an meinem Rücken auf und ab rubbeln. Auf halbem Fuß wippe ich ein wenig mit. Der andere schwebt frei über dem Treppenabsatz. Mir wird langsam klar, warum dieser Platz an der Bar noch frei war. Zu irgendwas muss das ständige Tanztraining ja gut sein. Die Balance hält sich leichter als die Contenance.

Während ich mich auf die unglaublich interessante Musterung der Thekenoberfläche konzentriere, scheint einer der Gäste mit mir Kontakt aufnehmen zu wollen. Auf den Eiswürfel in meinem Ausschnitt reagiere ich nicht. Pubertäres Spielchen. Erst als ich mich unbeobachtet wähne, schüttle ich das kalte Nass aus dem BH. Es tropft in den freischwingenden Schuh. Mit soviel Selbstbeherrschung haben die Herrschaften hinter mir nicht gerechnet. Ein zweiter Versuch mittels Schultertippen wird gestartet, dann ein dritter. Keine Reaktion, nicht einmal ein leises Zucken. Gott, bin ich eine coole Sau. Und so fad. Nach angemessener Zeit drehe ich mich um. Gut, dass ich inzwischen unterhalb der Stufe stehe. So kann mich der Typ hinter mir auf Augenhöhe ansprechen. Der steht nämlich noch oben. Die verbale Kontaktaufnahme gestaltet sich im Gegensatz zur nonverbalen origineller. Deshalb verzeihe ich ihm auch die Frage, was ich so mache. Ich denke, antworte ich wahrheitsgemäß. Darauf fällt selbst einem Münchner Original nicht mehr viel ein. Kann er nicht wissen, dass meine Stärken auch Abwürgen leichter Konversation beinhalten. Viel mehr würde mich ja ein anderer aus der Gruppe seiner Bekannten interessieren. Der ist ein wenig zurückhaltend, ernsthafter als die anderen. Sowas weckt Mutterinstinkte. Es wird beschlossen, die Lokalität zu wechseln. Man integriert mich in die laufenden Verhandlungen. Sehr rücksichtsvoll.

Auf dem Weg zur Maximilianstraße fragt Moni, ob die Herren mehr als zwei Sätze mit mir gewechselt hätten, bevor sie mich mitschleppten. Sie könnte aber auch Marion heissen oder Maria. Halt irgendwas mit M. Natürlich ist sie blond. Ich wittere weibliche Missgunst. Was sie nicht weiß, dass einer der Herren sich ihres verwaisten Handys angenommen hat. Ich weiß es, sage aber nichts. Das Münchner Original und der ernsthafte Typ radeln neben mir, Moria vor uns her. Vielleicht war ihr Repertoire nach dem zweiten Satz erschöpft. Vielleicht wollen die Herren aber auch nur von meiner Radlfunzel profitieren. Unwahrscheinlich, denn der volle Mond knallt sein Licht auf die Münchner Schickeria. An der nächsten Lokalität angekommen taut der ernsthafte Typ so richtig auf. Es entwickelt sich zwischen uns ein Gespräch über die Wichtigkeit, ernsthaft zu sein. Sätze gefolgt von langen Pausen. Zum Nachdenken. Drei werden es insgesamt schon gewesen sein. Ganz beachtlich für diese Uhrzeit. Jemand drückt mir ein Glas in die Hand. Gläser sind auf der Nobelmeile immer zu klein. Oder zu wenig drin. Oder ich zu schnell. Es dauert nicht lange, da hänge ich dem ernsthaften Typ am Hals. Oder er an meinem. Vermutlich hat mich nur jemand gestoßen. So genau weiß ich das nicht mehr. Sowohl die Balance als auch meine Contenance haben sich soeben verabschiedet. Spätestens als der ernsthafte Typ mit der Zunge sehr sorgfältig meine Mundhöhle inspiziert, ist das mit der Moral auch gegessen. Wären wir zwanzig Jahre jünger, hätten sich mit Sicherheit unsere Zahnspangen verhakt. So aber brauche ich mir keine Gedanken um die neuen Inlays zu machen. Die sitzen bombenfest. Nein, ganz so schlecht küsst er nicht. Im Gegenteil. Eine gewisse Ernsthaftigkeit lässt sich nicht leugnen.

