Samstag, 17. September 2022
Unstoppable
Damals in der Cola-WG... In memoriam Elle Journelle (Elena)

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Dienstag, 22. Februar 2022
Getting Older
Die letzte große Feier liegt neun Jahre zurück. Ich erinnere mich noch ganz genau an das Treppenhaus in Salzburg, das WG Zimmer und die Küche, in der sich am Ende jede Party einfindet. Du wohntest hier, weil Du in der Stadt eine neue Stelle angetreten hattest. An jenem Abend war ich, wie immer, mit Abstand die Älteste, und insgeheim hatte ich in den Tagen bis zu diesem Geburtstag oft die Jahre überschlagen, die uns trennten. 14 Jahre, in denen ich mengenmäßig vielleicht mehr und vor allem andere Erfahrungen als Du gemacht hatte. Du hast mich immer ganz selbstverständlich akzeptiert und in Deinen Bekanntenkreis integriert. Ich hingegen schluckte an dem Abend schwer an der Alterskröte. Zum ersten Mal hatte ich bei Deiner Geburt nachgerechnet, später immer an den Geburtstagen. Wie alt würde ich sein, wenn Du in die Schule kommst, wenn Du volljährig wirst oder zu arbeiten beginnst? Dazwischen verging die Zeit. Das Ereignis war ganz leise herangeschlichen und hatte mich rücklings überwältigt. Du warst jetzt 30. Und ich?

Da gab es all diese Vorstellungen in meinem Kopf, wie mein Leben aussehen würde, wenn Du 30 wärst. Vielleicht hätte ich eine Familie aber ganz bestimmt eine Partnerschaft, eine größere Wohnung, einen tollen Job, kurzum all das, was man gemeinhin als gesicherte Verhältnisse bezeichnet. Ich hätte Dir gerne Ratschläge gegeben - schließlich macht man das so als ältere Schwester. Nun waren aber meine Verhältnisse alles andere als gesichert und ich nicht in der Position, die man als vorbildhaft beschreiben würde. Im Gegensatz dazu hattest Du die beständigeren Beziehungen, den besseren Job und Träume, die Du mit allen Dir gegebenen Möglichkeiten umsetztest. Sogar die Vernunft war auf Deiner Seite, während in meiner Tasche eine Schachtel Zigaretten steckte, die ich nach langer Abstinenz an diesem Abend zu rauchen plante. Wenn ich mich schon schlecht fühlte, dann wenigstens so richtig.

Obwohl ich mich nie wirklich auf konventionellen Pfaden bewegte, ließen mich gesellschaftliche Konventionen immer wieder über meine eigenen Füße stolpern. Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis ich begriff, dass diese Dinge, die ich zu wollen glaubte, nicht aus meinen Bedürfnissen entsprangen. So verbrachte ich viel Zeit mit Selbstsabotage. Du wirst Dich gerade fragen, wieso ich so viel von mir schreibe, wo heute doch Dein Tag ist. Zu meiner Verteidigung kann ich nur anbringen, dass wir die Welt und die Menschen darin immer in Bezug auf uns selbst begreifen.

Du warst so oft geduldig mit mir, hast mir am Telefon zugehört und in den dunklen Tagen die Kommunikation nie abreissen lassen. In Deiner Güte hast Du mir immer eine Hand gereicht und mich wissen lassen, dass Deine Türe für mich offen steht. Wir waren nicht immer einer Meinung aber immer wohlwollend gegenüber einander. Und das, meine Liebe, werde ich von Dir immer im Herzen tragen. Lass mich Dir im Gegenzug nur eines weitergeben - ja, jetzt kommt die große Schwester zum Zug. Mit Beständigkeit und etwas Glück treibt alles im Leben in eine Richtung, die wir am Ausgangspunkt nicht für möglich gehalten hätten. Der Schlüssel dazu liegt in uns selbst, denn nicht nur die Umstände, sondern zuallererst verändern wir uns ständig. Ich schreibe Dir das heute, weil der bevorstehende Eintritt in eine neue Dekade oft ein mulmiges Gefühl in uns auslöst - vor allem im letzten Jahr der alten. Das Unbekannte macht uns Angst. Vielleicht ist es aber nur die Angst vor unseren eigenen Meinungen und Gedanken. Und wenn Du an unserem Beispiel zurückschaust, ist dieses Älterwerden vielleicht gar nicht so schlimm.

An jenem Abend hatte ich zu Deinem runden Geburtstag eine kleine Rede gehalten, von der ich heute nichts mehr weiß. Im Vorfeld wolltest Du mich davon abbringen, aus Angst, es könnte peinlich werden. Ich weiß nur noch, dass ich vorher fürchterlich viel getrunken, geraucht, mich hinterher in's Waschbecken übergeben habe und dann in Deinem Bett eingeschlafen bin, während die Party um mich herum weiterlief. Das war dann der eigentlich peinliche Part. Die Rede aber fanden alle sehr schön. Im Grunde ist nichts so schlimm wie in unserer Vorstellung. Nicht einmal Geburtstagsreden.

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Montag, 3. Januar 2022
Thank You for Being a Friend
Il Sole bacia i belli


Gerade hatte ich das Studium an der Musikhochschule Stuttgart begonnen. Der alte Bau am Urbansplatz warf einen riesigen Schatten auf die Verkehrsinsel davor, der die Mülltonnenbox aus Waschbeton ganz knapp verfehlte. Dort oben saß ich in der Wartezeit zwischen zwei Seminaren in meinem luftigen Kostüm - Gänsehaut am ganzen Körper - und hielt mein Gesicht in die warmen Sonnentrahlen. Für einen kurzen Moment, gemessen an der Dauer eines Lebens, war ich sorgenfrei. Im Vorbeigehen hörte ich Dich diesen Satz sagen und bedankte mich lächelnd. Das Kompliment war auch für mich - des Italienischen nicht mächtig - zu verstehen. Die Sonne küsst die Schönen.

