Freitag, 19. Mai 2006
Die musikalische Reise - Teil 6
frau klugscheisser, 02:03h
Als sie die Augen öffnet, fällt ihr Blick auf eine kleine Spinne, die sich von der Zimmerdecke direkt über ihr abseilt. Mit einem Ruck springt sie aus dem Bett. Draußen ist es noch dunkel. Die Uhr zeigt 4.00. Sie schaltet das Fernsehgerät ein und zappt sich durch unzählige Kanäle. Aus dem Kasten biedern Werbeprofis in adjektivreichen Sätzen ihre Produkte an, Nachrichtensprecher verkünden mit ernster Miene die neuesten Vorkommnisse, unterbrochen von Bildern aus fernen Ländern, in Bezug auf das kleine amerikanische Zentrum des Universums. Sie verspürt den dringenden Wunsch, die Wände gegen Unbegrenztheit einzutauschen. Während sie in ihre Schuhe schlüpft, klingt im inneren Ohr das Thema der Goldbergvariationen von Bach. Dem schlaflosen Grafen hat er sie einst gewidmet. Die interessanteste Aufnahmen des Stückes existieren von Gould, dem Enfant terrible der Klaviermusik. Zwischen der ersten und zweiten Aufnahme liegen mehr als 10 Jahre musikalische Entwicklung. Sie hätte viel darum gegeben, einmal, nur einmal, die Möglichkeit gehabt zu haben, mit Glenn Gould zu sprechen. In ihrer Vorstellung vom einsamen menschenscheuen Künstler sind ihr Goulds Interpretationen ans Herz gewachsen. Ein großer Unterschied zwischen ihr und Gould besteht darin, dass sie immer noch verhasste Aufgaben für Geld erfüllen muss. Sie unterrichtet an verschiedenen Musikschulen, hat nebenbei einen kleinen Lehrauftrag am Konservatorium ergattert und begleitet ab und an die Absolventen der dortigen Streicherklassen. Früher spielte sie manchmal für Geld in Ballettklassen oder in kleinen Bars, doch das ist lange her. Sie kann sich nicht über Geldnot beklagen. Die Eltern sind sehr spendabel. Auf Dauer muss sie sich aus dem Zwang der erkauften Liebesbekundungen lösen. Die Abende als Barpianistin waren so schlecht nicht. Sie lernte dadurch andere Menschen kennen, deren Welt nicht die ihre war. Mit der Zeit langweilten sie die immer gleichen Gesichter, musikalischen Wünsche und persönlichen Geschichten, die man ihr an der Theke unaufgefordert erzählte. Vielleicht war es auch nur der Sumpf von Verzweiflung und Einsamkeit dieser Menschen, die sie dort kündigen ließen. Sicher ist sie sich nicht.
Die Straßen in Manhattan scheinen nie zu schlafen. Sie geht Richtung Central Park. Bilder aus längst vergessenen Kinofilmen steigen in ihr auf. Während sie einen Fuß vor den anderen setzt, träumt sie von Freiheit. Eine Zeit mit frei ziehenden Wolken, Bergen, Meer oder einer bis zum Horizont reichender Wiese. Eine Zeit ohne den schwarzen Folterknecht aber nie ohne Musik. Sie würde gerne wie andere diese Zeit mit neuen Herausforderungen füllen. Für ein Hobby war nie Zeit übrig. Sie möchte wissen, wie es ist, auf langen Brettern einen schneebedeckten Hang hinuntersausen oder unter Wasser zu atmen, wie es sich anfühlt, auf dem Rücken eines Pferdes durch den Wald getragen zu werden oder vom Gipfel eines Berges in den Sonnenuntergang zu schweben. Die Verletzungsgefahr bei derlei Sportarten sei für sie zu groß. Also blieb sie all die Jahre zu Hause. Das Meer und die Berge sah sie nur in Begleitung ihrer Eltern. Manchmal wünscht sie sich, an der Hand eines Mannes durch die Straßen zu laufen oder gemeinsam das Bild eines großen Meisters zu betrachten, so wie damals in Barcelona. Ein einmaliges Erlebnis, das sich später nicht mehr wiederholte. Männer traf sie viele, doch keiner war dabei, der ihre Gedanken nachvollziehen konnte. So trafen sich Körper nur an der Oberfläche. Die Seelen blieben während dieser Begegnungen unberührt. Bei solchen Gedanken fühlt sie sich naiv und kindisch. Natürlich nützt es nichts, sich die Realität schön zu träumen. Aber die Träume halten sie am Leben, lassen sie weitergehen, weiterschauen, weiter sehnen.