Ich bestelle neu. Reden macht durstig. Knutschen auch. Die Halbwertszeit meines Getränkes sinkt drastisch zu fortgeschrittener Stunde. Dabei habe ich noch nicht einmal getrunken. Vom Tisch gefallen ist es. Einfach so. Wie von Geisterhand. Könnte aber auch mein Absatz gewesen sein. Ein rechter Scheißdreck ist das mit den niedrigen Tischen in diesen neumodischen Läden. Die Tatsache, dass die Ledersohlen meiner sündhaft teuren neuen Schuhe jetzt Alkohol saugen, wird verdrängt. Man muss Prioritäten setzen. Der Austausch von Körperflüssigkeit hat eindeutig Priorität. Das stärkt das Immunsystem. Was ich zudem verdränge ist eine Ansage des ernsthaften Typen, er müsse am nächsten Tag früh aufstehen und deswegen jetzt heim. Er wiederholt sich dreimal. Jedesmal unterbricht er seinen Satz, um mich zu küssen. Red du nur, denke ich. Solange du deine Zunge unter meinem Tisch.... Als er meine Hand auf seinem Oberschenkel spürt, springt er wie von der Tarantel gestochen auf und geht. Jetzt übertreibt er aber. Ich bin ja selber überrascht, wie die da hingekommen ist. Aber wir sind auch keine Zwanzig mehr. Die Chose war sowas von klar. Sonnenklar sozusagen.

Wir hinterlassen einen recht desolaten Eindruck, die Designersitzgruppe und ich. Ich grinse debil vor mich hin. Was soll ich auch anderes tun. Das Münchner Original sitzt noch neben mir. Er hat ja versprochen, auf mich aufzupassen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass er seine große Chance jetzt gekommen sieht. Ich hingegen sehe da überhaupt nichts. Ganz unterschiedliche Blickwinkel. Sogar im Sitzen. Eine Weile scheint er zwischen Gentleman und Resteficken hin und hergerissen. Dann entlasse ich ihn aus seiner Verantwortung. Wir sind schließlich keine Zwanzig mehr. Ich bin schon groß. Naja, zumindest breit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Darüber komme ich spätestens am nächsten Tag weg. Man hat ja Disziplin. Nicht aber über das Verhalten des ernsthaften Typen. Und heute ist schon Dienstag. Fast. Und ich wieder Zwanzig. Fast. So doof halt.

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Dienstag, 5. September 2006
Girl we'll be just like a bumper car
Gestern, da glaubte ich für einen kurzen Moment wieder an Romantik, an die große Liebe und an ein Schicksal. Starker Tobak, höre ich da die Agnostiker aufschreien. Fürwahr überdosiertes Hollywoodcredo für einen Realisten wie mich. Mit einem kleinen blauen Zettel unter dem Scheibenwischer fing alles an. Das krakelige Schriftbild durchdrang alsbald die dünnhäutige Gedankenblase wie eine Nadel und ließ sie platzen. Eine Telefonnummer sollte ich wählen. Doch nicht etwa, um in den Genuss eines Hormoncocktails zu kommen, sondern um finanzielle Satisfaktion für die Gratisrallyestreifen an meinem Auto einzufordern. Männer müssen wohl erst Sachschäden fabrizieren, um in die Gänge zu kommen.

Da ich derzeit eine humanitäre Phase durchlaufe (so mit Fremde anlächeln, Komplimente machen, Gratisratschläge verteilen, Geschenke verschicken, Sie wissen schon), wollte ich den Schaden auf sich beruhen lassen. Immerhin parke ich selbst französisch, meine Stoßstange sieht dementsprechend aus und das Auto gehört nicht zu meinen persönlichen Devotionalien. Das schadenverursachende Auto war zudem ein Opel und mit Opelfahrern bin ich von Natur aus nachsichtig - nicht wegen opelnder Blogger, sondern wegen Sentimentalitäten bezüglich einst eigenem opelnden Opa. Dieses Angebot wurde heute brüsk aufgrund von Firmenwagenmodalitäten ausgeschlagen. Nun also doch Versicherungssache, und ich verdiene mir an den heissen kostenlosen Seitenstreifen jetzt eine goldene Nase. Ein Beweis mehr für materielle Übergewichtigkeit in dieser Welt. Where is all the romance gone?