Natürlich warst Du mir schon vorher aufgefallen. Die fröhliche Dame, die in einem der Sekretariate arbeitete und die man oft bunt gekleidet durch die Gänge laufen sah. Die kleine, rothaarige Frau, die immer lächelte, wenn man ihr im Aufzug oder Treppenhaus begegnete und die für jeden ein freundliches Wort übrig hatte. Noch wusste ich nichts über Dich, weder Deine Zuständigkeit noch Privates. Auf dem Schild neben der Bürotüre im vierten Stock stand Dein Name: Engelbrecht. Den hatte ich mir gemerkt. Am nächsten Morgen legte ich einen selbstgepflückten Wiesenstrauß dort ab. Kurze Zeit später trat ich zum ersten Male ein. Das Zimmer war mehr als nur Arbeitsraum. Es unterschied sich so sehr von all den tristen Räumen im Gebäude. Es war Anlaufstelle für Lehrende, mit denen Du Dich über Kunst, Musik sowie den neuesten Hochschulklatsch austauschtest. Es war Zufluchtsstätte für Studierende, die ihre Sorgen und Nöte mit Dir teilten. Es war Dein kleines Reich, das Du mit Schönem ausgeschmückt hattest und mit Leben erfülltest. Auch ich saß alsbald häufig auf dem Stuhl vor Deinem Schreibtisch und wunderte mich nie, dass Du immer Zeit für meine langatmigen Schilderungen fandest. Ich nahm als selbstverständlich, wofür Du jedes Mal Deine Arbeit beiseite schobst.


Es war Sommer als ich Deinen Lebensgefährten kennenlernte. Ich war ihm gelegentlich in den Gängen der Hochschule über den Weg gelaufen. Ihr wart meiner Einladung zur Vernissage gefolgt, die ich musikalisch umrahmte. Du trugst rote, hochhackige Schuhe zum Kleid. Es gab nur wenige Sitzgelegenheiten, weshalb Du einen Stuhl mit dem Professor teiltest. Und weil man in der Regel nicht auf dem Schoß von Arbeitsbekanntschaften sitzt, musste es sich um den Herzensmann handeln. Auf den ersten Blick überraschte diese Verbindung, denn während Du immer besonders edle Einzelstücke trugst, verortete man seinen Modestil eher in der sogenannten alternativen Szene. Die Diskrepanz in Einstellung und Lebensweise, so erfuhr ich viel später, überbrücktest Du durch das Zelebrieren der Verbundenheit im Kern.


Dann lernte ich auch Deine Tochter kennen. Mich erstaunte, dass sie nur wenige Jahre jünger war als ich. Da wurde mir bewusst, dass Du ja auch im Alter meiner Mutter sein musstest. Fortan verglich ich Euch gedanklich in vieler Hinsicht. Meine Mutter schnitt dabei immer schlechter ab. Du warst so viel liebevoller, herzlicher und mir zugewandter, so hätte ich es mir von ihr gewünscht. In den darauffolgenden Jahren wünschte ich mir Dich des Öfteren an ihre Stelle. Als Freundschaft war mir unsere Verbindung jedoch viel wertvoller als eine komplizierte Beziehung zwischen Mutter undTochter. Das begriff ich am Beispiel Deiner eigenen Tochter. So konnte ich Dir ungehindert mein Herz über Familiäres ausschütten und mich von Dir trösten lassen. Einmal hast Du sogar mir meiner Mutter über mich gesprochen. Allein die Tatsache, dass jemand für mich Partei ergreift, hat mich damals tief berührt und gestärkt.


Wieder fiel mir Dein exquisiter Geschmack auf, als ich zum ersten Mal Deine Wohnung betrat. Liiert war ich damals mit einem sehr jugendlichen und realitätsfernen jungen Mann, der mich aus meiner Rationalität wieder an das Staunen erinnerte. Wir waren zum Teetrinken eingeladen. Deine Wohnräume spiegelten die Liebe zum Detail wieder. Hier ein Bild, dort eine Vase, jeder Gegenstand war bewusst gewählt, nichts zufällig platziert. Alles hatte eine Geschichte, von denen Du einige mit uns teiltest. In einer zweckdienlichen Umgebung aufgewachsen, eröffnete sich mir eine völlig neue Perspektive. Du serviertest Kuchen und andere Leckereien auf schönem Geschirr. Während Du langsam genießen konntest, verschlang ich blitzschnell, was mir schmeckte. Ein andermal waren es Ingwermandeln, die Du in einem Schälchen im Büro darbotest, welches ich zu Deinem Entsetzen im Handumdrehen geleert hatte. Im Nachhinein war mir mein Verhalten mehr als peinlich, doch meine Unbeherrschtheit war nur eine Seite von Unersättlichkeit. Dem gegenüber stand eine immerwährende Leere, die weder mit Nahrung oder Erlebnissen noch Zuwendung zu füllen war. Deine Bereitschaft, mich in meiner Rastlosigkeit anzunehmen, ließ mich für einen kurzen Moment Linderung spüren. Deine immerwährende Geduld wirkte mit der Zeit heilend auf meine getriebene Seele.


Nach einer angemessenen Zeit der Bekanntschaft hast Du mir das vertrauliche Du angeboten. Obwohl es mir zu Beginn zu benutzen schwer fiel, machte mich die Bedeutung der Geste stolz. Alsbald erzähltest Du mir sehr Persönliches, zu dem ich außer Hypothetischem nichts Hilfreiches beitragen konnte. Als der Herzensmann erkrankte und bald darauf starb, wollte ich gerne für Dich da sein, ganz so, wie Du es immer für mich warst. Dieser Aufgabe war ich jedoch nicht gewachsen. Ich hätte Dir so gerne die Schwere abgenommen, die fortan Deinen Alltag überzog. Du wusstest, dass es nicht möglich ist. Damals warst Du so alt wie ich heute. Ich dachte, was für ein blödes Alter es sei, um einen Lebenspartner zu verlieren, da man doch hätte gemeinsam alt werden wollen. Einen geliebten Menschen zu verlieren, passt zu keinem Zeitpunkt in die Lebensplanung. In meiner jugendlichen Vorstellung war es das Alter, in dem man nicht mehr suchte, geschweige denn fand. Später belehrtest Du mich wieder eines Besseren als eine kurze Romanze wie ein Tornado durch Dein Leben fegte und Dich seelisch zerzaust hinterließ. Danach konzentriertest Du Deine Zuneigung auf den Enkel und all die Freundschaften, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Allen gemeinsam war Deine Liebe.