Am Rande des Central Park gibt es selbst noch um diese nachtschlafende Zeit Pferdekutschen. Wallache stehen im Gechirr eingespannt mit hängenden Köpfen auf drei Beinen am Rande der vielbefahrenen 59. Straße. Ein erbarmungswürdiger Anblick. Vereinzelte Pärchen ziehen Richtung Eingang Plaza Hotel. Ein Obdachloser schiebt den mit seinen Habseligkeiten gefüllten Einkaufswagen vor sich her. Es ist ihr bewusst, dass ein Nachtspaziergang durch den Central Park von ausgeprägter Dummheit zeugen würde. Da gibt es zu viele Drogenabhängige, zu viel Kriminalität, von der sie bis jetzt nur aus den Medien hörte. Dennoch fühlt sie sich von den dunklen Silhouetten der Bäume magisch angezogen. Es ist das Risiko, der Adrenalinkick, der ihr das Gefühl gibt, noch lebendig zu sein. Auf eine Art ist sie nicht besser als all die Junkies, genauso abhängig und süchtig nach Grenzerfahrungen, von denen sie hofft, eines Tages nicht nur zu wissen, wie Leben funktioniert, sondern das Wissen auch transformieren zu können. Nach den beiden Tagen in New York wird sie ein, zwei freie Tage haben, in denen sie weiterreisen möchte. Die Orte einer unbeschwerten Kindheit will sie besuchen und hoffen, dass ihr das Gefühl zu konservieren und bei Bedarf abzurufen möglich ist. In den nächsten zwei Wochen stehen noch einige Konzerte an. Den genauen Plan hat sie nicht auswendig parat. Dafür ist ihre Agentur zuständig. Vielleicht sollte sie heute im Laufe des Tages dort anrufen, schon allein um herauszufinden, auf welchen Flug nach Deutschland sie gebucht ist. Die Realität hat sie wieder eingeholt und in Ketten gelegt. Vor dem Eingang zum Park kehrt sie um und geht langsam zurück zum Hotel.
Die Straßen in Manhattan scheinen nie zu schlafen. Sie geht Richtung Central Park. Bilder aus längst vergessenen Kinofilmen steigen in ihr auf. Während sie einen Fuß vor den anderen setzt, träumt sie von Freiheit. Eine Zeit mit frei ziehenden Wolken, Bergen, Meer oder einer bis zum Horizont reichender Wiese. Eine Zeit ohne den schwarzen Folterknecht aber nie ohne Musik. Sie würde gerne wie andere diese Zeit mit neuen Herausforderungen füllen. Für ein Hobby war nie Zeit übrig. Sie möchte wissen, wie es ist, auf langen Brettern einen schneebedeckten Hang hinuntersausen oder unter Wasser zu atmen, wie es sich anfühlt, auf dem Rücken eines Pferdes durch den Wald getragen zu werden oder vom Gipfel eines Berges in den Sonnenuntergang zu schweben. Die Verletzungsgefahr bei derlei Sportarten sei für sie zu groß. Also blieb sie all die Jahre zu Hause. Das Meer und die Berge sah sie nur in Begleitung ihrer Eltern. Manchmal wünscht sie sich, an der Hand eines Mannes durch die Straßen zu laufen oder gemeinsam das Bild eines großen Meisters zu betrachten, so wie damals in Barcelona. Ein einmaliges Erlebnis, das sich später nicht mehr wiederholte. Männer traf sie viele, doch keiner war dabei, der ihre Gedanken nachvollziehen konnte. So trafen sich Körper nur an der Oberfläche. Die Seelen blieben während dieser Begegnungen unberührt. Bei solchen Gedanken fühlt sie sich naiv und kindisch. Natürlich nützt es nichts, sich die Realität schön zu träumen. Aber die Träume halten sie am Leben, lassen sie weitergehen, weiterschauen, weiter sehnen.