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Sonntag, 13. August 2006
Only the lonely
Keine Ahnung, warum der mich die ganze Zeit anstarrt. Ich hab mir schon die nicht vorhandenen Krümel aus den Mundwinkeln gewischt, bin vorsichtshalber mit der Zunge über die Zähne gefahren und schließlich mit dem Finger unter den Augen entlang. Irgendetwas scheine ich an mir zu haben, das die verzweifelten Sucher mit ihren midlifegebeutelten Bierbäuchen anzieht. Kann mir nicht mal der nette junge Herr da in der Ecke zuzwinkern oder der rassige Südländer einen Stuhl anbieten? Nein, die bleiben lieber unter sich, schauen verschämt zu Boden und hoffen so, den gierigen Blicken der umstehenden Damenwelt zu entgehen. Der mir einen Stuhl anbietet, ist schon mehr als midlifegebeutelt. Mit seinem schnauzbärtigen Freund scheint er heute einen sogenannten Männerabend durchzuziehen. Man fährt in die Stadt, setzt sich an eine Theke und trinkt Whiskey-Cola, gefolgt von einigen Weizenbieren. Vielleicht geht ja noch was. Dass die Beiden aber sowas von außerhalb von Zeit und Raum zu sein scheinen, hat ihnen noch keiner gesagt. Ich kann mich gerade noch zurückhalten, diese Aufgabe zu übernehmen. Als ich die Aufforderung zum Tanzen dankend ablehne, erzählt er mir von seiner Frau. Will er damit andeuten, dass er keiner dieser verzweifelten Übriggebliebenen ist? Seiner Ausstrahlung nach zu urteilen, ist er nicht weit davon entfernt.

Übrigbleiben, das ist ein Charaktermerkmal. Es beginnt bei der Mannschaftswahl zum Völkerball und zieht sich durch das ganze Leben. Die durch körperliche oder andere Merkmale Gezeichneten horten sich zu Zweckgemeinschaften. Anonyme Übriggebliebene. Wer hat sich schon ihre Namen gemerkt? Dabei hört man aus Erzählungen über die Schulzeit fast nur von Aussenseitern. Kann nicht sein, denn dann hätte es nie Cliquen gegeben. Auch Übriggebliebene sind eine Gruppe, die sich gerne mit ihresgleichen anfreundet. So lässt sich der Makel leichter ertragen. Hey, ich bin weniger Übriggeblieben als xy. Die Mitleidsmasche lautet am übriggebliebendsten. Keiner will mit mir spielen. Dann geh doch zu Mutti. Irgendwann findet sich für jeden Übriggebliebendsten so eine Mutti, die aus derselben Gruppe zu stammen scheint. Und wieder bilden sich Zweckgemeinschaften.

Was die alle von mir wollen, entzieht sich meiner Kenntnis. Allerdings vermute ich, bin ich der geborene Demotivationstäter. Die Nahrung des Übriggebliebenen heisst Mitleid. Nach jedem harten Schicksalsschlag bekommt er so viel davon, dass er die nächsten Tage problemlos überlebt. Seine Jagdgründe sind aussichtslose Situationen - je aussichtsloser umso besser. So weint es sich gut im Schoße der Gleichgesinnten. Und ich gebe ihnen die Schläge, nach denen sie lechzen. Nein, ich möchte nicht mit dir vögeln, auch wenn du mein Getränk bezahlst. Deine Lebensgeschichte kannst du der Wand erzählen. Komm mir nicht mit Komplimenten, die aus deinem Munde fettiger als Bierteig triefen und steck dir deine Nettigkeiten sonstwohin.