Man müsse auch Freundschaften zu den Jüngeren pflegen, denn die Älteren stürben und dann stünde man wieder alleine da. Eine zunächst irritierende Aussage, erklärte aber Deine Offenheit für die Belange derer, die ihre Füße noch zögernd auf holprigen Wegen positionieren, wo Erfahrenere zielsicher entlangschreiten. Selbst konnte ich mit jüngeren Altersgruppen nichts anfangen und suchte die Nähe zu denen mit einem Vorsprung an Lebenserfahrung. Ich fragte mich, wie man derart besondere Freundschaften findet. Da waren die ehemaligen Studierenden oder Lehrkräfte aus Deiner aktiven Hochschulzeit, Dein ehemaliger Kommilitone, ein Ersatzfamilienpaar aus der Zeit als junge Mutter, aber auch die Frau auf der Straße, der Stammfriseur und der junge Mann aus dem Restaurant, der bald zur wöchentlichen Mittagstischverabredung und später zu einem weiterer Sohn wurde. Du ludst diese Menschen mit offenen Armen in Dein Leben ein, weil Du in ihnen das Besondere sahst. Vor allem die Verbindungen aus jungen Jahren pflegtest Du treu. Als eine lange Freundschaft zu scheitern drohte, fiel Dir das Ende schwer. Doch so groß Deine Geduld auch war, war es für Dich an der Zeit, eine klare Grenze zu ziehen. Unser Kontakt verlagerte sich nach meinem Wegzug auf lange Telefonate, die allmählich seltener wurden. Du gabst mir den Raum, den ich brauchte, ohne mich ganz aufzugeben. Deine Tür stand für mich immer offen.


Inzwischen warst Du pensioniert. Deine Kinder hätten Dir den Computer eingerichtet, doch Du verweigertest den Einzug moderner Kommunikationstechnik in Deine privaten Räumlichkeiten. Briefe und Telefonate waren Dir lieber als elektronische Nachrichten. Der Charme Deiner wohlüberlegten und handgeschriebenen Zeilen waren mit den schnell getippten nicht zu vergleichen. So mussten alle zum Stift oder Hörer greifen, die mit Dir in Kontakt treten wollten. Briefe kann man in Schachteln bewahren, um den Augenblick des Geschriebenen viel später noch einmal zu beleben. Das hat mich immer schon an Handschriftlichem fasziniert. Ich begann nun, in unregelmäßigen Abständen Postkarten an Dich zu senden. Auch sie wanderten bei Dir nach einiger Zeit vom Ansichtsplatz in eine Schachtel. Die Motive waren mit Bedacht gewählt, die Texte hielt ich eher kryptisch. Später formulierte ich verständlicher, weil Du immer nach dem Sinn fragtest und ich mich nicht mehr an meine Gedankengänge erinnern konnte. Jede Karte wurde mit einem Anruf Deinerseits oder einer Gegenkarte quittiert. Dann nahm ihre Frequenz ab, die Anrufe wurden seltener. Wie immer, warst Du auch in diesen Zeiten geduldig.


Während der seltenen Gespräche prallten manchmal unsere unterschiedlichen Ansichten aufeinander. Und alles Gesagte traf tief in mein Herz - auch meine eigenen Worte. Dabei wollte ich nicht verletzen, nur meinen Standpunkt untermauern. Ich wollte mich nicht reiben, sondern sachlich diskutieren, wollte kein Mitleid und keine Ratschläge. Die Gespräche verloren ihre Wärme, fast als ob unsere Beziehung in die Pubertät gekommen wäre. Manchmal weinte ich über die verlorene Verbindung, doch das Verbindende war nie ganz weg. So arbeitete ich meine Traumata an den Nahestehenden ab. Wieder hast Du ausgehalten und ausgesessen. Generell ging es Dir immer besser, während ich in meiner persönlichen Talsohle zu stecken schien. Als ich nicht mehr über mich reden wollte, weil sich doch nur alles wiederholte, berichtetest Du von Deinen täglichen Erlebnissen. Wen Du kürzlich auf dem Markt getroffen hattest, welchen Film Du im Kino gesehen und welches Buch Dir gefallen hatte, dass Du jetzt ein Abo für den Eintritt in die Staatsgalerie besaßt und was alles in der neuen Nebenbeschäftigung geschah, all das erzähltest Du kurzweilig wie niemand anderes. Deine Schilderungen waren so lebendig, ich konnte mir vorstellen dabeizusein.


Allmählich kamen wir uns wieder näher. Ich begriff, dass eine Freundschaft auch solche Phasen überdauert. Man streift alte Sichtweisen wie Haut ab und wächst in neue. Wachstumsschmerzen sind unvermeidbar. Wichtig ist nur, das gegenseitige Wohlwollen beizubehalten. Zwei Mal besuchtest Du mich in meiner kleinen Wohnung. Wir hatten viel Spaß miteinander. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an die Überraschung unter dem Kissen? Ein kleines Präsent, das viel Gelächter hervorrief. Während ich mich auf einen Auftritt vorbereitete, besuchtest Du das Museum Brandhorst. Deine Begeisterung für die riesigen Gemälde von Cy Twombly färbte auf mich ab und lockte mich in die Ausstellung. Auch andere Kunstwerke sah ich nicht ohne ein Lächeln beim Gedanken an Deine Schilderungen. Mehrmals besuchten wir zusammen die Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart, wo wir bei Deinen beiden Lieblingsbildern verweilten. Emil Noldes Zitronengarten verknüpfst Du mit der Zeit Deiner großen Liebe während Der Jurist für Dich Ordnung und kindliche Geborgenheit symbolisiert. Und obwohl ich es zunächst anders wahrnahm, sehe ich jetzt wie in einem Kippbild gleichzeitig meine und Deine Assoziation.


Als ich Dich fragte, welche Orte Du in Europa noch bereisen wolltest, nanntest Du Stockholm. Wir werden die Stadt im Mai gemeinsam besuchen, sofern es die derzeitige Lage erlaubt. Drei Nächte beziehen wir dann ein zentral gelegenes Hotel, erkunden die Straßen, Museen und Sehenswürdigkeiten. Wir werden in Cafés Menschen beobachten und uns den leiblichen Genüssen hingeben. Vielleicht brauchen wir auch ein wenig Geduld füreinander - so genau weiß ich das nicht, denn es wird unsere erste gemeinsame Reise werden. Aber nach einer Weile werden wir darüber lachen und uns nur noch an die schönen Begebenheiten erinnern.


