Sonntag, 21. Mai 2006
Yesterday
Gestern war einer der Tage, die unbedingt in die Hirnrinde gebrannt gehören. Schon Schumann sagte Es ist des Lernens kein Ende.
Ankunft am Flughafen Frankfurt. Piktogramme weisen mir den Weg zur nächsten Toilette, auf der ich meine Kleidung wechseln will. Im Anbetracht des einsetzenden Platzregens scheint mir der Rock und die Schuhe unpassend für die vor mir liegende Suchaktion des Café International. Nach drei passierten Piktogrammen verschwinden die entsprechenden Hinweise. Eine Türe mit gleichem Zeichen sucht man jedoch vergeblich. Nachdem ich auf diese Weise zweimal die große Runde durch Terminal A, B und C hinter mich gebracht habe, weiß ich, warum es viele Menschen auf Flughäfen so eilig haben.
Der Harndrang treibt sie durch die Hallen. Irgendwie erinnert mich das Spiel an eine Schnitzeljagd. Auf Anfrage am Infoschalter bekomme ich den Weg zur nächsten Toilette gewiesen, die hoffnungslos überfüllt ist. Ich begebe mich in den Wickelraum. Wenigstens kann ich dort bequem meine Kleidung den Witterungsverhältnissen anpassen. Mehr ist aber nicht drin. Weiter zum öffentlichen Nahverkehr. Ich will eine Streifenkarte ziehen, die gibt’s aber nicht, wie mir die freundliche Dame am Schalter auf hochhessisch mitteilt. Frankfurt übertrifft preislich in Bezug auf Einzelfahrten sogar Münchner Verhältnisse. Auf dem Bahnsteig gibt es nur einen einzigen Routenplan. Der befindet sich zwischen den Gleisen und ist bei eingefahrenem Zug nicht sichtbar. Als ich nachfrage, warum das so ist, vermutet ein freundlicher Herr, die Pläne am Bahnsteig seien zugeschmiert und danach entfernt worden. Ich frage eine Dame, ob die eingefahrene S-Bahn in Richtung Hauptbahnhof fährt. Sie weiß es nicht. Merkwürdig, in Frankfurt scheint das Fahren mit S-Bahnen allgemeine Wochenendbeschäftigung zu sein. Man steigt in eine S-Bahn und fährt ohne bestimmtes Ziel durch die Gegend. Verständlich, bei den hohen Spritpreisen, wäre da nicht der stolze Preis einer Einzelfahrt. Sicher hatte die Angesprochene eine Tageskarte, die sie mal so richtig ausnutzen wollte. Bevor der nächste Zug einfährt, erblicke ich einen Herrn, dem ich mehr Kenntnis unterstelle. Außerdem wirkt er mit den vier Streifen am Jackenärmel auf mich vertraut. Zu Unrecht, wie ich bei kurzer Nachfrage erfahren muss. Auch er weiß nicht, ob die Bahn mich bis zur Konstablerwache bringen wird. Dafür entspannt sich zwischen uns in der fahrenden Bahn ein nettes kleines Gespräch, das ich immer wieder durch hektische Blicke nach oben zum Streckennetzplan unterbreche. Er fliegt für Air France und wünscht mir noch einen schönen Tag. Obwohl er mir keine Auskunft geben konnte, wird mir langsam klar, warum man in Uniform so häufig angesprochen wird. Persönlich vermeide ich es, mich außerhalb des Flughafens in Dienstkleidung zu bewegen, weil ich diese Sorte Gespräche nicht mag.

An der Konstablerwache lerne ich durch ein kurzes Telefonat, dass Bandini in Wirklichkeit gar nicht Bandini heisst. Ich bin verwirrt, habe ich doch bislang alles geglaubt, was im Internet steht. Immerhin hat der Mann einen Plan. Das ist schon mehr, als so manch anderer hat. Er dirigiert mich gezielt in das Restaurant, in dem die anderen Leser bereits warten. Im Café schweift mein Blick suchend über die Menge. Logisch siehste niemanden, denke ich hast ja auch keine Brille auf. Erst als ich jene auf der Nase trage, fällt mir ein, wie unwahrscheinlich es ist, Menschen zu erkennen, die man vorher noch nie gesehen hat. Aus der Menge springt ein hilfreicher Herr auf. Das muss Bandini sein. Tatsächlich, er ist es. Mark bestellt Schweinenackensteak. Geistesabwesend wiederhole ich laut seine Bestellung. Das ist der Moment, wo ihm spätestens Zweifel am Vollbesitz meiner geistigen Kräfte gekommen sein müssen. Wie soll ich jetzt noch erklären, dass ich das Wort exorbitant finde und es laut auf der Zunge zergehen lassen musste? Klingt doch blöd. Klingt nach Rechtfertigung. Insgeheim formuliere ich bereits eine Geschichte über Schweinenackensteak. Ohne Krautsalat. Frau Saint-Phalle legt sich wohl ihren schlechten Eindruck von mir noch zurecht, zumindest erwidert sie wenig auf meinen sprudelnden Redefluss. Wahrscheinlich kommt sie einfach nicht zu Wort. Später beschimpfe ich die Truppe auf dem Weg zum Café unflätig mit den Worten Ihr Spießer, als außer mir keiner bei roter Ampel die dreispurige Straße überqueren will. Das ist der Moment, wo mir klar wird, dass ich wohl nie wieder in Frankfurt zu einer Lesung eingeladen werde. Nein, auch nicht als Publikum. Ausser ich werde von einem Auto überfahren. Dann würden nämlich alle unheimlich nette Sachen über mich bloggen. Sie war mutig und tapfer, doch der Verkehr hat ihrem Ruhmeszug ein jähes Ende gesetzt. Sie gab ihr Leben für eine Lesung... [räusper]

Was ich aber eigentlich erzählen will, sind meine Eindrücke der Abendveranstaltung:
Bandinis Texte eignen sich hervorragend zum Vorlesen. Obwohl nicht geplant, konnten die anwesenden Damen ihn nötigen, männliche Geschlechtsteile zu zeigen beschreiben. Aus der Reihe „mein erstes Mal“ hörten wir von in schwulen Beinfalten sitzenden Zecken und Gott- Arztvertrauen, das ihm entgegengebracht wurde.
Dass Schuhe auf Autobahnen ausgesetzt werden, lernte ich in einem wunderbaren Text von Mark793, der mit seinem Erklärungsansatz das Publikum noch schonte. Frau Saint-Phalle gilt mein absoluter Respekt. Chapeau, werte Frau Saintphalle, für den Vortrag von großen und kleinen Toden [le petit mort]. Als die ersten Anzüglichkeiten erklangen, wusste der ein oder andere Zuhörer vor und auf der Bühne nämlich fast nicht mehr wohin mit soviel Frühlingshormonen im Blickfeld.
Bleibt mir nur noch, mich bei meinem Bettgeber für die Reibekuchen zu bedanken, deren Duft mich um 4.00 morgens nicht mehr aus den Fängen des einsetzenden Schlafkomas reißen konnten und die ich stattdessen vier Stunden später beim zweiten Versuch, mich endgültig meiner Straßenkleidung incl. Schuhen zu entledigen, kalt an meinem Kopfende vorfand. So liebevoll bin ich selten umsorgt worden.

Gelesen:
I believe I can fly (auf myblog)
Die musikalische Reise – Teil 5
Sprich zu Deiner Hand!

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