Zwei hat es diesen Abend erwischt. Wahrscheinlich haben sie sich im Anschluß ein Taxi geteilt. Da sitze ich an der Theke, schaue nach rechts, nach links und befinde mich plötzlich zwischen lauter Pärchen. Mist, die Rolle der Übriggebliebenen steht mir so gar nicht. Ausser mir nur noch einer am anderen Ende der Bar ohne Begleitung. Der konzentriert sich so sehr auf sein Bier, dass er nicht mal Zeit zum herschauen findet. Vielleicht sollte ich mal rüber...

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Freitag, 11. August 2006
... but it's only twenty-five 'til nine (2)
Seit einer Stunde la vida loca hinter der Türe meiner Nachbarin. Das Handy habe ich gestern Abend in den Flur gelegt. Dort liegt es immer noch und klingelt lustig in der Weckfunktion auf und ab. Volle Lautstärke. Erst denke ich jaja, die wird ihren Rausch ausschlafen. Doch ein merkwürdiges Gefühl lässt mich nicht los. Ich postiere mich vor ihrer Türe und beginne, im Rhythmus zum verrückten Leben Sturm zu klingeln. Als nach einer Viertelstunde immer noch keine Reaktion erfolgt, gucke ich durch den Briefschlitz. Das Licht brennt. Kleidung und anderes auf dem Boden verteilt.

Meine Gedanken verselbständigen sich. Immerhin könnte es ja sein, dass da mehr dahintersteckt. Was, wenn sie an Erbrochenem erstickt ist? Was, wenn sie Tabletten geschluckt hat? Ich gehe zur Hausmeisterin.
Die sperrt die Türe auf. Das trällernde Handy verfängt sich darunter und verhindert ein Öffnen. Nach etwas Fingerspitzenarbeit betrete ich die Wohnung und klopfe an die Schlafzimmertüre. Keine Reaktion. Ich öffne sie und rufe Hallo? Immer wieder. Keine Reaktion. Sie liegt vollkommen regungslos unter ihrer Decke. Zu sehen ist nur eine Hand, die über den Rand ragt. Gerade will ich zu ihr gehen, rufe noch einmal. Da bewegt sie sich, setzt sich auf und sieht mich aus großen Augen an. Sie ist komplett bekleidet - gestriger Stil. Ich stammle etwas von alles in Ordnung und Sorgen gemacht und verlasse die Wohnung gemeinsam mit der Hausmeisterin.

Gefühl der Erklärungsnot. Ich bin in eine Privatsphäre eingedrungen. Muss ich mir jetzt blöd vorkommen?

Nachtrag: Das Handy klingelt schon wieder. Ich dachte, ich hätte es ausgeschaltet. Verrücktes Leben.
Immerhin ist sie jetzt - was ich so höre - aufgestanden und hat eben die Wohnung verlassen. Geht ja schnell, wenn man sich schon am Vortag anzieht.

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Well I bet she's still a virgin but it's only twenty-five 'til nine
Gemütlicher Leseabend. In bed with Augusten Burroughs. Seine Schilderungen über den Alkoholentzug und das Leben danach sind längst nicht so trocken, wie der Titel [Dry] vorgibt. Nach Mitternacht klingelt es an meiner Türe. Einmal, zweimal, dreimal. Dann bei den Nachbarn. Die Gegensprechanlage ist so konzipiert, dass ich nichts höre, wenn mehrere Klingeln hintereinander betätigt werden. Ich schaue aus dem Fenster, höre aber nur, wie jemand gegen die Türe poltert. Einige Zeit später erbarmt sich jemand des nächtlichen Ruhestörers und drückt auf den Türöffner. Der Aufzug hält in jedem Stockwerk. Eines unter mir steigt jemand aus. Der Hausflur ist dunkel. Was auch immer diese Person da treibt, sie scheint ziemlich verloren zu sein. Etwas später erneut der Klang des Aufzuges. Ich ahne, wer das sein wird. Klopfen an der Türe meiner Nachbarin. Immer und immer wieder. Schließlich reißt mir der Geduldsfaden und ich gehe an meine Wohnungstüre. Da sitzt sie zusammengekauert auf ihrem Fußabstreifer. Die Luft ist alkoholgeschwängert.
Was ist los? frage ich, die Antwort bereits ahnend. Ich komm nicht rein. Ich frage sie nach einem Schlüssel. Sie behauptet, die Türe ließe sich nicht öffnen und beginnt, in einer Hand den Schlüssel, in der anderen das Schloß ertastend, erfolglos beide zu vereinen. Ich nehme ihr den Schlüssel aus der Hand. Das Schloß gibt nach. Als ich die Türe öffne, steht sie auf, nur um sofort rückwärts umzufallen. Der Kopf schlägt auf die Kante der Treppe. Sie hat Glück, wie so viele Besoffene. Ich erinnere mich an die Szene auf der Straße. In letzter Zeit ist sie ziemlich oft betrunken. Oder ich bin für das Thema einfach sensibilisiert. Ich packe ihre Sachen und stelle sie in den Flur. Dann helfe ich ihr hinein. Einige Zeit poltert es noch bedenklich hinter der Wand, die uns trennt. Schließlich kehrt Ruhe ein.