Keiner von uns kann wissen, wie lange wir uns noch austauschen können, uns erzählen und zuhören, uns erinnern und auf ein Treffen freuen. Das ist der Lauf der Dinge. Dennoch fällt es mir unendlich schwer, mir mein Leben ohne Dich vorzustellen, ohne ein abendliches Telefonat, eine gelegentliche Postkarte oder eine Umarmung, ohne Deine Wärme und Fürsorge. Es fällt mir schwer und lässt mich gleichzeitig jede unserer Begegnungen noch mehr schätzen. Du fragtest einmal, welchen Deiner Gegenstände ich gerne als Erinnerung an Dich behielte. Darauf wusste ich keine rechte Antwort. Ich schwankte zwischen einem Schal und einem Deiner Kunstwerke, doch eigentlich wollte ich keine Sache nennen, denn die müsste ich eines Tages gegen Dich eintauschen. Mein Blick fiel auf die Fotografien, die während der Hochschulzeit in Deinem Büro hingen. Andere Bilder trugen bereits einen Namen auf ihrer Rückseite. Das blaue Sofa oder den Lesesessel hätte ich sehr gerne, denn dort verbrachtest Du viele Abende. Das Lautenbild im Wohnzimmer hast Du oft betrachtet, die Figurine einer Tänzerin mit dem Geliebten ausgesucht und im Auto aus der Provence heimtransportiert. Auch heute fällt mir die Entscheidung schwer. Wenn der Tag gekommen ist, hoffe ich, etwas von Dir in Händen zu halten, wozu ich Deine Gedanken oder die Geschichte kenne. Diese Geschichte kann ich dann mit Deinen Freunden teilen. Jeder und Jede von ihnen wird dann einen kleinen Ausschnitt Deines Lebens hüten und Du niemals ganz weg sein. Und ich werde die Nähe derer suchen, in denen Du lebendig bist.

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Samstag, 23. November 2019
Coming Home X


Fünftausend Tage geschrieben, gelesen, gelacht, geweint, gehofft, genossen, geliebt, gehasst, gesessen, gelinkt, gebildert, gezählt, gehört, gesungen, gebastelt, gelaufen, getanzt, getaucht, gedacht, geflogen, gearbeitet, gereist, gelernt, gefeiert, getrunken, gegessen, gesorgt, gemeckert, gefangen, gepasst, gelassen, gelöscht, geärgert, gefreut, gemenschelt.

Fünftausend Tage, das sind hundertvierundsechzig Monate und dreizehneinhalb Jahre. Auf dass die kommenden Tage, Monate und Jahre mit vielen neuen Gedanken, Geschichten und Erlebnissen gefüllt sein mögen, die Ihr hier lest und kommentiert.

Und jetzt Ihr:

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Freitag, 15. November 2019
Coming Home IX
Der Countdown zur 5000 läuft. Dieses Blog gäbe es nicht ohne die, die es lesen und sich manches Mal auch dazu äussern. Zum Jubiläum schreibe ich über meine Gäste, die hier immer mal kommentierten oder es noch tun. Die bisherigen Beiträge: 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7

Meine Personenbeschreibungen sind subjektiv, unvollständig und unwissenschaftlich, quasi homöopathisch aber auch in hoher Dosierung wohlwollend.

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Über die Jahre schrieben hier fliegende Köche, Piloten, Flugbegleiterinnen, Tänzerinnen, Sachbearbeiterinnen, Ingenieurinnen, Wissenschaftlerinnen, Taucherinnen, Journalistinnen, Übersetzerinnen, Musikerinnen, Geistschreiber, Autorinnen, Computernerds und Geschichtenliebhaberinnen Kommentare. Eine ganz bunte Mischung zog dieses Blog an. Die einen wollten lieber mehr Berichte aus dem Flugalltag lesen, die anderen fanden meine Ausflüge in die Tanzwelt interessant und wieder andere konnten sich für meine Geschichte einer musikalischen Reise begeistern. Insgesamt gab es also keinen wirklichen Konsens - alles wollte bedient werden. Keine leichte Aufgabe für so ein kleines Nischenblog. Mit der Zeit trudelten neben Werbe- und Lesungs- auch Verlagsanfragen ein. Man wollte meine Geschichten drucken. Eine Anfrage stellte sich bei Nachforschung als besonders unseriös heraus, denn der ein oder andere war an der Aufhebung meiner Anonymität interessiert, wobei ich nach den öffentlichen Lesungen nicht mehr ganz so anonym unterwegs war. Ich war verständlicherweise vorsichtig, denn meine Arbeitsstelle wollte ich auf keinen Fall für eine dumme Geschichte riskieren, obgleich ich ansonsten meine Großmutter für einen Witz verkauft hätte. Was ich mir jedoch nicht nehmen ließ, war die Freude am Kontaktieren und Besuchen meiner Lesenden, wann immer ich mich in deren Nähe aufhielt.

So lernte ich beispielsweise Bonita Applebum kennen - eine professionelle Ballettänzerin, die mir hier Tipps zum Verbessern meiner Pirouettentechnik gab. Wir absolvierten eine gemeinsame Ballettstunde in Köln, quatschten ein bisschen davor und danach und verblieben beim gegenseitigen Onlinelesen. Als sie nicht mehr bloggte, brach der Kontakt ab. Kürzlich fand ich sie aber auf Igram wieder. Sie macht jetzt irgendwas für's Fernsehen.

Froyline Deville traf ich in Hamburg und mochte sie sehr. Aus ihrem Blog konnte man eine durch Krankheit schwierige familiäre Situation erahnen. Heute hat sie eine neue kleine Familie, die ausser den Katzen auch einen Mann an ihrer Seite beinhaltet. Das weiß ich von FB.

Käthe Feinstrick wohnt ebenfalls in Hamburg. Wenn es zwischen meinen unterschiedlichen Interessenbereichen Überschneidungen gibt, wird die Sache interessant. Einer Kollegin - ebenfalls Autorin - waren ihre Bücher bekannt. Sie plante, Käthe auf der Frankfurter Buchmesse zu treffen. Ich konnte ihr berichten, dass die Hamburger Autorin eine sehr angenehme Gesellschafterin ist.

Die Begegnung mit einer Leserin aus Shanghai und einer anderen aus Sao Paulo kam leider nicht zustande, dafür lernte ich viele in deutschen Cafés kennen. NFF, ein Pilot aus der Schweiz, sendete mir zu meiner großen Freude mal einen Downloadlink für mein damaliges Lieblingsalbum. Das Login wird von mir bis heute benutzt, obwohl ich im Account nie mehr wieder einen etwas gegen Schweizer Franken erwarb. Auf meinem Arbeitsgerät heiße ich deshalb auch Frau Klugscheisser, was schon zur allgemeinen Erheiterung bei Präsentationen führte.