Am Rande des Central Park gibt es selbst noch um diese nachtschlafende Zeit Pferdekutschen. Wallache stehen im Gechirr eingespannt mit hängenden Köpfen auf drei Beinen am Rande der vielbefahrenen 59. Straße. Ein erbarmungswürdiger Anblick. Vereinzelte Pärchen ziehen Richtung Eingang Plaza Hotel. Ein Obdachloser schiebt den mit seinen Habseligkeiten gefüllten Einkaufswagen vor sich her. Es ist ihr bewusst, dass ein Nachtspaziergang durch den Central Park von ausgeprägter Dummheit zeugen würde. Da gibt es zu viele Drogenabhängige, zu viel Kriminalität, von der sie bis jetzt nur aus den Medien hörte. Dennoch fühlt sie sich von den dunklen Silhouetten der Bäume magisch angezogen. Es ist das Risiko, der Adrenalinkick, der ihr das Gefühl gibt, noch lebendig zu sein. Auf eine Art ist sie nicht besser als all die Junkies, genauso abhängig und süchtig nach Grenzerfahrungen, von denen sie hofft, eines Tages nicht nur zu wissen, wie Leben funktioniert, sondern das Wissen auch transformieren zu können. Nach den beiden Tagen in New York wird sie ein, zwei freie Tage haben, in denen sie weiterreisen möchte. Die Orte einer unbeschwerten Kindheit will sie besuchen und hoffen, dass ihr das Gefühl zu konservieren und bei Bedarf abzurufen möglich ist. In den nächsten zwei Wochen stehen noch einige Konzerte an. Den genauen Plan hat sie nicht auswendig parat. Dafür ist ihre Agentur zuständig. Vielleicht sollte sie heute im Laufe des Tages dort anrufen, schon allein um herauszufinden, auf welchen Flug nach Deutschland sie gebucht ist. Die Realität hat sie wieder eingeholt und in Ketten gelegt. Vor dem Eingang zum Park kehrt sie um und geht langsam zurück zum Hotel.
... comment
schafswelt,
21. Mai 2006, 15:37
Fortsetzung folgt?
Ich kann nicht für alle anderen sprechen, aber ich lese und warte gespannt auf weiteres.
Vielleicht sind sie durch den Mangel an Kommentaren verunsichert, doch ich vermute, das allgemein der Dinge die da kommen geharrt wird. Wozu im laufenden Prozess seinen Senf dazugeben?! Man will den Dingen doch nicht vorgreifen.
Ich persönlich hoffe auf mehr und bewundere sie nur dafür, das sie sich eingelassen haben. Ich hatte den Mut nicht.
Lassen sie sich nicht entmutigen und bleiben sie dran.
Vielleicht sind sie durch den Mangel an Kommentaren verunsichert, doch ich vermute, das allgemein der Dinge die da kommen geharrt wird. Wozu im laufenden Prozess seinen Senf dazugeben?! Man will den Dingen doch nicht vorgreifen.
Ich persönlich hoffe auf mehr und bewundere sie nur dafür, das sie sich eingelassen haben. Ich hatte den Mut nicht.
Lassen sie sich nicht entmutigen und bleiben sie dran.
... link
frau klugscheisser,
21. Mai 2006, 20:54
Klar geht es weiter. War nur die Tage wenig Zeit zum Schreiben. Ausserdem ist es "der Zeitpunkt, an dem man
seinen Text mal am Schlafittchen packen und schütteln muss, damit er mal zur Besinnung kommt" [Zitat D.D.] Ich schüttle heute Abend mal. Die Introduktion ist nämlich vorbei. Jetzt kommt Fleisch.
Das Konzept der 30 Tage werde ich allerdings nicht durchhalten können. Ich werde die Regeln ein wenig lockern und eben 30 Teile schreiben.
Vielen Dank für den Zuspruch!
seinen Text mal am Schlafittchen packen und schütteln muss, damit er mal zur Besinnung kommt" [Zitat D.D.] Ich schüttle heute Abend mal. Die Introduktion ist nämlich vorbei. Jetzt kommt Fleisch.
Das Konzept der 30 Tage werde ich allerdings nicht durchhalten können. Ich werde die Regeln ein wenig lockern und eben 30 Teile schreiben.
Vielen Dank für den Zuspruch!
... link
... comment