Meine Güte, so möchte ich niemals werden. Erbärmlich ist das. Sehr erbärmlich.

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Freitag, 14. Juli 2006
Kitchen window
Im Sommer lernt man nach und nach seine Nachbarschaft kennen. Fenster sind zu jeder Tages- und Nachtzeit geöffnet, ab und zu steht einer drin. Mein Nachbar von Gegenüber zum Beispiel sitzt gerne lesend im geöffneten Fenster. Anfangs dachte ich, der wäre suizidgefährdet, so freischwebend im sechsten Stock über dem Dach zu sitzen und in aller Seelenruhe ein Buch lesen, während er gelegentlich an einer Kippe zieht. Der hat aber da Übung drin. Nettes Kerlchen, denke ich mir meistens und lass anschließend die Rollos runter.

Nicht so in der letzten Vollmondnacht. Ich geh in meine Küche und will mir grad ne Fluppe anstecken, da seh ich ihn wieder sitzen. Sieht interessant aus im Gegenlicht seiner Zimmerbeleuchtung. Ich wie immer im Lotterdress, schnell vor den Kleiderschrank und was wirkungsvolleres rausgekramt. Danach das Küchenfenster weit geöffnet und mich ganz lasziv auf dem Barhocker vor dem Fenster geräkelt. Geht nicht, denk ich mir, sieht so inszeniert aus. Also schnell überlegt, was ich stattdessen machen könnte. Fingernägel lackieren! Super Idee, rechtfertigt meinen Aufenthalt am offenen Fenster. Übung hab ich keine, weil ich das Zeug hasse. Meistens schmier ich mir über die Finger und seh hinterher wie ein kleines Kind aus, das sich mit Filzstift auf die Nägel malt oder ich kanns nicht abwarten, bis er trocken ist und zerstöre die glatte Oberfläche. Also lass ich es lieber ganz. An dem Abend war mir das egal. Schnell den Nagellack geholt und wieder lasziv hingesetzt (wie schüttelt man lasziv eingetrocknete Lackfläschchen?) War ziemlich schwierig im Mondlicht aufzutragen. Licht wollte ich nicht machen, weil sonst die Illusion futsch ist. Und wie ich so den ersten Nagel in der Mache hab, seh ich ein Mädel an der Türe klingeln. Ich denk noch, wenn das mal nicht Besuch für ihn ist. Kaum gedacht, seh ich die zwei schon im Fenster sitzen. Grimmig hab ich dann die Nägel fertiglackiert. Unterbrechen ging nicht, weil ich keinen Lackentferner mehr im Haus habe. Dann hab ich mich trotzig in den Rest meiner Wohnung zurückgezogen. Nach etwa zwei Stunden wieder in die Küche und vorsichtig nach oben gespäht. Da saßen die immer noch wie Brüderlein und Schwesterlein auf dem Fensterbrett, die Beine aufs Dach baumelnd und quatschten über Gott und die Welt. Meine Güte, der muss noch ziemlich jung sein. Nur Freunde, klar, keine Annäherungsversuche. Haha, dass ich nicht lache. Keine Ahnung, wie lange die da noch so saßen und für Unverfänglichkeiten ein wenig zu laut und zu albern kicherten. Nach einer weiteren Stunde bin ich nämlich ins Bett. Um 3.00 kann man das, ohne als spießig zu gelten.