Der Mek hat mich sogar mal in München besucht. Seine Durchreise nutzten wir für eine kleine Stadtführung mit anschließender Brot- und Bierzeit. Zum Glück schreibt er noch gelegentlich, wenn auch sporadisch, derzeit über's Porschefahren oder die Arktis. Er dürfte den meisten bekannt sein, weshalb ich über ihn nichts mehr zur Verlinkung hinzufüge.

Eine weitere Kommentatorin soll hier nicht ungenannt bleiben, denn sie taucht vor allem bei technischen Fragen so zuverlässig wie das Amen in der Kirche auf. Über Arboretum weiß ich eigentlich so gut wie nichts, denn sie verrät ausser der Liebe zu Blumen kaum etwas über sich in ihrem Blog. Allerdings ist sie mir über die Jahre an's Herz gewachsen, genau wie Frau Croco, die sich berufsmäßig in Flora und Fauna auskennt. Letztere habe ich auf dem Rosenfest treffen dürfen.

Den Glam lernte ich zwar nicht persönlich kennen, doch hatten wir einen gemeinsamen Bekannten. Bomec - ein Kollege, dem ich irgendwann zufällig über den Weg lief und ihn sofort erkannte - schrieb vorzüglich, hat sein Blog aber nach einer Weile erst geschlossen und dann gelöscht. Wenn ich mich recht erinnere, wollte er damals ein Buch schreiben. Auch Frau Nessy bin ich zufällig letzten Winter in der Garmischer Partnachklamm über den Weg gelaufen, habe sie aber aus Gründen nicht angesprochen. Jetzt schulde ich ihr eine Stadtführung durch München. Ehrlichkeitshalber muss ich hinzufügen, dass sie hier nie kommentiert hat.

Manche haben nur ein einziges mal in einer ehedem hitzigen Debatte kommentiert. Insgesamt waren es so viele, dass nicht alle erwähnt werden können. Das tut mir auch irgendwie leid, ich merke aber wie die Ideen für diese Serie langsam verebben. Für diese Retrospektive habe ich viel in meinem Blog quergelesen, bin auf Lustiges, Bemerkenswertes und weniger Schönes gestoßen und habe mich gewundert, wie unterhaltsam, teilweise patzig und manchmal strategisch mein Schreibstil war.

Alles in Allem hat's Spaß gemacht. Jetzt sind es noch 8 Tage und danach hoffentlich noch mehr, in denen ich jeden Kommentar lese, nachdenke und etwas dazu äussere. Sollten Sie mich treffen wollen, dann zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren, denn ich freue mich immer über neue Gesichter, die ich mit den entsprechenden Zeilen verknüpfen kann.

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Mittwoch, 13. November 2019
Coming Home VIII
Der Countdown läuft . Noch 10 Tage bis zur 5000. Dieses Blog gäbe es nicht ohne die, die es lesen und sich manches Mal auch dazu äussern. Zum Jubiläum schreibe ich über meine Gäste, die hier über die Jahre kommentierten oder es immer noch tun. Bisherige Beiträge: 1, 2, 3, 4, 5 und 6
Meine Personenbeschreibungen sind subjektiv, unvollständig und unwissenschaftlich, quasi homöopathisch aber auch in hoher Dosierung wohlwollend.

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Gestern hatte Mark793 Geburtstag und bekommt nicht nur deswegen einen Eintrag gewidmet, sondern auch weil er zu den ersten Kommentatoren hier gehört. Kennengelernt haben wir uns auf einer Lesung in Frankfurt. Damals noch auf Myblog unterwegs, hatte ich im blogleseverwaisten München ein paar Lesungen organisiert und wurde daraufhin auch überregional zum Vortragen eingeladen. Ich weiß nicht mehr, wie diese Bewegung entstanden ist, denn eigentlich kann die im Internet veröffentlichten Beiträge jeder überall lesen. Wir wollten wohl ein bisschen Rampenluft atmen und gleichzeitig mal die sehen, die sich sonst nicht zu Wort melden. Jedenfalls hatten wir eine Menge Spaß. Dabei waren ausser Mark auch Bandini und Käthe Feinstrick, möglicherweise noch eine weitere Person. Natürlich traf man sich vor dem Ereignis zur Lagebesprechung. Und da passierte das Nackensteak, eine Geschichte, die ich damals zu erzählen versprach, von der ich heute jedoch nur noch ahne, worum es dabei ging. Herr Mark wurde über die Jahre nicht müde, mich bei Erwähnung des damaligen Treffens oder sonstigem Themenkreis an diese verlorene Geschichte zu erinnern.

Ein Nackensteak - so nannte ich früher die bei vollschlanken Herren über dem Hemdkragen entstehenden Wülste, bei denen ich nie sicher war, inwieweit die auch vom Binden der Krawatten zusätzlich geschoppt werden. Jedenfalls sah ich damals sehr viele solche bei meinen Gängen durch die höhere Klasse. Je weiter vorne sitzend, desto Nackensteak. Vor allem im Sommer vom Schweiß glänzend und Blutdruck gerötet, betrachtete ich damals gerne diese Halsregion, wenn sich mal wieder einer wegen einer Lapalie vor mir aufmandelte und ich mir aus Gründen der Contenance bzw. wegen drohendem Verlust derselbigen vergleichbar mit dem imaginären Abbild in Unterhosen, vorstellte, wie die wichtigen Herren aufgespießt und über dem Feuer drehend langsam garen. Die Region am Nacken würde dabei besonders kross. Wie es zur damaligen Erwähnung der Geschichte kam, weiß ich heute leider nicht mehr, hoffe aber, damit meine Erzählschuld abgegolten zu haben.

Mark - und leider habe ich vergessen, wie Du wirklich heißt, da Dein Pseudonym ja aus einem Autokennzeichen entstand - Du hast mit Deiner Krankheit Deinen Lesenden vor einiger Zeit einen ganz schönen Schrecken eingejagt, vor allem denen - wie mir - die Dich nicht so regelmäßig lesen. Na schön, ich habe eine längere Zeit gar nicht mehr bei Dir gelesen, weil Radfahren damals (noch) nicht so meines war und ich andere Themen manchmal ein wenig trocken fand. Jetzt schau' ich ab und zu wieder rein und freue mich, wenn es Dir gut geht. Du darfst auch gerne weiter bei mir klugscheissen kluge, korrigierende Einwände, nette und unterhaltsame Bemerkungen anfügen oder sonstwie kommentieren - ich freue mich, Dich zu lesen. In diesem Sinne auf weitere Jahre und gute Gesundheit. Das hier ist für Dich:

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Donnerstag, 7. November 2019
Coming Home VII
Der Countdown läuft. Dieses Blog gäbe es nicht ohne die, die es lesen und sich manches Mal auch dazu äussern. Im Zuge der 5000 schreibe ich über meine Gäste, die hier über die Jahre kommentierten oder es immer noch tun. Die bisherigen Beiträge 1, 2, 3, 4 und 5 sind hinter den Zahlen zu finden.

Meine Personenbeschreibungen sind subjektiv, unvollständig und unwissenschaftlich, quasi homöopathisch aber auch in hoher Dosierung wohlwollend.

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Wer kennt sie nicht, die zahllosen Blogs, die sich jammernd um sich selbst drehen. Egal ob Depression, Pubertät oder Herzleid, alles wird heutzutage öffentlich zur Schau gestellt. Man möchte ein wenig Mitleid, ein wenig Zuspruch und hofft insgeheim, es würde so leichter zu ertragen sein. Die Versuchung ist groß, in den Sumpf des Selbstmitleids abzugleiten, wäre da nicht insgeheim ein stiller Auftrag - der Auftrag, mit dem Geschriebenen wenigstens ein bisschen zu unterhalten. Die Situation macht es nicht besser aber manchmal führt es dazu, über sich selbst lachen zu können.

Als ich auf Frau Herzbruch stieß, fand ich genau das. Jemand, der das Beste aus einer vertrackten Situation macht und dabei über sich lachen kann. Damals wohnte sie in Holland, der Beebie aka Erbse aka Ona war noch nicht auf der Welt und der Mops lebte noch. Die akademische Karriere sah zwar vielversprechend aus, dümpelte aber gleichzeitig im Watt des Instituts vor sich hin. Sie schrieb über kleine und große Katastrophen, über Schuhe und Schwangerschaft, und das immer mit großem Unterhaltungswert. Der Mann lungerte irgendwo im Hintergrund und es war nicht klar, ob er an Relevanz gewinnen oder sich zur Karriere ins Watt gesellen würde.

Ich weiß nicht mehr, auf welchen Wegen ich über ihr Blog gestolpert war. Jedenfalls war sie im Januar 2008 das erste Mal auf blogger.de, kurz darauf schwanger und später danach in Deutschland. Ich habe gerade nachgesehen, kommentiert hatte ich das erste Mal im Juni 2008. Wir waren damals im Grunde nur zwei (Carschti and me) und paar zufällig über die Homepage angespülte. Ihren Stil mochte ich sofort. Keine Wehleidigkeit, sondern prägnante kurze Sätze, immer auf den Punkt. Eine Beschreibung, wieso man bei sichtbarer Schwangerschaft und Übelkeit keinen Johannisbeersaft trinken sollte, will man kotzend vor dem Supermarkt keine bösen Passantenblicke ernten - so von wegen unverantwortlich, in der Schwangerschaft trinken - oder darüber, wie der Einbruch des Mannes über das Dach wegen verlorenem Schlüssel schief ging. Ganz großes Kino, nur halt selbst erlebtes.

Nach Geburt vom Beebie und Niederlassung im Ruhrgebiet dann der erste richtige Besuch. Es sollte nicht der letzte gewesen sein, denn schnell stellte sich heraus, dass Frau Herzbruch genauso redet wie sie schreibt. Insofern war ihr Blog eigentlich ein Vorläufer von Whatsapp, denn man will die Freunde auf dem Laufenden halten. Freunde hatte ihr Blog damals plötzlich viele. Frau Herzbruch interagierte in den Kommentierenden und konnte alles irgendwie humorvoll formulieren. Bei einem späteren Besuch im Oktober war sie entsetzt über die Tatsache, dass wir nichts an Bord zu essen kriegen und kredenzte spontan ein Weihnachtsessen mit Gans und Knödeln. Die weitere Familie war ebenfalls anwesend, man hatte mich sozusagen kurzerhand adoptiert. An diesem Abend wurde viel über die Geschichte der Gans mit den Hämatomen vom misslungenen Abschuss gelacht, Ona war sehr aus dem Häuschen über seine neuen Spielzeuge und der Mann inzwischen institutionalisiert.

Irgendwann brach ihr Blog ab, das Kommentieren beschränkte sich auf wenige Gelegenheiten und dann war sie ganz aus der Onlinewelt verschwunden. Ich bedauerte das sehr aber was will man machen. Die neue Karriere, das neue Haus und alles andere sowieso brauchten eben viel mehr Zeit. Ganz nebenbei dann Promotion, Heirat und ein neuer Hund. Das Kind blieb pflegeleicht, der Mann - abgesehen von einigen handwerklichen und Urlaubs-Katastrophen - ebenso. Kürzlich hatte ich wieder schriftlichen Kontakt, es stellt sich jedoch als schwierig dar, den aufrechtzuerhalten. Sie wissen schon, Haus, Kind, Mann, Job, Hund und ein paar neue Katastrophen. Wäre nicht Dr. Herzbruch, wenn's glatt laufen würde. Aber das wird sie vielleicht irgendwann ein andermal woanders erzählen.

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Samstag, 2. November 2019
Coming Home VI
Der Countdown läuft. Im Zuge der 5000 habe ich bereits ein bisschen über meine Gäste (Kommentierende) geschrieben. Heute und über die nächsten Tage möchte ich ein paar hervorheben und erklären, wieso ich bei ihnen ebenfalls gerne zu Gast bin. Im Hinblick auf Fremdbild/Selbstbild hat's übrigens durchaus Potenzial für ein sogenanntes Bloggerstöckchen. Folge 1, 2, 3 und 4 versteckt sich hinter den Zahlen.

Meine Personenbeschreibungen sind subjektiv, unvollständig und unwissenschaftlich, quasi homöopathisch aber auch in hoher Dosierung wohlwollend.


Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit, als der Neo-Bazi und der Rationalstürmer hier kommentierten. Die gehörten damals fast so zusammen wie Arsch auf Deckel. Wo der eine auftauchte, war der andere nicht weit. Wir hatten nicht nur viel Spaß in den Kommentaren hier und in anderen Blogs, wir waren auch real zumindest fernmündlich verbunden. Der Neo-Bazi hatte damals ein Blog unter selbigem Pseudonym, nannte sich aber als Komentator mal halbtot, mal Opa Edi und gab sich gelegentlich auch irgendwelche anderen bizzarren Namen. In den Sechzigern und Siebzigern fuhr er zur See, kam aber ursprünglich aus dem Allgäu. Die kleinen Super 8 Aufnahmen zeigte er mal in seinem Blog. Auf meine Frage, wieso er sich denn für die Seefahrt entschieden habe - noch dazu als Nichtschwimmer - gab er zu bedenken, das sei damals für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, die Welt zu sehen und nebenbei schwimmen zu lernen. Ganz bodenständig pragmatisch, so war sein Stil, gelegentlich auch ein bissl derb. Seine Ambitionen brachten ihn als jungen Mann vom Hamburger Hafen in die Ferne. Als er wegen rheumatischer Beschwerden nicht mehr als Funkoffizier arbeiten konnte, versetzte man ihn in den Reederei-Innendienst. Bald wurde er vorzeitig berentet und verbrachte seine Zeit fortan mit sehr wenig Geld im sogenannten Nuttenturm - einem sozialen Brennpunkt mit Hafenblick. Dort habe ich ihn während eines Kurzaufenthalts mal besucht.

Trotz seiner gesundheitlich misslichen Lage hat Eduard Karl Henn - so sein richtiger Name - nie den Mut verloren, lenkte sich durch Schreiben und Kommentieren ab oder veräppelte seinen Zivi, der ihn bei alltäglichen Dingen unterstützte, sich aber nie für einen Opascherz zu schade war. Die im Allgäu wohnenden Enkelkinder konnte er aus finanziellen und auch ein wenig familiären Gründen nur selten sehen, weswegen seine Blogfamilie aka der Club der halbtoten Dichter an Weihnachten für ein Bahnticket zusammenlegte - hier kam natürlich der Rationalstürmer in's Spiel, mit dem ich mich drahtzieherisch beriet. Sowohl Bandbreite als auch Spendierlaune der Beitragenden war grenzenlos. Von Playlisten bis Lesematerial für die Bahnfahrt war alles dabei. So entstand aus einer kleinen Reisegutscheinidee eine komplette Opa-Landverschickung (von Matt Wagner wurde die Übergabe dokumentiert). Edi freute sich sichtlich und riesig, obwohl es ihm sehr schwer fiel, Geschenke anzunehmen. In Folge schickte er allen Beteiligten Päckchen, um etwas zurückzugeben. Getarnt waren diese Rückgeschenke immer als Rätselgewinne oder andere Zuwendung.



Edikarl ahnte nicht, dass diese Reise seine letzte sein würde, denn einige Zeit nach seiner Ankunft im Allgäu ging es ihm so schlecht, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Schlaganfall (soweit ich mich erinnere), Reha und nach ein paar Wochen der Genesung plötzlich nicht mehr halb- sondern richtig tot. Wir waren alle verdammt betroffen und traurig. Mich hat vor allem die Tatsache schockiert, dass ich damals zum ersten Mal vom Tod eines vorwiegend aus dem virtuellen Kontakt bekannten Freundes durch eben dieses Medium erfahren musste. Da fiel mir auf, warum es durchaus sinnvoll ist, Todesnachrichten persönlich zu überbringen. In diesem Fall war das nicht möglich, weil wir die Verwandtschaft vom Opa nicht kannten und selbige nichts von seinen Blogmachenschaften wusste. Absichtlich, denn der Neobazi schrieb sich einst dort auch eine Familiengeschichte vom Herzen.

Mit seinem Blog, seinen Kommentaren und seinem verschrobenen Humor fehlt der Edikarl jetzt schon seit 10 Jahren. Seine Geschichten sind inzwischen nicht mehr zugänglich aber mein letzter Satz gilt noch immer:
Weißt du, Opa, du warst schon ein ganz Besonderer. Kein Heiliger und kein Prophet aber einer mit dem Herzen am rechten Fleck. Ich wünschte, es gäbe hier noch viel mehr von deiner Sorte. Und wenn es sie gibt, dann stolpere ich hoffentlich eines Tages über die. Hier oder anderswo.

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Samstag, 26. Oktober 2019
Coming Home V
Der Countdown läuft. Im Zuge der 5000 habe ich bereits ein bisschen über meine Gäste (Kommentierende) geschrieben. Heute und über die nächsten Tage möchte ich ein paar hervorheben und erklären, wieso ich bei ihnen ebenfalls gerne zu Gast bin. Im Hinblick auf Fremdbild/Selbstbild hat's übrigens durchaus Potenzial für ein sogenanntes Bloggerstöckchen. Folge 1, 2 und 3 versteckt sich hinter den Zahlen.

Meine Personenbeschreibungen sind subjektiv, unvollständig und unwissenschaftlich, quasi homöopathisch aber auch in hoher Dosierung wohlwollend.


Sein Name ist Cabman, James Cabman. Erst lasen wir uns, dann kommentierten wir uns, schließlich schrieben wir uns. Mehr ist aber nie aus uns geworden, denn obwohl der Cabman viel in der Gegend rumfliegt, haben wir uns noch nie getroffen. Dem wollen wir jetzt Abhilfe schaffen in Form von sehr schönen Erkennungszeichen:



Seinen eigenen Button soll er ruhig selbst in den Kommentaren präsentieren, denn ich darf offiziell keine derartigen am Uniformrevers tragen. Mal sehen, ob wir uns wirklich begegnen, denn die Wahrscheinlichkeit ist nicht sonderlich groß. Sollte es dennoch eintreffen, wird das für andere Mitreisende wohl eine ziemlich merkwürdige Szene geben. Cab als Passagier eines Langstreckenfluges, am Fenster sitzend. Ich begrüße ihn, er sieht mich prüfend an, dann zieht er langsam seinen Button aus der Tasche, heftet ihn an's Revers. Ich, sichtlich erfreut, begrüße ihn als Cabman, stelle mich als Frau Klugscheisser vor, Nebensitzende sind spätestens jetzt etwas verunsichert, schielen verlegen zu uns herüber. Er verlangt nach meinem Erkennungszeichen, weitere Passagiere vermuten einen Geheimbund, Sektenzugehörigkeit oder Undercoveragenten, ein anderer wedelt mit einer Eintrittskarte seiner letzten Swingerparty. So oder ähnlich wird das mit Sicherheit ablaufen.