Heute Nachmittag zieh ich die Rollos hoch. Ach Du scheiße, da oben steht er und starrt direkt in meine Richtung. Und ich obenrum nix an. Der erste Schock legt sich, ich schlüpfe in ein Shirt und schleiche unbemerkt in die Küche zurück. Er immer noch am Fenster. Ich hole meine Brille. Jetzt habe ich erstmalig die Gelegenheit, ihn bei Tageslicht zu sehen. Er mich aber auch. Aus der Küchenecke spähe ich vorsichtig nach oben. Der zweite Schock sitzt etwas tiefer. Da steht der unbekannte Zwilling von [insert name of any fat´n ugly old actor you know]. Kann nicht sein, war der nicht blond? Und wie ich wieder nach oben schau sind sie zu zweit. Aha, Brad Pitt hat Herrenbesuch. Langsam dämmert die Erkenntnis, warum Damenbesuch auch nach Mitternacht nicht landen kann. Der muss schwul sein. Ist ja immer so, entweder schwul oder besetzt. Kein Interesse zählt nicht in die Kategorien, die Frau in Erwägung zieht. Echt jetzt. Da gibt´s sieht zu gut (schlecht) aus, ist zu jung (alt) oder ist bestimmt liiert und ganz zum Schluß ist bestimmt schwul. Mehr ist nicht drin im weiblichen Denkschema. In Zukunft mach ich die Rollos einfach immer unbekleidet auf, dann kann ich mir bald im letzten Punkt sicher sein. Aber er ist sowieso viel zu jung und sieht obendrein zu gut aus. Und ganz bestimmt ist er liiert.

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Sonntag, 9. Juli 2006
Let´s get loud
Die WM ist eine Erfindung der Autohersteller. Früher musste man zum Hupen nach Italien fahren. Selbst die dreckigsten getuneten Karren brüllten gestern mit rostiger Stimme durch die Straßen. Und wo sollte man sonst sein Fähnchen befestigen, wenn nicht am Auto?
Ein Fahrradkonvoi, das wär´s. Deutschlandflaggen als seitliche Abstandsmesser und riesige Presslufttröten ersetzen die kleinen Glocken. So oder so war den meisten egal, wie die WM ausgeht, hauptsache ein Anlaß, um lautstark zu feiern. Silvester ist noch so lange hin.

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Freitag, 7. Juli 2006
Squeeze me but please don´t tease me
Wer schon bei meinen Menstruationstexten meinte, er wolle gewisse Dinge nicht so genau wissen, sollte ab hier nicht weiterlesen. Es handelt sich meist um die Sorte Männer, die unbedingt bei der Geburt ihres ersten Kindes dabei sein wollen, weil sie sich dieses Erlebnis unheimlich beeindruckend vorstellen. Beeindruckend ist es, wenn auch in anderer Weise als antizipiert. Dann wird sich schnell in tiefe Bewusstlosigkeit geflüchtet. Nur die Harten überdauern, hinterher sind sie aber keine Männer mehr, denn Männer denken bekanntlich immer nur an Sex und das ist das Letzte, woran ein Geburtszeuge danach denken möchte. Für Unerschrockene gibt es hier mehr Informationen.