Cabman schreibt über seine Erlebnisse unterwegs auf durchweg humorige und unterhaltsame Weise - sein Stil erinnert mich an Frau Novemberregen oder andersrum. Damals wusste er die Vorzüge des Bloggens durchaus für seine Zwecke einzusetzen. Man könnte ihn auch als den Bandini von blogger.de bezeichnen. Jedenfalls schien die Liaison mit einer anderen Bloggerin gerade beendet, da erreichte mich eine Mail. Wir schrieben ein bisschen hin und her, er aus dem Norden, ich aus dem Süden. Dann lernte er Cabwoman kennen und es wurde erst mal still im Blog. Als die Cabkids da waren, schrieb er gelegentlich über Ausflüge oder Heimwerkercontent, manchmal über Schweden, immer sehr unterhaltsam und immer ziemlich ausführlich, fügte Bildmaterial ein, kommentierte aber hier fast gar nicht mehr. Schade eigentlich. Ich fand den Austausch immer witzig und geistreich. Aus seinen Texten entnehme ich, dass er ebenfalls die Zufallsbegegnungen schätzt, gelegentlich suchen sie auch ihn. Man erlebt ja so einiges, wenn man ständig unterwegs ist.

Inzwischen ist es in seinen Kommentaren ruhig geworden. Ich vermute, das Bloggen ist unterwegs für ihn Ablenkung und Zeitvertreib, wie es für andere Pokemon oder Candy Crush sind. Man kommt zudem in die Jahre, hat nach Arbeit und Familie nicht mehr so viele Nebenschauplätze. Das ist das Gruselige am Älterwerden.
Damals im Blog war er ein kleiner Revoluzzer, hat mich und andere - entgegen der damals üblichen Etikette - geduzt. Ihm habe ich das verziehen, wofür ich fremde Kommentierende angepampt habe. Er war nämlich sonst sehr höflich und immer für einen kleinen Plausch zu haben. Leider kann ich nicht alle Kommentare eroieren, die Suchmaschine sucht nur im Text verwendete Worte - also Cab oder Cabman - und nicht nach Autorennamen. So bin ich für die letzten zwei Stunden ganz tief in die eigene Vergangenheit getaucht und habe mich wieder über den ein oder anderen Kommentar amüsiert.

Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann dass er wieder in höherer Frequenz kürzere Erlebnisberichte bloggt. Die Fee hatte aber gerade nur einen Wunsch dabei, den ich wohl vernünftiger anlegen sollte. Machenses gut Cabman und nicht vergessen: Flugpersonal mag Dich, wenn Du sie gut behandelst (weiterführende Informationen über das idealtypische Verhalten auf Flugreisen sind aus diesem Blog zu beziehen).

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Montag, 21. Oktober 2019
Coming Home IV
Der Countdown läuft.
Folge 1 war Gaga gewidmet, 2 für die Kaltmamsell und Herrn Rau. Die neue Folge meiner Bloggeraudatio kommt hier.
Meine Personenbeschreibungen sind dabei hochgradig subjektiv, unvollständig und von meinem Erleben geprägt, was zwar unter Subjektivität läuft aber noch einmal deutlich hervorgehoben werden soll.

Kennen Sie den Herrn Kid? Nein, nicht den Sundance, den vom Clouddance. Also den vom Hermetischen Café.



Da oben ist ihm gerade Technisches in's Auge gefallen. Ausserdem interessiert er sich noch für Ringelstrümpfe, tote Tiere, Wrestling und Feinkunst. Kürzlich war er in New York. Das ist aber eine Ausnahme, denn sonst verbringt er seine Urlaube gerne in Wien, Berlin oder am Fenster seiner Wohnung am Kanal. Die Bilder davon sind meistens ein bisschen düster, melancholisch, wie überhaupt alles in seinem Café. Fast könnte man meinen, der Herr sei etwas arg missmutig, wenn da nicht gleichzeitig eine Prise Humor in Form von Selbstironie mitschwänge. Kleine Seitenhiebe sind immer in feine Worte verpackt, ganz so, als ob man jemanden mit einer Schwimmnudel haut. Aus der Reserve locken ihn indes spezielle Kunstmagazine und Bücher, auch Musik von Siouxsie and the Banshees oder Florence+The Machine etc. und Fotografien - eben vieles aus längst vergangenen Tagen.

Die wohlgeformten Sätze, die Wortwahl, sie verraten einen Ästheten, einen Freund der schönen Künste generell, der vom Destruktiven, Demolierten angezogen scheint. Ich kann vieles nur schwer nachvollziehen, manches stößt ab, manches macht neugierig. Insgesamt haben wir nur eine geringe Schnittmenge, was die Interessen anbelangt. Umso erstaunlicher ist es, dass wir uns schon so lange lesen. Ich hab's bereits erwähnt - er war einer der ersten bekannten Blogger, der in meinem damalig bei myblog frisch angelegten Blog kommentierte. Schon alleine deswegen blieb ich ihm treu. Einmal sind wir sogar für ein paar Tage gemeinsam nach Wien gereist. Eine denkwürdige Reise, in jeglicher Hinsicht.

Was mir immer wieder an Kid auffällt, ist die Angewohnheit, sich selbst zu degradieren, sich als minderwertig darzustellen und sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Ich weiß nicht, ob das nur eine Masche ist, befürchte aber, es bleibt bei aller Selbstironie innendrin was hängen. Das hat er weder verdient noch nötig. Der Kid, das ist einer von den Guten, der würde eine Eintagsfliege zwei Wochen pflegen, nur um sie am Leben zu halten und sie nach ihrem Tod präparieren und katalogisieren, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Vielleicht ist es die eigene Sterblichkeit, die seine Faszination am Vergänglichen antreibt, vielleicht auch eine andere Erfahrung aus seinem reichen Leben. Obwohl er ab und an (Fake!)Bilder der Verwandtschaft in seinem Blog zeigt oder über sein Leben fabuliert, kann man ihn grundsätzlich als hermetisch bezeichnen. Die Frage aller Frage lautet: wieso um alles in der Welt 37? Wir werden es wohl nie erfahren.



So lange wir noch leben schreiben, freue ich mich über seine Kommentare - hier und anderswo.

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