Gestern war ich nach Jahren mal wieder beim Frauenarzt. Wer jetzt erotisierende Schilderungen erwartet, ist hier ganz falsch. Zumindest ich finde es überhaupt nicht erotisch, halb angezogen auf einem unbequemen Stuhl zu sitzen, während mir ein Fremder zwischen meinen Beinen herumwühlt und ich mich bemühe, ihm nicht meine Schwitzfüße ins Gesicht zu strecken. Zugegeben, es gibt Perverse auf jedem Gebiet aber ich gehöre nicht dazu. Als Frau (zumindest habe ich bisher von keinem Frauenarztbesuch eines Mannes gehört, es sei denn, er ist mit einer Ärztin verheiratet) muss man sich zunächst entscheiden, ob es ein männlicher oder weiblicher Arzt sein soll, dem man sich ausliefert. Diese Entscheidung fällt beim ersten Besuch flach, weil man meistens den Arzt der Mutter aufsucht. Der war bei mir männlich, zudem der Vater einer Schulkameradin, die ich nicht leiden konnte und somit unbedenklich. Kurz bevor er in Rente ging, ich jedoch noch weit vom Ende der eisprungbefreiten Phase entfernt war, führte er bei meiner Mutter eine Hysterektomie durch, weil das sein Spezialgebiet war. Danach war er nicht mehr unbedingt der Arzt meines Vertrauens. Irgendwann bin ich in eine andere Stadt gezogen und suchte wieder einen männlichen Gynäkologen auf. Der sah aber viel zu gut aus. Somit war es mir nicht möglich, ihn mehr als zweimal aufzusuchen. Das Dilemma ist hinlänglich aus deutschen Arztserien bekannt. Damit begann meine Verweigerungsphase. Schließlich rennen Männer auch nicht andauernd zum Männerarzt und das Thema Verhütung hatte ich ganz gut im Griff. Zudem fürchte ich den Besuch beim Gynäkologen noch mehr als den beim Zahnarzt.

Kürzlich flatterte mir ein Werbeprospekt meiner Krankenversicherung ins Haus, den ich aufmerksam durchblätterte. Darin wurde mir als Risikogruppe – fortgeschrittenes Alter und Krebs in der Familie (nein nicht als Sternzeichen) - die Krebsvorsorge wärmstens ans Herz gelegt. Das las sich alles sehr verlockend, zumal die abgebildeten Menschen ausnahmslos glücklich schienen. Jetzt musste nur noch der passende Gynäkologe her. Zufällig führen zwei Gynäkologinnen eine Praxis unweit meiner Wohnstätte und so kam es, wie es kommen musste. Über einen Termin wurde man sich schnell einig. Am Morgen des ersten Treffens war die Auswahl der Bekleidung fast so schwierig wie bei einem Date. Das Oberkleid muss schnell entfernt und wieder angezogen werden können, außerdem ist zweiteilig praktischer als einteilig, da man sich – je nach Bedarf – mal obenrum und mal untenrum entblößt, andernfalls jedoch völlig nackt im Untersuchungsraum steht. Frische Unterwäsche ist selbstredend, beachtet werden sollte dabei die Farbkombination von Hose und BH. Gut, wenn der letzte Waschtag nicht so lange zurückliegt. Das erhöht die Chancen auf farbliche Abstimmung enorm. Socken gehen gar nicht. Den Männern haben wir beigebracht, beim Sex diese noch vor ausziehen der Hose zu entfernen, deswegen sollten wir uns ebenfalls daran halten. Es gibt nichts bescheuerteres, als mit nacktem Unterleib dazuliegen und dabei besockte Füße in die Höhe zu strecken. Obwohl mir alle Regeln der Wahl bewusst waren, entschied ich mich für das neue Dirndl. Geflucht habe ich erst, als ich die vielen Häkchen wieder verschließen musste. Der weite Rock erwies sich dennoch als hilfreich, als die Ärztin das Zimmer noch einmal verlassen musste, ich aber schon mit dem Hintern in schwindelnden Höhen saß. So lag ich auf dem Stuhl, den Patientinnen bei der Anmeldung freundlich zunickend und in freudiger Erwartung der Ereignisse, die da auf mich zukommen mögen.

Zuvor wurde ich über jene Untersuchungsmethoden unterrichtet, deren Kosten nicht von meiner Krankenkasse übernommen werden. Nach allem, was ich in letzter Zeit beim Zahnarzt bezahlen musste, konnte mich diese Tatsache nicht wirklich erstaunen. Man darf sich das wie bei der Programmwahl in der Autowaschanlage vorstellen. Einmal Grundreinigung mit pflegeleichtem Shampoo für trockenen Lack aus biologisch aubbaubaren Tiersekreten und anschließend hagelresistente Glanzpolitur aufgetragen mittels Bürstchen aus Achselhaaren nepalesischer Jungfrauen. Ich fühlte mich zunächst von der Fülle des Angebots überfordert. Langsam wich dieses Gefühl einer angeborenen Neugier und ich setzte fleißig Kreuzchen hinter die Zusatzleistungen. Während ich noch ergebnislos nach dem Feld für Spiel 77 suchte, wurde ich auch schon aufgerufen. Das strahlende Gesicht der Ärztin bestätigte die Richtigkeit meiner Wahl. Erst auf dem Stuhl sitzend wurde mir klar, dass jedes Kreuzchen gleichzeitig eine unangenehme Untersuchungsmethode bedeutete.

Während die Ärztin zwischen meinen Beinen verschwand, beantwortete ich brav meinen Alltag betreffende Fragen. Kaltes Metall kommentierte ich mit den Worten „nein, ich kann mir nicht immer aussuchen, wohin ich fliege“ und beim Herumdrücken auf meiner vorsorglich zuvor entleerten Blase antwortete ich „der Aufenthalt in fremden Städten ist nicht länger als zwei Tage“. Erst als ich sie einen dildoähnlichen Stab mit einem Kondom (sicher ist sicher) verkleiden sah, fehlten mir die Worte und sie musste ihre Frage, ob mein Beruf wegen des Jetlag nicht sehr anstrengend sei, wiederholen. Mit diesem Stab, der meine inneren Organe per Ultraschall auf einem Monitor sichtbar machte, begann sie nun, wie mit einem Kochlöffel in mir herumzurühren. Der Vorgang erinnerte mich an die wenigen schlechten Liebhaber meiner Jugendjahre, denen ich „kann ich Dir beim Suchen behilflich sein?“ zuzurufen versucht war. So suchten wir gemeinsam nach meinen Eierstöcken und wurden links schnell fündig. Beim rechten wollte das Bild nicht so recht klar werden. Mit verrenktem Hals einen Blick auf den Monitor erhaschend, unterdrückte ich den anhaltenden Drang, „weiter rechts“ und „tiefer“ zu rufen. Schließlich wurde mir erklärt, man sähe den rechten Ovar nur, wenn auffällige Veränderungen daran festzustellen wären. Da war ich dann doch ein kleines bisschen froh, ihn nicht zu Gesicht zu bekommen.

Schließlich wollte die Ärztin noch meine Brust abtasten. Abtasten sagte sie und begann, eine Brust zwischen beiden Händen zu knödeln. Als sie fertig war, fühlte ich mich, als hätten sich meine Brüste versehentlich im Nudelholz verfangen. Auch dieses Gefühl war mir von nicht erwähnenswerten Bettgeschichten aus meiner Vergangenheit bekannt, nicht aber vom Gynäkologenbesuch. Alle Ergebnisse sollen in einigen Wochen vorliegen. Da ich mir sicher bin, nichts gewonnen zu haben, werde ich mir den Anruf dort sparen, was mir bei der Rechnung nicht gelungen ist. Auf dem Heimweg fiel mir schließlich der Erfahrungsbericht einer Freundin wieder ein. Bei einem Telefonat machte die ihrer Empörung mit den Worten „die blöde Ärztin soll mir gefälligst Antibiotika verschreiben. Glaubt die echt, ich renn den ganzen Tag mit Joghurt zwischen den Beinen rum?“ Luft. Alles, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht schlimmer hätte vorstellen können, ist eingetreten. So schnell wird mich keiner aus der Gilde der Frauenärzte mehr zu Gesicht bekommen. Wozu auch, ich bin kerngesund. Ein guter Freund hätte sich beim Routineanruf seiner Mutter gewünscht, sie nicht „alles, was mir von der Begegnung blieb, war ein Pilz“ über ihre neue Liebschaft sagen zu hören. Solch ein Satz wird ihm nun von mir erspart bleiben.

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